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Zwei Geständnisse und zahllose Fragen

 

Im Prozess wegen des Mordes an Walter Lübcke prägen Videos von Vernehmungen des Hauptangeklagten die ersten Tage. Sie stecken voller Widersprüche.

Von Martín Steinhagen

Der Hauptangeklagte Stephan E. (Mitte) mit seinen Verteidigern © dpa/Thomas Lohnes

In Saal 165C des Frankfurter Oberlandesgerichts erklingt in diesen Tagen eine Warnung aus der Vergangenheit. Auf einer Leinwand wird das Video einer Vernehmung vorgeführt, zu sehen ist der Angeklagte Stephan E. Bei der Befragung vom 8. Januar richtet ein Ermittlungsrichter mahnende Worte an den Mann, der den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen haben soll: „Irgendwas passt da nicht, vorne und hinten.“

Die Aufnahmen zeigen seine zweite Vernehmung, E. sitzt in schwarzer Trainingsjacke und Fußfesseln in einem Vernehmungszimmer im Polizeipräsidium Nordhessen in Kassel. Das, was er dabei erzählt, unterscheidet sich fundamental von den Angaben, die er kurz nach seiner Festnahme im Juni 2019 gemacht hat. Die Richter im Strafprozess würden seine Widersprüche erkennen, warnt der Ermittlungsrichter, schließlich seien sie nicht leichtgläubig, würden sich „nicht die Hose mit der Kneifzange zumachen“, wie er es ausdrückt.

Zu Beginn weinte er

In dieser Woche sitzt Stephan E. im dunklen Anzug und weißen Hemd vor dem Gericht in Frankfurt. Der Mitte Juni begonnene Prozess soll klären, ob E. für den Mord an Walter Lübcke und den Messerangriff auf einen jungen Geflüchteten aus dem Irak verantwortlich ist. Gleich drei Aufzeichnungen von widersprüchlichen Aussagen von Stephan E. spielen in der Verhandlung eine zentrale Rolle. Sie sind der Auftakt zur Beweisaufnahme und dürften auch für das Urteil von Bedeutung sein.

Ein erstes Video zeigt Stephan E., wie er am 25. Juni 2019, kurz nach seiner Festnahme, den Mord an Lübcke gesteht. Detailliert, wenn auch mit auffälligen Auslassungen, schildert er seine politische Gedankenwelt, die Vorbereitung der Tat. Er weint, spricht gar von Reue.

Zwei weitere Videos zeigen den 46-Jährigen, wie er versucht, im Beisein seines Anwalts Frank Hannig eine andere Version der Tatnacht glaubhaft zu machen. Nicht er sei der Täter, behauptet er erstmals am 8. Januar dieses Jahres und erneut am 5. Februar, sondern sein Kamerad Markus H. Der habe, „wie ich glaube, Herrn Lübcke versehentlich erschossen“. Es sei lediglich geplant gewesen, dem Kasseler Regierungspräsidenten gemeinsam einen „Denkzettel“ zu verpassen und ihn mit einem Revolver einzuschüchtern. In seinem ersten Geständnis habe er absichtlich wie ein „Psycho-Nazi“ wirken wollen.

Viele Fragen an den Angeklagten

Der Ermittlungsrichter macht schon den Untersuchungshäftling E. auf einen „Fundamentalwiderspruch“ aufmerksam: Warum habe er zuerst einen Mord gestanden, wenn sich doch ein Unfall ereignet hatte, warum habe er nicht von Anfang an die für ihn „sehr viel bessere Wahrheit“ erzählt? Warum hatte er seinen früheren Kameraden Markus H., inzwischen der Beihilfe zum Mord angeklagt, auch in seinem widerrufenen Geständnis überhaupt erwähnt, wenn er ihn angeblich doch habe decken wollen?

Auch andere Fragen drängen sich auf: So schildert E., wie die beiden äußerst klandestin vorgegangen seien, Tarnkennzeichen am Auto montierten, die Handys zu Hause ließen, dann aber Lübcke unmaskiert gegenübertraten – obwohl sie nicht planten, ihn zu töten, also befürchten mussten, wiedererkannt zu werden? Und warum entsorgte E. die Tatwaffe nicht, sondern vergrub sie gefettet und geölt mit seinem Arsenal in einem Erddepot?

