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Fragwürdige Traditionslinien

 

Der Film „Operation Walküre“ über das Stauffenbergattentat auf Hitler sorgte im Januar für viel Diskussionen im Blätterwald und im Netz. Dabei stand jedoch weniger die Rolle Stauffenbergs an sich im Mittelpunkt der Diskussion, sondern vielmehr der Stauffenberg-Darsteller Tom Cruise. Es wurde in erster Linie die Frage gestellt, ob ein Scientology-Anhänger die Rolle Stauffenbergs überhaupt spielen „darf“.

Viel spannender sind meines Erachtens jedoch die Fragen, wer Stauffenberg wirklich war, welche politischen Postionen er vertrat und warum er in Deutschland als „Held“ inszeniert wird.

Der Frage nach der Bedeutung des Stauffenberg-Attentats für die Erinnerungskultur in der Bundesrepublik stellt sich die Arbeitsgruppe “Never going home” in ihrer Broschüre „Fragwürdige Traditionslinien. Stauffenberg und der 20. Juli im deutschen Erinnerungsdiskurs“. In mehreren lesenwerten Artikeln diskutieren die Autor/innen die Motive der Beteiligten am Attentat ebenso, wie sie die Bedeutung der Erinnerung an das Attentat für Diskussionen um den Einsatz der Bundeswehr herausarbeiten.

Dabei kommen die Macher/innen zu einem sehr kritischen Bild, dass sich auf jeden Fall nachzulesen lohnt.

Die Broschüre beginnt mit folgendem, fast schon programmatischen Zitat:

„Allein die Bezeichnung ,Widerstand“ für die Männer des 20. Juli erscheint mir vermessen. Es handelt sich wohl doch eher um schwankende Opposition. Die Partisanen in Polen und in der Sowjetunion, in Jugoslawien und Frankreich, die Haltung des Hofes und der Nazigegner in Dänemark, der Aufstand im Warschauer Ghetto, der Aufstand in Sobibor, der Widerstand in Auschwitz, Buchenwald und Mauthausen – das sind nur Beispiele für die europäische Geschichte des Widerstands gegen deutsche Besatzung, gegen den Nationalsozialismus und damit – und dies sei zu betonen – gegen die deutsche Wehrmacht, gegen preußisches Soldatentum und deutsche Militärtradition.“
Frank Stern, Wolfsschanze versus Auschwitz. Widerstand als deutsches Alibi?,
in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Jg. 42 (1994), S.
647.

Des Weiteren sind folgende Artikel in der Broschüre zu finden:

Eine Frage der Ehre? Motive und Weltbild der Attentäter vom 20. Juli 1944
Es lässt sich längst belegen, dass diejenigen, die den Kopf Hitlers forderten, selbst Anhänger nationalsozialistischer Ideen waren.

Vom Vaterlandsverräter zum nationalen Helden. Der Diskurs um den 20. Juli von
1945 bis heute

Das Gedenken an den 20. Juli leistet einen Beitrag zur Legitimierung deutscher Außenpolitik sowie der Einsätze der Bundeswehr und popularisiert das Opfer für das deutsche Vaterland.

Superheld in Uniform.
Repräsentation des deutschen militärischen Widerstands im Film Valkyrie und die zahlreichen früheren Verfilmungen des 20. Juli bieten Heldenerzählungen über Stauffenberg an, die ihn für – vermeintlich moralisch einwandfreie – militaristische und nationalistische Diskurse anschlussfähig machen.

Entlastung von der Geschichte. Geschichtspolitische Umdeutung, Relativierung
und Revisionismus

Kurzer Überblick über geschichtspolitische Entlastungsdiskurse von der Schlussstrichdebatte über die Totalitarismustheorie bis hin zur Täter-Opfer-Umkehr.

Opfer für das Höhere. Vaterlandsliebe, Nation und Nationalismus
Nationalismus und Patriotismus werden als dem Wesen nach gleiche Haltungen analysiert, als Bereitschaft, das Wohlergehen der Nation auch gegen die eigenen Interessen zum höchsten Ziel zu erklären und für sie Opfer zu erbringen.

Viel Spaß beim Lesen!