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Hitlers Zweites Buch: Mit den europäischen Nationen gegen amerikanische Globalisierung?

 

Dass Hitler der Autor des zweibändigen Machwerks „Mein Kampf“ ist, dürfte allgemein bekannt sein. Weniger bekannt hingegen ist die Tatsache, dass er im Laufe seines Lebens nicht nur zahlreiche Reden gehalten, sondern noch ein zweites Buch geschrieben hat. Dies wurde allerdings zu seinen Lebzeiten nicht mehr veröffentlicht. Erst im Jahre 1961 konnte der Text durch das „Institut für Zeitgeschichte“ in Deutschland einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Im Mai 1945 wurde das Manuskript im Zentralverlag der NSDAP, Franz Eher Nachfolger, beschlagnahmt. Einem Übergabeprotokoll und entsprechenden Angaben Josef Bergs, einem ehemaligen Verlagsmitarbeiter in leitender Stellung, zufolge, sollte es sich bei dem in Maschinenschrift gehaltenen Text angeblich um ein „unpublished work by Adolf Hitler“ handeln. „It was written over 15 years ago und locked up in a safe.“, heißt es in dem Übergabeprotokoll. Erst im Jahr 1951 erreichten das „Institut für Zeitgeschichte“ nach Angaben des Historikers Hans Rothfels (1891-1976) Nachrichten, wonach es ein zweites Buch von Adolf Hitler geben solle. Nachdem das Institut im Jahr 1958 durch Josef Berg selbst Hinweise erhalten hatte, dass sich das entsprechende Manuskript in den USA befinden müsste, konnten Nachforschungen angestellt werden. Eine Kontaktaufnahme mit Gerhard Weinberg von der Michigan University brachte schließlich den Erfolg. Das Manuskript konnte aufgefunden und im Jahr 1961 samt einem kritischen Kommentar veröffentlicht werden.

An der Authentizität des Textes bestehen nur geringe Zweifel. Nicht nur ist die Gedankenführung mit der aus Hitlers Hauptwerk „Mein Kampf“ identisch oder vereinbar, vielmehr finden sich auch hervorstechende Ähnlichkeiten zu einer von Hitler gehaltenen und am 18. Juli 1928 im „Völkischen Beobachter“ abgedruckten Rede. Schließlich soll Hitler in Gesprächen selbst die Existenz seines zweiten Buches angedeutet haben, dies jedenfalls rekonstruiert Weinberg aus verschiedenen Ausgaben der als „Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier“ berühmt gewordenen Aufzeichnungen. Weinberg kommt zu der Schlussfolgerung, dass die entsprechende Äußerung Hitlers als „echt angesehen werden“ darf.

Dabei ist wenig verständlich, wie Rothfels und Weinberg gleichermaßen zu dem Urteil gelangen konnten, dieses Buch sei hinsichtlich der Brutalität seiner Sprache „zum Teil noch schriller (…) als (…) ‚Mein Kampf'“. Im Gegenteil: Hassausbrüche gegen Juden und andere vermeintliche Gegner halten sich, wenn überhaupt, auf ähnlichem Niveau wie in Hitlers Hauptwerk.

Auch dem Diktum Weinbergs, das Buch würde außer der These, dass in späteren Zeiten auch eine Auseinandersetzung mit den USA herbeizuführen sei, eigentlich nichts Neues beinhalten, darf widersprochen werden. Denn zumindest auf den ersten Seiten des Textes präsentiert der „Führer“ in einer regelrecht luzide zu nennenden Form die Grundaxiome seiner Politik, wie das die eher erzählerisch und assoziativ gehaltenen zwei Bände von „Mein Kampf“ fast vollständig vermissen lassen. Hitler nämlich stellt die These auf, dass der größte Wert und Trieb allen Lebens das Trachten nach Selbsterhaltung sei: „Der Größe des Triebes nach Selbsterhaltung entsprechen die beiden mächtigsten Triebe: Hunger und Liebe.“ Da die Liebe tendenziell Privatsache ist, bleibt nur noch der Hunger als Gegenstand der Politik. Für Hitler ist dabei klar, dass das damalige Deutschland aufgrund der angeblich zu dichten Besiedelung von 136 Menschen je Quadratkilometer langfristig nicht in der Lage sein würde, die angestammte Bevölkerung zu ernähren. Folglich bleiben nur zwei Auswege zur Erhaltung jener „Substanz aus Fleisch und Blut“, die Hitler mehrfach „Volkskörper“ nennt: „Entweder man versuchte die Raumnot zu beheben, also neuen Boden zu erwerben, oder man wandelte das Reich in eine große Exportfirma um.“ Aus den so auf dem Weltmarkt erzielten Mehreinnahmen könnten dann nämlich die Mehrbedarfe an Agrarprodukten finanziert werden.