Es fällt dem Stephan E. aus der Vergangenheit sichtlich schwer, darauf überzeugende Antworten zu geben. Das dürfte auch der Stephan E. merken, der seine zweite und dritte Vernehmung nun im Frankfurter Prozess auf einer Leinwand im Saal erneut verfolgt. Dennoch wirkt manches Detail in seiner zweiten Version nicht unplausibel und auch das erste Geständnis, das die Bundesanwaltschaft ihrer Anklage zugrunde legt, hat Lücken. Könnte in beiden etwas von der Wahrheit liegen?

Wenige Angaben zum Umfeld

Besonders, wenn es um die rechte Szene geht, aus der sich E. nach eigenen Angaben schon vor zehn Jahren gelöst haben will, wird der Mann mitunter schmallippig. Er räumt zwar Kontakte zu vielen Szenegrößen ein, will aber etwa keine Namen von früheren Kameraden aus seiner „Anti-Antifa-Zeit“ nennen. Erst auf Nachfrage erwähnt er Besuche bei AfD-Stammtischen, die noch nicht so lange zurückliegen, räumt Spenden an die Partei und die Identitäre Bewegung ein. Unerwähnt lässt er, dass er auch einem anderen rechtsradikalen Verein Geld zukommen ließ, wie die Ermittler nach Informationen von ZEIT ONLINE rekonstruiert haben.

Stephan E. fürchte, wenn er Namen nenne, werde man ihm eine „Terrorverschwörung“ anhängen, obwohl es die nicht gegeben habe, erklärt Verteidiger Hannig in der Vernehmung vom Februar dieses Aussageverhalten. Und E. berichtet gar, er habe sich auch deswegen eingelassen, weil er aktiv dem Verdacht entgegentreten wollte, dass es ein rechtes Netzwerk gäbe, gar Verbindungen zum Nationalsozialistischen Untergrund. Auf die Frage eines Ermittlers in der aufgezeichneten Vernehmung vom Februar, ob er denn Personen kenne, die solche Kontakte hatten, folgt erst eine lange Pause und dann als Antwort nur ein Nein.

Signal an die Szene

Im Gegensatz dazu ist E. bemüht, seinen ehemaligen Weggefährten Markus H. ins Zentrum des Geschehens zu rücken. H. nimmt das bisher zumindest äußerlich gelassen zur Kenntnis. Er hat zu dem Vorwurf, er habe Beihilfe zum Mord an Lübcke geleistet, bislang geschwiegen. Die Wahl seiner beiden Pflichtverteidiger wird man aber wohl als Signal an die eigene Szene interpretieren können: Sowohl Björn Clemens als auch Nicole Schneiders vertreten immer wieder Angeklagte aus der extremen Rechten.

Während die Verteidigung von Markus H. den Prozess in Frankfurt als politisch kritisiert, will sie den Mord an Lübcke entpolitisieren. Es steckten viel mehr „psychopathologische“ Motive von Stephan E. dahinter, erklärt der Düsseldorfer Strafverteidiger Clemens vor Gericht, denn: „Politische Täter bereuen nichts.“

Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel hat in den ersten Tagen klargemacht, dass ihm an einer zügigen Hauptverhandlung gelegen ist. Nun steht aber erst einmal eine dreiwöchige Pause an, bevor Ende Juli fortgesetzt wird.

Dann soll Jan-Hendrik Lübcke aussagen, der seinen Vater in der Mordnacht aufgefunden hatte. Danach hat Sagebiel gleich drei Verhandlungstage freigehalten, weil die Verteidiger von E. angekündigt haben, dass dieser sich „umfassend und vollständig“, aber schriftlich, äußern werde. Drei Tage, weil es „zahllose Rückfragen“ geben werde, wie Sagebiel es formulierte.

Spätestens dann wird sich E. vielleicht nochmals an die Warnung des Ermittlungsrichters erinnern. Vielleicht denkt er aber auch vor allem an die Worte seines Verteidigers Frank Hannig, auf dessen Rat hin er sein erstes Geständnis widerrief. Bei einer der Vernehmungen hatte der ihm gesagt: „Herr E., es geht hier um Ihren Arsch.“