„Sonst wird dich der Sachse holen mit dem Luftgewehr“ – im Original heißt es Schießgewehr, und manchen der sächsischen Rechtsextremen in Chemnitz ging genau dieses Wort an diesem Freitag über die Lippen. Diese Verbalattacken zielten auf die Bundeskanzlerin, die zu einem Besuch in die Stadt gekommen war.
Dieser Freitag begann in Chemnitz mit strengen Sicherheitsvorkehrungen. Laptops und Kameras wurden auf Sprengstoff überprüft, und alle, die in die Hartmann-Sporthalle kamen, passierten Leibesvisitationen und Metalldetektoren. Die Kanzlerin, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig hatten sich bei der Jugendmannschaft angekündigt: ein sogenannter Bürgerdialog am Rande des Trainings der Jugendmannschaften der Chemnitz Niners, einem Basketballteam der zweiten Bundesliga. Polizei und Stadtobere sind nervös, am Tag zuvor gab es eine Bombendrohung gegen das Konzert der Punkband Feine Sahne Fischfilet in einem Chemnitzer Kulturzentrum, zuletzt machten organisierte Rechtsextreme, von denen mindestens drei aus der bereits 2007 verbotenen Kameradschaft Sturm 34 stammen, Schlagzeilen. Die rechtsextreme Bewegung Pro Chemnitz und Verschwörungstheoretiker hatten zu Demonstrationen aufgerufen, ein Pro-Aktivist hatte beim Kanzlerinnengespräch Angela Merkel gar aufgefordert, mit zur Demo zu kommen.
Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger und Neonazis
Knapp hundert, größtenteils zugereiste Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger und Neonazis hatten sich für 15 Uhr am Hauptbahnhof verabredet: Mit schwarz-weiß-roten Fahnen marschierten sie quer durch die Stadt bis vor die Sporthalle der Niners, um sich dort mit Teilnehmern einer Kundgebung von Pro Chemnitz zu vereinen. Die Demonstranten nennen sich, in Anspielung auf die Hitlerjugend, Merkeljugend. Methode der Gruppe ist es, Angela Merkel über die Ästhetik des NS-Regimes mit Adolf Hitler gleichzusetzen. Dass es dabei nicht um Satire und Spaß geht, zeigen die Rechtsextremen spätestens dann, als sie Reporter bedrängen und Polizisten bepöbeln.
Zu sehen sind schwarz-weiß-rote Fahnen, auf die das Euro-Zeichen und Totenköpfe gedruckt sind. Die Polizei beschlagnahmte eine Kiste mit T-Shirts, die der Veranstalter ursprünglich an die Teilnehmer verteilen wollte. Darauf war das Markenzeichen der Kanzlerin, eine Raute, und der Slogan „Geil Merkel“ gedruckt. Die Polizei prüft nun, ob der Straftatbestand der Beleidigung erfüllt ist. Ein Teilnehmer reckte ein Transparent mit der Aufschrift „Heil Merkel“ in die Höhe. Auch hier schritt die Polizei ein, das Transparent durfte nur noch eingeschränkt gezeigt werden, das Wort „Heil“ durfte nicht zu sehen sein. Auf einer Armbinde, die an nationalsozialistische Hakenkreuz-Binden erinnerte, trug der Anmelder der Veranstaltung – einst im neonazistischen und seit 2000 verbotenem Netzwerk „Blood and Honour“ aktiv – die Worte Sicherheits-Abteilung. Auch das untersagte die Polizei.
Mitten in der Menge hatte ein Demonstrant seine Adresse und Telefonnummer auf ein Schild geschrieben, auf dem er behauptet, von der Regierung gefoltert zu werden. In einem Blog spezifiziert der Mann seine Behauptung: In seinem Haus gebe es knackende Geräusche – für ihn ein Grund anzunehmen, er werde vom polizeilichen Staatsschutz mit „Infraschall-Schlafentzug“ gefoltert, wie er schreibt. Außerdem fühle er sich von Drohnen und Beamten in Zivil verfolgt.
Sie wollen „Merkel mit dem Luftgewehr holen“
Zur gleichen Zeit verbreiten Mitglieder der Pro-Chemnitz-Kundgebung antisemitische Verschwörungstheorien: Eine Teilnehmerin behauptet, die NSDAP sei eine linke Partei gewesen, jüdische Familien würden die Welt beherrschen und Angela Merkel sei eine Marionette einer Weltverschwörung. Wenig später wurde die Jüdin Anette Kahane, Leiterin der Amadeu-Antonio-Stiftung, Ziel einer Hass-Rede. Seit Jahren spinnen Rechtsextreme eine Kampagne gegen die Stiftung und ihre Mitarbeiter, die vorrangig Aufklärungarbeit über Rechtsextremismus betreibt.
Ganz im Duktus der Verschwörungstheoretiker wird Angela Merkel von Rednern mehrfach mit Adolf Hitler verglichen. Über die Lautsprecher gaben Mitglieder von Pro Chemnitz Parolen durch, die von den rund 1.500 Teilnehmern mitgegrölt werden. „Merkel hat das Land gestohlen/Gib es wieder her/Sonst wird dich der Sachse holen/mit dem Luftgewehr“ war einer der Sprüche, in dem offen zur Gewalt aufgerufen wurde.
Zur Erinnerung: An Demonstrationen von Pro Chemnitz nahmen in der Vergangenheit mutmaßliche Rechtsterroristen teil. Martin Kohlmann, Anwalt und Leiter von Pro Chemnitz, soll selbst enge Verbindungen zur verbotenen Gruppe Nationale Sozialisten Chemnitz (NSC) haben. Die NSC nahm auch an Schießtrainings im Ausland teil, ein führendes Mitglied stammt Gerichtsakten zufolge aus der kriminellen Vereinigung Sturm 34, die für mindestens 70 schwere Straftaten verantwortlich ist.