Dem Drang auf den Weltmarkt sieht Hitler jedoch enge Grenzen gesetzt: „Der Absatzmarkt der heutigen Welt ist kein unbegrenzter. Die Zahl der industriell tätigen Nationen hat dauernd zugenommen. (…) Je mehr aber die Absatzschwierigkeiten wachsen, um so erbitterter wird der Kampf um die übrigbleibenden geführt werden. Wenn nun auch die ersten Waffen dieses Kampfes in der Preisgestaltung und in der Güte der Waren liegen, mit denen man gegenseitig sich niederzukonkurrieren versucht, so liegt aber die letzte Waffe endlich auch hier beim Schwert.“ Hitler fürchtet also, und dies scheint zunächst ganz paradox, dass aus einer globalen Wettbewerbsposition heraus militärische Kriege erwachsen könnten, in die dann auch Deutschland verwickelt wird – und lehnt  dieses kategorisch ab. Allerdings hat das vor allem damit zu tun, dass Hitler Deutschland durch den Versailler Vertrag militärisch für enorm geschwächt hält und schlicht befürchtet, es könne in entsprechenden kriegerischen Auseinandersetzungen nicht bestehen. Insbesondere äußert er in seinem „zweiten Buch“ immer wieder die Befürchtung, Deutschland könne sich erneut das wirtschaftlich und militärisch potente England zum Feind machen. Und genau dies will Hitler um jeden Preis verhindern.

Wenn er sich daher – ganz nebenbei – außerdem gegen eine Politik des ständigen Krieges ausspricht, weil dies auf Dauer „zu einer Rassenauslese innerhalb eines Volkes führt, die eine bevorzugte Vernichtung des besten Elementes bedeutet“, so darf dies keinesfalls mit einem pazifistischen Bekenntnis verwechselt werden. Im Unterschied zu zahlreichen seiner Anhänger spricht sich Hitler schlicht für eine kalkulierende Strategie des Krieges aus, die Verluste und mögliche Gewinne in ein „angemessenes“ Verhältnis zueinander setzt. So macht sich Hitler geradezu über diejenigen Völkischen lustig, die eine Revision der deutschen Grenzen gemäß 1914 fordern. Dies könne, so Hitler, nur dazu führen, sich alle Feinde des Ersten Weltkriegs zum zweiten Mal auf den Hals zu ziehen und erneut erhebliche Verluste zu erleiden. Auch erteilt er „vaterländischen Verbändler(n)“ eine erstaunlich nüchterne Abfuhr, die die Wiedereingliederung von Südtirol fordern: „Es geht (…) nicht an, aus den gesamt abgetrennten Gebieten eines und zwar das lebensunwichtigste herauszugreifen und die gesamten Interessen eines 70 Millionen Volkes auf das Spiel zu setzen (…).“ Sein Vorschlag lautet, dass Deutschland „aus der bisherigen Koalition der Siegerstaaten einzelne“ herausbrechen und „eine neue Interessentengruppe mit neuen Zielen“ bilden müsse. Und hierzu zählt er vor allem England und Italien.

Allerdings sind derartige Bündnisse für Hitler freilich kein Selbstzweck. Denn am Ende muss der Hunger des deutschen Volkes gestillt werden. Da ihm dies im Rahmen einer Exportnation auf Dauer nicht möglich erscheint, plädiert er vehement für eine kriegerische „Raumpolitik“ an Stelle einer Politik der Grenzrevision mit Weltmarktorientierung, und aus dieser ergibt sich auch sein politisches Maß für angeblich gerechtfertigte Kriege: „Es gibt nun im Völkerleben einige Wege, das Mißverhältnis zwischen Volkszahl und Grundfläche zu korrigieren. Der natürlichste ist der einer Anpassung des Bodens von Zeit zu Zeit an die gewachsene Volkszahl. Dies erfordert Kampfentschlossenheit und Bluteinsatz. Allein dieser Bluteinsatz ist auch der einzige, der vor einem Volke gerechtfertigt werden kann. Denn indem aus ihm für die weitere Vermehrung des Volkes der nötige Raum gewonnen wird, findet von selbst ein vielfacher Ersatz des auf dem Schlachtfeld eingesetzten Menschentums statt.“

Hitler will also in den Krieg ziehen – und zwar gegen Russland. Die Wahl des Kriegsgegners fällt dabei ebenso nüchtern aus wie die Auswahl seiner Wunschverbündeten. Nicht „nationale Ehre“ leiten seine Überlegungen, sondern die angeblichen Überlebensinteressen des deutschen „Volkskörpers“. Russland sei nicht nur bolschewistisch verseucht, sondern durch die Slawen rassisch minderwertig. Derartige Völker können für Hitler also keine Bündnispartner sein. Sein Schlachtruf lautet vielmehr: Lebensraum im russischen Osten erringen mit Unterstützung Englands und Italiens.

