Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Propaganda auf dem Parkdeck

 

Neonazis aus dem Südwesten kopieren die Strategie der Identitären Bewegung: Mit perfider Inszenierung suchen sie Aufmerksamkeit – und verbreiten rassistische Botschaften.

Von Timo Büchner

Rechtsextremismus: Propaganda auf dem Parkdeck
An der Fassade dieses Parkhauses hatten Neonazis ein rassistisches Banner gehisst. © Timo Büchner

Lodernde Flammen, greller Lichtschein, dichter Rauch: Bengalische Feuer bringen Licht in die Dunkelheit der Nacht. Ein Dutzend vermummter Neonazis läuft über ein düsteres Bahnhofsgelände, durch die verlassene Unterführung, ins Parkhaus. Auf der oberen Etage erleuchten sie die Fassade und hissen ein Banner mit der rassistischen Parole „Migration tötet!“.

Zu der rechten Propagandaaktion kam es Mitte Dezember 2020 in Osterburken, einer Kleinstadt mit 6.500 Einwohnern im Nordosten Baden-Württembergs. Ein Video davon verbreitete wenige Tage später die Gruppierung Junge Revolution in den sozialen Medien. Der Clip scheint die Kopie eines Erfolgsmodells der extremen Rechten zu sein: Mit symbolträchtiger Propaganda platzierte sich schon die international vernetzte Identitäre Bewegung (IB) auf dem Radar der Öffentlichkeit. Ein Erfolg, dem andere Strömungen nacheifern.

Die Botschaft des Banners ist unmissverständlich: Jugendliche wehren sich gegen angeblich kriminelle Migrantinnen und Migranten. Die Neonazis vermitteln das Bild, die Straße gehöre ihnen, niemand könne sie stoppen – weder die Antifa noch der Staat. Das Video hat bereits das Interesse der Sicherheitsbehörden geweckt.

Aufmerksamkeit war gewiss

Parallelen zu bekannten Vorreitern entdeckt auch Simone Rafael, die sich in der Amadeu Antonio Stiftung seit Jahren mit den Online-Strategien der extremen Rechten beschäftigt: „Das erinnert an die mediale Inszenierung der Identitären: professioneller Dreh, professioneller Schnitt und klare Botschaften. Die Gruppe hat kopiert, was die Identitären mehrere Jahre praktiziert haben.“

Die IB gab sich von Beginn an das Image einer Jugendbewegung. Aber sie war weder jugendlich noch eine Bewegung. Ab 2012 fielen die Identitären in Deutschland, Frankreich und Österreich durch ihre Aktionen auf. Mehrfach hissten sie rassistische Banner: die IB Österreich im April 2016 am Dach der Grünen in Graz, die IB Deutschland im August 2016 auf dem Brandenburger Tor. Die mediale Aufmerksamkeit war gewiss.

Im Gegensatz zur IB sind die Neonazis aus dem Video tatsächlich jung: Sie sind allesamt rund 20 Jahre alt, verkehren allerdings teilweise bereits seit Jahren in der Szene. Mitte 2020 gründeten sie die Gruppierung Nord Württemberg Sturm (NWS), einen regionalen Ableger der Jungen Revolution, die den Clip veröffentlichte. Die Mitglieder traten insbesondere durch Wanderungen im Landkreis Schwäbisch Hall in Erscheinung: Anfang Juli spazierten Dutzende Neonazis zum Schloss Langenburg, Anfang September nahe Satteldorf. Mitte November plante der NWS gar einen geheimen Kameradschaftsabend. Jedoch musste er wegen der Covid-19-Pandemie abgesagt werden.

Rechtsextremismus: Propaganda auf dem Parkdeck
Ein Sticker der übergeordneten Jungen Revolution am Bahnhof von Osterburken © Timo Büchner

Auch die Junge Revolution ist fest in den Kreisen des rechten Nachwuchses verankert. Gegründet wurde sie 2019 vom damals 17-jährigen Sanny Kujath. Der Jungnazi ist inzwischen vom sächsischen Zwickau nach Kloster Veßra in Thüringen gezogen. Dort macht er eine Ausbildung zum Koch im Gasthaus Goldener Löwe, das dem Neonazi Tommy Frenck gehört. Es ist ein bundesweiter Treffpunkt der extremen Rechten; auch der NWS besuchte die Immobilie bereits.

Düsteres Bild der Gegenwart

Pikant ist die Tatsache, dass das Propagandavideo aus Baden-Württemberg mit einem Lied des Rechtsrappers Komplott unterlegt wurde. Der Musiker war der erste Rapper aus den Reihen der Identitären, mittlerweile hat er sich aus der neurechten Musikszene zurückgezogen. Das martialische Stück malt ein düsteres Bild der Gegenwart, die Rede ist von „Überfremdung“. Dazu propagiert es eine glorreiche Zukunft. Die hämmernden Beats sorgen für die passende Atmosphäre.

Während die Mitglieder der Identitären in den meisten Fällen ihre Gesichter zeigten, versucht die Mehrheit der NWS-Mitglieder, ihre Anonymität zu wahren. „Einerseits wollen Neonazis aus Furcht vor beruflichen Konsequenzen unerkannt bleiben, andererseits wollen sie mit ihren Aktionen eine maximale Reichweite erzielen. Das ist meist eine Gratwanderung“, erklärt Simone Rafael von der Amadeu Antonio Stiftung. Im Falle des NWS sind die zentralen Köpfe bekannt. Marc R., ein Drahtzieher der Gruppierung, stammt aus einem Stadtteil von Osterburken und arbeitet als Kfz-Mechaniker in einem Autohaus nur wenige Fußminuten vom Drehort entfernt. Insofern dürfte die Entscheidung, das Video dort zu drehen, kein Zufall gewesen sein.

Der Blaupause dafür, den öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Identitären Bewegung, war zwischenzeitlich ein regelmäßiges Medienecho sicher. Doch heute versinken die Identitären in der Bedeutungslosigkeit. Den Jungnazis aus dem Südwesten könnte dasselbe Schicksal drohen – doch nur, wenn ihre Inszenierung entlarvt wird.