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AfD löst mit Gedenkstein diplomatische Spannungen aus

 

Ein AfD-Abgeordneter finanziert in Polen einen Gedenkstein, an dem sich auch die NPD-Jugend beteiligt. Der Chef des deutschen Minderheitsverbandes erhielt eine Vorladung zur Botschaft.

Von Henrik Merker und Tilman Steffen

AfD löst mit Gedenkstein in Polen diplomatische Spannungen aus
Von der Website der Jungen Nationalisten abfotografiertes Bild des Gedenksteins in Bytom, Polen. Es zeigt den Zustand, bevor die Jungen Nationalisten wieder herausgemeißelt wurden.

Ein Gedenkstein für in den beiden Weltkriegen gefallene Soldaten hat diplomatische Folgen: Die deutsche Botschaft in Polen hat diese Woche Bernard Gaida einbestellt, den Vorsitzenden des Verbandes der deutschen Minderheit in Polen (VdG). Aufgestellt wurde der Stein mit finanzieller Hilfe der AfD.

Wie Gaida gegenüber ZEIT ONLINE sagte, sollte er erklären, wieso im Namen der Jugendorganisation seines Verbands ein geschichtsrevisionistischer Gedenkstein enthüllt wurde – unter Mitwirkung des Berliner Landesverbandes der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) und des AfD-Bundestagsabgeordneten Stephan Protschka. Konkreter Anlass der Fragen aus der Botschaft war aber, dass auch eine rechtsextreme Burschenschaft auf dem Stein vermerkt ist, weiterhin die Jugendorganisation der NPD, die Jungen Nationalisten (JN).

Die Einbestellung zur Botschaft wiegt schwer, denn Gaida hat einen Ruf zu verlieren: Für seine Bemühungen um die Völkerverständigung erhielt er 2015 das Bundesverdienstkreuz. Auch wird seine VdG vom deutschen Innenministerium gefördert.

Für Zehntausende Morde verantwortlich

Aufgestellt ist der Stein in Bytom (Beuthen) nahe Katowice. Gewidmet ist er ausschließlich Soldaten, nicht zivilen Opfern, speziell werden der schlesische Selbstschutz und Freikorpsverbände genannt. Die waren in den Zwanzigerjahren und danach dem Historiker Jens-Christian Wagner zufolge für Morde an Zehntausenden Polen und Juden verantwortlich.

Die Spenden für den Stein hatte Marek Tylikowski organisiert. Der junge Mann ist Vorstandsmitglied der Ortsgruppe Beuthen des Bundes der Jugend der Deutschen Minderheit (BJDM), der Jugendorganisation von Gaidas VdG. Er hat gute Verbindungen zur AfD, er gehört zur Jungen Alternative Berlin und steht in engem Kontakt mit deren Vorstandschef Vadim Derksen. Tylikowski nahm auch am Demokratie-Planspiel Jugend und Parlament im Bundestag teil. Für den Stein erhielt er von dem AfD-Abgeordneten und Bundesvorstandsmitglied Protschka 300 Euro. Man kennt sich persönlich – auch auf Facebook sind die drei befreundet. Derksen ist außerdem verantwortlicher Redakteur der VAdM, in der sich Auslandsdeutsche und Vertriebene innerhalb der AfD organisiert haben.

AfD löst mit Gedenkstein in Polen diplomatische Spannungen aus
Die JN verbreitet ein Foto des Steins auf Twitter. © Screenshot Henrik Merker

„Fast vom Hocker gefallen“

Kurz bevor der Stein am Volkstrauertag enthüllt werden sollte, tauchte ein Foto davon auf dem Twitter-Account des Vizevorsitzenden der Jungen Nationalisten auf. Als Unterstützer sind auf dem Stein auch die Jungen Nationalisten aufgelistet – zwischen der JA Berlin und der Burschenschaft Markomannia.

Protschka und der Berliner JA-Chef Derksen reagieren alarmiert. Er sei „fast vom Hocker gefallen“, sagte Derksen ZEIT ONLINE.

Protschka sagte ZEIT ONLINE, man habe verlangt, die JN wieder zu entfernen, anderenfalls müsse der Stein zerstört werden. So wie beide es schildern, wurde noch vor der Enthüllung ein Steinmetz tätig, um die NPD-Jugend mit Hammer und Meißel zu tilgen. Die vom Verfassungsschutz beobachtete Deggendorfer Burschenschaft aber blieb drauf.

