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Rechtsextreme Demo zum Pogromgedenken

 

In Berlin wollten zum Gedenktag der Pogromnacht am 9. November Hunderte Rechtsextreme aufmarschieren. Dem Aufruf von Wir für Deutschland folgten jedoch nur 70 Teilnehmer. Mitglieder des Vereins rufen öffentlich zur Abschaffung des Grundgesetzes auf.

von Henrik Merker

Die Demonstranten nehmen Aufstellung
© Henrik Merker

Mit der Teilnehmerzahl an ihrer Demonstration zum 9. November sind die Rechtsextremen des Vereins Wir für Deutschland sichtlich unzufrieden, im sozialen Netz hatten sie noch von bis zu 1.400 Teilnehmern geträumt. Dass so wenige gekommen sind, schiebt Enrico Stubbe – einer der Organisatoren des Aufmarsches – auf den Gegenprotest. Weil Hunderte Gegendemonstranten den Vorplatz des Hauptbahnhofs in Beschlag genommen haben, könne niemand zu ihnen kommen, sagt er. Andere Teilnehmer würden in Kontrollen feststecken. Doch auch eine Stunde später hat sich an der Menge nichts geändert, nur der Gegenprotest ist angewachsen. Mehrere Tausend rufen und pfeifen von Washingtonplatz und Spreeufer aus.

Unter die wenigen Teilnehmer, denen zwischenzeitlich genauso viele Journalisten gegenüberstehen, haben sich ein paar jüngere Neonazis gemischt – sie fallen auf und werden von ihren älteren Kameraden freudig empfangen. Kurze Zeit später zücken drei der Jungen ihre Smartphones, drängen sich vor die Journalisten und halten ihnen grelle Videolampen vor den Kopf. Die Neonazis filmen Gesichter ab, laufen minutenlang Reportern hinterher und stellen sich vor Kameras – bis die Polizei eingreift und ihre Personalien aufnimmt. Als die Demonstration wenig später losläuft, verdrücken sich die Jüngeren in die Mitte, wollen nicht noch mal auffallen.

Neonazis belästigen Journalisten © Henrik Merker

Verfassungsfeinde

Vorn läuft dafür Enrico Stubbe mit einem Pflaster auf der Stirn – er sei zusammengeschlagen worden, behauptet der Rechtsextremist in einem Livevideo. Stubbe droht im selben Atemzug dem Berliner Innensenator Geisel: „Die nächste Demonstration wird in Ihrer Straße sein!“ Der Innensenator hatte im Vorfeld versucht, die rechtsextreme Demonstration am Gedenktag der Pogromnacht zu untersagen – doch ohne Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht kippte die ohnehin schwierige Verbotsverfügung in zweiter Instanz. Während aus Polizeikreisen Kritik an dem Verbot laut wurde, begrüßte der Zentralrat der Juden den letztlich nur symbolischen Versuch.

Andere Kader des rechtsextremen Vereins schlagen in eine ähnliche Kerbe wie Stubbe, der dem Innensenator quasi einen Hausbesuch via Demonstration androht. „Raus mit Andersgläubigen SOFORT. Es wird langfristig zu Problemen führen. Abschaffung der EU. Abschaffung des Grundgesetzes“ – Kay Hönicke, Livestream-Gesicht des rechtsextremen Vereins Wir für Deutschland, nimmt schon 2015 kein Blatt vor den Mund. Auch das Horst-Wessel-Lied zitiert er unter einem Beitrag: „Die Reihen fest geschlossen“. Auf dem Washingtonplatz in Berlin ist er mit als Erster da, sein Verein hat zu einem „Trauermarsch für die Opfer von Politik“ gerufen. Der passionierte Jäger verteilt Grablichter an die rund 70 Teilnehmer, später sollen die Kerzen zwischen Bundestag und Brandenburger Tor zum Wort „Freiheit“ aufgestellt werden. Hönicke ist kein Unbekannter: Der Rechtsextremist nahm zuletzt an den völkischen Aufmärschen von Pro Chemnitz teil, warb dort für Demonstrationen in Berlin. In Dresden betätigte er sich als Sänger für Pegida, stimmte auf der Bühne mehrerer Demonstrationen das obligatorische Deutschlandlied an.

Kay Hönicke (l.) und Enrico Stubbe (m.) am Lautsprecherwagen © Henrik Merker

Neben Hönicke findet sich auch eine rechtsextreme Aktivistin aus Chemnitz in der ersten Reihe der „Wir für Deutschland“-Demonstration. Denise G., ehemaliges Bild-Girl und Inhaberin eines Friseursalons, ist mit Kay Hönicke liiert. Im Extrem ihrer Aussagen stehen sich beide in nichts nach – auf einem ihrer Social-Media-Profile findet sich ein Beitrag mit den Worten: „Der Pessimist lernt Arabisch. Der Realist lernt Schießen.“

Absurde Show zum Gedenktag

Aus den Lautsprecherboxen, die von Hönicke und Enrico Stubbe auf einen dunklen Kombi geschnallt wurden, kommt klassische Musik. Am Bundestag lesen die Rechtsextremen Namen von Menschen vor, die an der deutschen Mauer gestorben sind. Doch die angemeldete Zeit reicht nicht, ständig setzt die Technik aus, auch eine Rede muss gestrichen werden. Nach einer Minute Schweigen geht es zurück zum Hauptbahnhof. Während die Demonstranten durch das Berliner Regierungsviertel laufen, tanzt ein Ordner der Rechtsextremen Ballerina-Figuren zur klassischen Musik. Die lächerliche Szene bringt die umstehenden Polizisten zum Kopfschütteln – am Gedenktag der Novemberrevolution, der Novemberpogrome, des Mauerfalls hätten sie gern anderes zu tun. „Vielleicht klappt es ja das nächste Mal mit dem Verbot“, sagt ein Beamter.