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Wie sich Bürger gegen Neonazikonzerte wehren

 

Der Ortsvorsteher eines Dorfes im Südwesten veranstaltet Konzerte mit rechtsextremen Bands. In der Lokalpolitik regt sich kaum Protest dagegen – bei den Einwohnern umso mehr.

Ein Gastbeitrag von Timo Büchner

Eine Initiative in Baden-Württemberg kämpft gegen rechtsextreme Musikveranstaltungen. © Photo by William Iven on Unsplash

Der Saal im Alten Rathaus war voll. 80 Besucherinnen und Besucher waren gekommen, manche mussten stehen. „Ich möchte Sie bitten, dass Sie die Informationen, die Sie heute Abend erhalten, nach außen tragen, vor Ort in die Bevölkerung tragen“, forderte meine Mitstreiterin Smilla Huck die Gäste auf.

Was die Menschen hier in Boxberg im Norden Baden-Württembergs umtrieb, war eine Veranstaltung, die am selben Abend Mitte Februar im wenige Kilometer entfernten Stadtteil Bobstadt stattfand: ein Konzert mit dem Titel Groll der Allmacht, bei dem die Black-Metal-Band Eishammer auftrat. Die Texte der Band lavieren zwischen germanischer Mythologie und extremer rechter, der Sänger pflegt Kontakte ins Neonazimilieu.

Der Informationsabend im Rathaus war unsere Form des Protests. Bereits einige Jahre zuvor hatte ich in der Region die Initiative Mergentheim gegen Rechts gegründet, die sich mittlerweile Netzwerk gegen Rechts Main-Tauber nennt. Mit der Gruppe habe ich den Veranstalter von Groll der Allmacht im Blick: Heiko Gubelius, zugleich Vizeortsvorsteher von Bobstadt. Gubelius engagiert sich seit Jahren ehrenamtlich für die Dorfgemeinschaft mit gut 400 Einwohnern, ist beliebt bei den Bürgerinnen und Bürgern.

Antisemitisches Konzert als Kulturprogramm

Doch er hat ein eigenartiges Verständnis von Kulturleben im Ort: 2016 veranstaltete er ein Festival auf einer Waldlichtung nahe Bobstadt und lud dazu die antisemitische Band Permafrost aus Sachsen-Anhalt ein. Ihre Musik ist dem National Socialist Black Metal (NSBM) zuzuordnen, einer extrem rechten, im Laufe der Neunzigerjahre entstandenen Strömung des Black Metal. Zuvor hatte Permafrost ein Cover des Songs Blutlied aufgenommen, in dem zum Mord an Jüdinnen und Juden aufgerufen wird.

Im Protestbündnis suchten wir Gespräche mit der Stadt Boxberg und den Einwohnern des Dorfes, um den Auftritt zu verhindern. Ohne Erfolg: Der Bürgermeister schwärmte vom leidenschaftlichen Engagement des Vizeortsvorstehers, die meisten Bürger schwiegen.

Nun, vier Jahre später, legte Heiko Gubelius mit dem Groll-der-Allmacht-Konzert nach. Die Band Eishammer spielt besonders gern mit Liedtexten, die sich doppeldeutig interpretieren und zwischen germanischer Mythologie und Rechtsextremismus verorten lassen: „Aus Eisen schuf er die Ahnen / Stolz tragen wir seinen Namen / Empor aus des Vaters Glut / Erhob sich germanische Wut„. Üblicherweise verspüren Rechtsrock-Bands eine „germanische Wut“ auf alles, was nicht in das Weltbild der Neonazis passt.

Ernüchternde Reaktionen

Der Sänger von Eishammer lässt öffentlich Sympathien für die rechte Szene erkennen. Auf Facebook gefallen ihm einschlägig bekannte Rechtsrock-Bands wie Blutzeugen und Überzeugungstäter sowie diverse Rechtsrock-Events und -Vertriebe. Außerdem ist er in dem Netzwerk mit NPD-Kadern wie Sebastian Schmidtke und Jonathan Stumpf befreundet.

Erneut suchten wir das Gespräch mit der Stadt, abermals waren die Reaktionen ernüchternd: Der Bürgermeister ignorierte mehrere Anfragen, der Ortsvorsteher wollte sich nicht äußern, ein Gemeinderat ärgerte sich über kritische Nachfragen. Sie sind sich einig: Die Stimmung im Dorf sei friedlich und harmonisch gewesen. Aber dann seien Außenstehende, wie die Presse, gekommen und hätten Chaos gestiftet. Die Reaktionen zeigen, wie schwer sich ein Teil der bürgerlich-konservativen Kräfte mit der viel beschworenen Brandmauer gegen Neonazis tut und wo die Herausforderungen im Kampf gegen die extreme Rechte bereits ansetzen. Nicht nur im Osten, sondern bundesweit.

Wir überlegten im Bündnis, wie wir die Bevölkerung vor Ort am besten erreichen können, und entschieden uns für eine öffentliche Veranstaltung, in der wir unsere Kritik vortragen und mit Menschen aus Bobstadt ins Gespräch kommen können. Als Motto formulierten wir die Forderung: „Neonazis KEINE Bühne bieten!“ Unterstützer in der Politik fanden wir dann doch noch: Zwei Boxberger Gemeinderäte zeigten Haltung und mieteten für uns den Saal des Alten Rathauses.

Kippt jetzt die Stimmung?

Eine kurze Ankündigung unserer Veranstaltung in der Lokalzeitung genügte, um den Raum zu füllen. Im ländlichen Raum darf ein Abend mit 80 Gästen durchaus als Großveranstaltung gelten. Das erste Mal ließ sich vor Ort etwas bewegen. Ein Umdenken deutete sich an. So meldete sich ein Besucher nach meinem Vortrag und gestand, er habe zuvor gedacht, wir seien „Linksextremisten“. Nun sei er erstaunt und positiv überrascht.

Streuen die Gäste die Informationen unter den 400 Einwohnerinnen und Einwohnern des Dorfes, könnte die Stimmung im Falle der Neuauflage eines rechtsoffenen Konzertes kippen. Für mich steht fest: Auf dem Weg zur zivilgesellschaftlichen Brandmauer gegen Neonazis kann das nur der Anfang sein.

Timo Büchner ist das Pseudonym eines Aktivisten, der 2014 gemeinsam mit Freundinnen und Freunden die Initiative Mergentheim gegen Rechts gründete, um über Neonazis und deren Aktivitäten in Bad Mergentheim (Main-Tauber-Kreis) in Nordwürttemberg aufzuklären. Die Initiative weitete ihre Arbeit im Zuge der Gründung und des zunehmenden Erfolgs der AfD auf den gesamten Landkreis aus. Daher benannte sie sich in Netzwerk gegen Rechts Main-Tauber um. Die Identität des Autors ist der Redaktion bekannt.