Wie kam die NPD-Organisation auf den Stein?

Wie die JN auf den Stein kamen, dazu gibt es widersprüchliche Angaben. JA-Chef Derksen sagt, dass Tylikowski behaupte, er habe die Kosten des Steins unterschätzt und deshalb auch noch JN und Burschenschaft angefragt. Tylikowski aber streitet bislang jede Zusammenarbeit mit der NPD-Jugend ab, das Foto vom Gedenkstein auf den Kanälen der JN sei eine Fälschung, behauptete er. Die JN wiederum erklärten in einer online verbreiteten Nachricht ihre Solidarität mit den „in guter Absicht handelnden Initiatoren“ in Beuthen. Außerdem behauptet die JN nun, insgesamt 450 Euro für den Stein gespendet zu haben, mehr als bisher dargestellt: Auf einem Ende Oktober von den Nationalisten verbreiteten Bild übergab der Dresdner NPD-Funktionär Maik Müller 200 Euro an BJDM, auch Tylikowski ist zu sehen.

AfD-Politiker Protschka sieht sich von dem Hauptorganisator Tylikowski getäuscht. Er habe dessen BJDM für einen seriösen Verein gehalten, weil er vom Bundesinnenministerium gefördert sei, sagt der Abgeordnete.

Getäuscht sieht sich auch VdG-Chef Gaida, der wegen des Steins zur Botschaft musste. An AfD und NPD-Jugend gerichtet, beklagt er, das Gedenken werde politisch instrumentalisiert. Die gesamte Aufschrift des Steins zeige, „dass das Ziel nicht das Gedenken an Gefallene war, die auf diesem Friedhof ruhen, sondern eine Eigenwerbung für dessen Initiatoren und Sponsoren“. Sie machen fast die Hälfte der gesamten Schriftfläche aus.

Der Stein wurde beschmiert

Verwundert sei er auch, dass sich ein Bundestagsabgeordneter beteiligte. In einer öffentlichen Stellungnahme appelliert Gaida an die Parteien in Deutschland, “die politische Neutralität unserer Organisationen zu respektieren”. Nach eigenen Angaben sind die VdG und ihr Jugendverband BJDM zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet.

Zudem sei „die Unerfahrenheit von Jugendlichen zu politischen Zielen ausgenutzt“ worden, beklagt Gaida, offenkundig bezogen auf Tylikowski. Damit spielt Gaida darauf an, dass offenbar keiner der Spender überprüfte, ob die Spendenaktion mit den Minderheitenverbänden überhaupt abgesprochen worden war.

Weitere Aufmerksamkeit für das umstrittene Projekt schufen am Dienstag Gegner der Aktion. Als auf Bitten der taz ein Reporter der polnischen Gazeta Wyborcza den Stein aufsuchte, war er in rot und weiß mit Sprühfarbe beschmiert. „Raus“, stand nun zu lesen und „Szwaby“ – „Kraut“, ein Schimpfwort für Deutsche, wie ein auch in der taz veröffentlichtes Foto zeigt.

Deutsche Minderheit fürchtet Provokation

Die deutsche Minderheit in Beuthen befürchte nun, dass der Gedenkstein von polnischen Nationalisten als Provokation aufgefasst wird, schreibt die Seite Wochenblatt.pl. Sie hätten Angst, dass nach dem Stein auch ihre Geschäftsräume angegriffen werden könnten.

Der Leiter der Gedenkstättenstiftung von Niedersachsen, Jens-Christian Wagner, kündigte an, gegen die Initiatoren Strafanzeige zu erstatten. Ähnliches kündigte das Institut für Nationales Gedenken in Polen an und forderte, den Stein schnellstmöglich zu entfernen. Möglicherweise ermittelt demnächst die Justiz.

Zusätzlich verwirrten die von Protschka auf seiner Facebook-Site veröffentliche Fotos der Enthüllungsaktion von Sonntag. Dort wo „Junge Nationalisten“ aus dem Stein herausgemeißelt wurde, sind die Bilder augenscheinlich mit einem Bildbearbeitungsprogramm retuschiert. Schnell machte auf Twitter die Behauptung die Runde, Protschka habe die Bilder manipuliert. JA-Chef Derksen, der in Protschkas Bundestagsbüro arbeitet, sagt, die Bilder habe man aus Polen so erhalten. Offenbar wollte man dort die Arbeit des Steinmetzen kaschieren.