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Totschlag in Celle: Aus Hass erstochen?

 

In Niedersachsen soll ein Deutscher einen 15-jährigen Flüchtling erstochen haben. Der Verdächtige pflegt eine Nähe zu rechtsextremen Verschwörungstheorien. Die Polizei vermutet dennoch kein politisches Motiv.

Von Henrik Merker

Der Tatort: eine Bushaltestelle am Bahnhof in Celle © dpa/Ole Spata

Am späten Dienstagabend wurde der 15-jährige Flüchtling Arkan Hussein Kh. im niedersächsischen Celle erstochen. Zeugen hielten den mutmaßlichen Täter Daniel S. fest, bis die Polizei kam. Das Opfer ist ein irakischer Jeside, der 29-jährige Festgenommene ein Deutscher. Dennoch teilt die Polizei mit, die Ermittlungen hätten „in keiner Hinsicht Anhaltspunkte für eine ausländerfeindliche oder politisch motivierte Tat“ geliefert. Kh. soll demnach nur kurz mit seinem Fahrrad an einer Bushaltestelle am Bahnhof gestanden haben, als er von dem wegen Drogenbesitz vorbestraften Pflegehelfer anlasslos angegriffen wurde.

Doch ob der Flüchtling ein Zufallsopfer war, daran sind zumindest Zweifel erlaubt. ZEIT ONLINE stieß bei Recherchen zu Daniel S. auf drei Social-Media-Konten, die eine Nähe zu rechtsextremen Verschwörungsideologien belegen. Die Polizei bestätigte, dass es sich beim Inhaber der Accounts um den Verdächtigen handelt. Mehrere Neonazis und Rechtsradikale befinden sich unter den Onlinefreunden von Daniel S. Nicht alle seine Onlinebekanntschaften scheinen indes politisch begründet. Auch Kurden und Türken sind darunter.

Antisemitismus und QAnon-Ideologie

Auf Facebook folgt S. Seiten mit Titeln wie „Die Verschwörungstheorie“ und „Von wegen Verschwörungstheorie“. Sie verbreiten Inhalte der seit 2017 im Internet kursierenden QAnon-Ideologie, auf die sich bereits der Attentäter von Hanau bezog. Die Seitenbetreiber behaupten, die deutsche Geschichte sei gefälscht, sie zitieren die antisemitischen Protokolle der Weisen von Zion und stellen den Holocaust infrage. Auch der antisemitische Attentäter von Halle bekannte sich in dem Video, das seine Tat zeigt, als „Anon“.

Neben judenfeindlichen Mythen verbreiten die Seiten auch Reichsbürger-Statements, nach denen die Bundesrepublik eine GmbH sei und das Deutsche Reich weiter existiere. Auch eine Seite der Flacherde-Verschwörungstheorie ist darunter. Deren Anhänger glauben, die Erde sei eine Scheibe. Inhaltlich steht die Seite der Reichsbürger-Bewegung nahe und bezweifelt ebenfalls die Existenz der Bundesrepublik.

Und auch von S. gelikte Seiten, die vermeintlich schwarzen Humor verbreiten sollen, sind antisemitisch motiviert. Eine davon teilt ein Bild, in dem der Rückgang der jüdischen Bevölkerungszahl durch den Holocaust als Witz verwendet wird, garniert mit einem Hakenkreuz.

Ein antisemitisches Meme auf einer der geliketen Seiten des Tatverdächtigen © Screenshot Störungsmelder

Im Internet radikalisiert?

Wie schnell Internetnutzer mit rechtsextremen Ideologien konfrontiert werden, zeigen andere Seiten, die Daniel S. gefallen. Sie tragen weit weniger offensichtliche Namen, nennen sich“ lustige Bilder“ oder „Lachen ist die beste Medizin“. Unter dem Deckmantel bemüht spaßiger Memes streuen die Betreiber offenbar gezielt politische Inhalte, die sich gegen die Bundesrepublik und gegen vermeintliche Ausländer richten. Nach den Seiten gefragt, teilt die Pressestelle der Polizei Celle mit, diese seien den Ermittlern bislang nicht aufgefallen.

Auch den regierungsnahen russischen Sender RT Deutsch hat Daniel S. abonniert. RT Deutsch fiel zuletzt mit fragwürdigen Meldungen über das Coronavirus auf. Auch Protagonisten der QAnon-Ideologie kommen im Programm zu Wort. Das Bundesinnenministerium geht wegen der Falschmeldungen sogar von einer möglichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus.

Bereits bei früheren rechtsextremen Taten stieß man bei den Tätern auf Mischideologien, die sich aus Falschmeldungen, Rassismus, Antisemitismus und wahnhaftem Verschwörungsdenken speisten. Die Täter lebten meist zurückgezogen, waren internetaffin und bewegten sich dort in in einem Umfeld radikaler Ansichten. Selbst das persönliche Umfeld nahm davon meist offenbar keine Notiz. Ob solche Ideologien bei der Tat in Celle eine Rolle spielten, ist derzeit unklar – aber nicht ausgeschlossen.

Mitarbeit: Michael Trammer