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Störungsmelder-Autor von Neonazis angegriffen

 

Wie ist das, von einer Demonstration zu berichten, auf der Journalisten angegriffen werden? Auch ein Reporter des Störungsmelders bekam die Aggressivität der Neonazis in Chemnitz zu spüren.

Von Henrik Merker

Angriffe auf Journalisten in Chemnitz
Teilnehmer der Demonstration in Chemnitz © Henrik Merker

Mehrere Journalisten wurden auf der Demonstration von AfD, III. Weg, Pro Chemnitz und anderen Gruppen Opfer von gewalttätigen Angriffen. Als erste traf es ein Kamerateam des MDR. Die Reporter wurden in einer Wohnung attackiert, der Kameramann die Treppe runtergestoßen. Er ist verletzt und steht unter Schock, die Kamera ist kaputt.

https://twitter.com/PascaleMller/status/1035915716564791301?s=1

Kurz darauf wird ein unbeteiligter Jugendlicher vom Fahrrad getreten – direkt vor dem Haus, in dem gerade der Kameramann verletzt wurde. Ein Kollege und ich sehen das, versuchen Fotos zu machen in dieser unübersichtlichen Situation. Eine Gruppe junger Neonazis steht fünf Meter weiter, beobachtet uns und zeigt in unsere Richtung. Später erfahren wir von Kollegen, dass die Gruppe aus Braunschweig stammt. Bekannt als gewaltsuchend, Ex-Kader der NPD-Jugend und Kampfsportler.

Wir wollen uns ein möglichst vollständiges Bild der Demonstration machen, nicht nur Gewalt zeigen – es soll hier auch Trauer geben, hieß es. Trauer um den Mann, der vor einer Woche in Chemnitz erstochen wurde. Wir gehen auf die andere Seite, das Café Brazil ist dort.

Pressefreiheit: Angriffe auf Journalisten in Chemnitz
AfD-Politik Björn Höcke bei dem Aufmarsch © Henrik Merker

Plötzlich sind die drei sportlichen Neonazis von der anderen Seite wieder da. Sie haben die Abkürzung quer durch die Demonstration genommen, bauen sich vor mir auf. Einer schlägt unvermittelt gegen meine Kamera. Zwei andere halten Passanten und Kollegen in Schach.

Ein Kollege filmt geistesgegenwärtig, was passiert – zuerst unentdeckt. Der Angreifer ist ein ehemaliger Kader der NPD-Jugend, bundesweit bekannt. Er drängt sich auf Hautkontakt ran, befummelt meinen Arm. Der Blick leer und aggressiv, wie auf harten Drogen. Hinter mir ist eine schmale Seitengasse, wo keine Polizei steht, niemand langgeht. Der Mann versucht, mich genau dorthin zu drängen. Ein bulliger Typ im schwarzen Kapuzenpullover macht mit.

Eine umstehende Meute feuert die Angreifer an

Als das nicht klappt und ich mich weiter vorn beim Café halten kann, versucht der bekennende Neonazi zu provozieren. Der Kampfsportler will, dass sein Gegner zuerst zuschlägt. Er drängt mich mit seinem Körper weg, schlägt wiederholt auf die Kamera, versucht die Linse zu zerkratzen, indem er umständlich in das nach unten gehaltene Objektiv greift. Die robuste Technik nimmt keinen Schaden, muss zum Glück nur gereinigt werden.

Ältere AfD-Anhänger befeuern die Szene, sagen: „Jetzt kriegst du, was du verdienst“, „Lügenpresse“. Der Angreifer und seine zwei Begleiter fühlen sich bestärkt, gehen jetzt auch auf Umstehende los. Auf andere Reporter, auch auf den Kollegen, der filmt. Sie greifen mit fettigen Fingern in Kameralinsen, versuchen die Technik zu beschädigen. Sie drängen, schubsen und drohen – warten auf Gegenreaktion.

Polizei? Nicht in Sicht

Die Polizei ist während des gesamten Angriffs, der mehrere Minuten dauert, nicht in der Nähe. Die Seitenstraße direkt neben dem Demonstrationszug wurde anscheinend vergessen. Später bricht genau hier eine große Gruppe Neonazi-Hooligans aus der AfD-Demonstration aus.

Sicherheitsleute eines anderen Reporterteams sind es, die den Angriff beenden. Sie drängen die Neonazis weg. Der Angriff ging glimpflich aus, zu Verletzungen kam es nicht.

Bevor er in der Menge verschwindet, sagt der Angreifer: „Nächstes Mal geht das anders aus für dich.“