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Amazon: Holocaustleugnung frei Haus

 

Holocaustleugner konnten strafbare Bücher ungestört auf Amazon verkaufen. Wussten die Verantwortlichen schon frühzeitig, welche Machwerke im virtuellen Regal standen?

Von René Garzke

Amazon verschickt Holocaustleugnung frei Haus
In den Kartons von Onlinehändler Amazon wurden offenbar auch strafbare Bücher verschickt. © Mike Segar/Reuters

Um einen giftigen Gedanken in die Gesellschaft zu tragen, braucht es dieser Tage nicht viel. Leugner der Holocaustverbrechen missbrauchen Blogplattformen und Videoseiten, um ihre bizarren Theorien in die Welt zu setzen. Störungsmelder-Recherchen zeigen jetzt: Auch das Internetversandhaus Amazon leistete Rechtsextremisten Vorschub, indem es Bücher mit strafbaren Inhalten zum Verkauf anbot.

Da ist etwa das im Frühjahr erschienene Werk Ende der Lüge – aus Notwendigkeit geboren. Der Inhalt: eindeutig. So heißt es darin etwa: „Mit der größten Lüge des 20. Jahrhunderts, der angeblichen Massenvernichtung von 4–6 Mio. Juden durch unsere deutschen Vorfahren, knebelt der Jude nicht nur das deutsche Volk.“ Zweifel, dass Gerichte das als Volksverhetzung einstufen würden, gibt es nicht. Ulf Buermeyer, Vorsitzender der Juristen-Vereinigung Gesellschaft für Freiheitsrechte, sagt: „Das ist ein klarer Fall der Leugnung.“ Der Autor des Buches, Henry Hafenmayer, ist kein Unbekannter in der rechtsextremistischen Szene. Dennoch ließ sich das Buch bis vor Kurzem bei Amazon bestellen – Versand gratis.

Das Hetzbuch von Henry Hafenmayer auf Amazon, Screenshot: Störungsmelder

Wenn Rechtsextremisten wegen Holocaustleugnung vor Gericht stehen und verurteilt werden, sprechen ihre Kameraden gern von sogenannten Meinungsverbrechen. Doch in der Bundesrepublik steht die Verbreitung bestimmter Inhalte aus gutem Grund unter Strafe – es ist auch ein historisches Symbol. Der Tatbestand der Volksverhetzung erfasst auch die Leugnung des Holocausts. Bücher mit entsprechendem Inhalt ließen sich zumindest bis vor Kurzem noch mehrfach mit wenigen Klicks auf Amazon finden.

Hetzbücher als Prime-Artikel

Zum Beispiel das Werk Tell the Truth and Shame the Devil. Der Autor Gerard Menuhin bewirbt es mit den Worten: „Der Holocaust ist die größte Lüge der Geschichte. Deutschland hat keine Schuld am Zweiten Weltkrieg und Adolf Hitler war der einzige Staatsmann der Welt, der die Welt vor der plutokratisch-jüdischen Gefahr hätte retten können, um den unterjochten Planeten wieder zu befreien.“ Auch das: Volksverhetzung in Reinform, sagt Buermeyer. Amazon führte das Buch sogar als Prime-Artikel, solche Produkte landen schneller als andere beim Kunden.

Ebenfalls auf der Plattform fand sich das Buch eines weiteren Holocaustleugners, Thies Christophersen. Als SS-Sonderführer war der 1997 verstorbene Autor selbst in Auschwitz stationiert – danach versuchte er, die Verbrechen der Nationalsozialisten kleinzureden. In seinem Werk Die Auschwitz-Lüge, das in seiner italienischen Version auf Amazon angeboten wurde, heißt es: „Doch das deutsche Volk glaubt weiter an die Massenmorde in den Konzentrationslagern. Warum eigentlich? Haben wir nicht alle, die wir die Wahrheit wissen, eine ungeheure Schuld auf uns geladen?“ An einer anderen Stelle führt der ehemalige SS-Mann aus: „Die Verluste des jüdischen Volkes während des Zweiten Weltkrieges sind sicher beklagenswert. Sie haben aber nicht 6 Millionen, sondern höchstens 200.000 betragen.“

Warum Holocaustleugnung so gefährlich ist

Einzig bei diesen Passagen lasse sich nicht abschließend beurteilen, ob sie wirklich strafbar sind, sagt Buermeyer. „Das hängt vom weiteren Kontext ab.“ Denn: Erst im Juni hat das Bundesverfassungsgericht eine viel beachtete Entscheidung gefällt. Demnach muss bei Volksverhetzungen in Form der Verharmlosung eigens festgestellt werden, dass sie geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Bei den anderen beiden Varianten des Volksverhetzungsparagrafen im Strafgesetzbuch – also der Leugnung und der Billigung – wird dies automatisch als gegeben angesehen.

Bezogen auf die Volksverhetzung in Form der Holocaustleugnung wurden die Karlsruher Richter auch grundsätzlich und führten in einer weiteren Entscheidung aus: Den nationalsozialistischen Völkermord zu leugnen, sei vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte geeignet, Zuhörer zur Aggression zu verleiten und sie dazu zu veranlassen, gegen die Verantwortlichen dieser angeblichen historischen Lüge tätig zu werden. Den Holocaust zu verneinen, trage damit unmittelbar die Gefahr in sich, „die politische Auseinandersetzung ins Feindselige und Unfriedliche umkippen zu lassen“.

Eines der Bücher wurde sogar als Prime-Artikel angeboten. Screenshot: Störungsmelder

Wusste Amazon frühzeitig von strafbaren Inhalten?

Und alldem, was in Deutschland geltenden Gesetzen zuwiderläuft, hat Amazon bis zuletzt eine Plattform geboten. Erst auf Anfrage des Störungsmelders reagierte der Konzern. Eine Unternehmenssprecherin teilte mit: „Die Bücher wurden entfernt.“

Rechtlich befindet sich Amazon als Onlineanbieter in einer vergleichsweise komfortablen Position: „Amazon kann sich als solches nicht strafbar machen, da das deutsche Strafrecht nur Personen betrifft, keine Firmen“, sagt Buermeyer. Und nach dem Telemediengesetz hafteten Plattformen erst ab Kenntnis der fremden Inhalte. Es gelte das Prinzip notice and take down – der Anbieter muss die Bücher also nach Kenntnisnahme von der Plattform entfernen. Weil die Bücher jetzt nicht mehr auf Amazon zu finden sind, „haben sie meines Erachtens rechtlich nichts mehr zu befürchten“, sagt Buermeyer.

Allerdings: Amazon könnte schon viel früher auf mindestens eins der Hetzwerke aufmerksam geworden sein. Ein Nutzer hatte schon vor mehr als vier Wochen eine öffentliche Rezension zu Ende der Lüge von Autor Hafenmayer hinterlassen. Darin hieß es unter anderem: „Amazon wurde auf das Buch und seinen antisemitischen Inhalt hingewiesen und antwortete, solange das Buch nicht auf dem Index jugendgefährdender Schriften wäre, würde man weiterverkaufen.“ Eine Nachfrage des Störungsmelders, warum das Unternehmen auf Kundenbeschwerden offenbar nicht reagierte, ließ die Amazon-Sprecherin unbeantwortet.

Ein Nutzer will Amazon schon vor mehr als einem Monat auf den Inhalt des Buches Ende der Lüge hingewiesen haben. Der Konzern reagierte aber nicht. Screenshot: Störungsmelder