Was das alles mit den USA zu tun hat? Ausgerechnet die Vereinigten Staaten von Amerika hält Hitler für einen Staat von „höchstem rassischen Wert“. Denn nach seiner Ansicht würden vor allem die Besten und Widerstandsfähigsten einer Rasse zu deren beweglichsten „Elementen“ zählen. Hitler ist also tatsächlich der Überzeugung, dass sich in den USA die besten Exemplare der „nordischen Rasse“ Europas niedergelassen hätten und so „Kulturdünger“ für sie wären: „Die amerikanische Union ist nicht zufällig der Staat, in dem zur Zeit die weitaus meisten zum Teil unglaublich kühnen Erfindungen gemacht werden.“ Deshalb seien die USA auf dem Weltmarkt ein erheblicher Konkurrent, der es auf Dauer vermöchte, Europa in erhebliche Bedrängnis zu bringen. Man müsse ihnen daher „die Stirne“ bieten und es sei die Aufgabe der nationalsozialistischen Bewegung, „das eigene Vaterland selbst für diese Aufgabe auf das äußerste zu stärken und vorzubereiten.“ Mit Blick auf die weitere Zukunft schließt Hitler es dabei nicht aus, zu diesem Zweck eine „neue Völkervereinigung (…) aus Einzelstaaten mit hohem Nationalwert“ zu bilden. Zwar lehnt Hitler in diesem Zusammenhang ein „Paneuropa“ ab, aber keinesfalls ein „Europa mit freien und unabhängigen Nationalstaaten“.

Wenn man nicht wüsste, dass Hitler das Buch mit ziemlicher Sicherheit im Sommer des Jahres 1928 geschrieben hat und er folglich den Ausgang des Zweiten Weltkrieges sowie die sich daran anschließende Entwicklung zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ahnen konnte, müsste man ihm eigentlich eine groteske Fähigkeit zur Prophetie attestieren: Für die Entwicklung Deutschlands sieht er schon 1928 nur zwei Möglichkeiten: Raum- oder Exportpolitik. Während er sich für erstere entschied, betreibt Deutschland heute letztere. Während Hitler dabei Englands Rolle deutlich überschätzt, kann dies für die den USA zugedachte Rolle kaum behauptet werden. Im Gegenteil: Fast gewinnt man das Gefühl, seine Konzeption eines Bundes freiheitlicher Nationen Europas, die den USA auf dem Weltmarkt die Stirn bieten, wäre eine unerwähnte Blaupause heutiger Rechtsextremisten, die bekanntlich die Globalisierung und die USA zugunsten einer „Vielfalt der Völker“ zu ihren Hauptfeinden erklärt haben.

Und übrigens, bevor wir es vergessen: Ja, Hitler hetzt auch in diesem Buch gegen die „Weltjudenpresse“ oder das „Weltjudentum“. So glaubt er bspw. nicht nur, dass eine starke Exportorientierung Deutschlands kriegerische Auseinandersetzungen provozieren könnte, sondern auch, dass eine solche Strategie die Zusammenballung von Menschen in industriellen Zentren erforderte und dies der „jüdischen Völkermade“ erst recht die Möglichkeit eröffnete,  in diesem „eitrigen Herde“ „Blutsvermischung und Bastardisierung“ zu betreiben. Offenkundig jedoch ist, dass der krude Antisemitismus Adolf Hitlers in der Sache eigentlich vollständig verzichtbar wäre. Dies wird schon daran deutlich, dass Hitler an einer Reihe von Stellen schnell noch „den Juden“ als angebliche Wurzel allen Übels einbauen muss, obwohl eigentlich schon alles gesagt ist. Über einer rassistisch begründeten kriegerischen Raumpolitik wird so ein überflüssiger antisemitischer Überzug ausgebreitet. Und die Moral von der Geschicht‘: Rassismus braucht den Antisemitismus nicht.

Zu haben ist der etwa 180 Seiten umfassende Text Hitlers in Deutschland übrigens nur noch antiquarisch – und das auch noch äußerst selten. Der Preis liegt derzeit zwischen 85 und 229 Euro. Eine weitere Groteske ist dabei nur, dass bereits im Jahre 1961 das zweite Buch Hitlers durch einen deutschen Verlag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, während die Bayerische Staatsregierung bis heute den Wiederabdruck des ersten Hitlerbuches „Mein Kampf“ verweigert. In den Kinderzimmern der Republik wird sich allerdings kein Interessierter davon abhalten lassen, Hitlers „Hauptwerk“ einfach über google.de in allen Sprachen der Welt aus dem Netz herunter zu laden.

Hitlers Zweites Buch.
Ein Dokument aus dem Jahr 1928
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Eingeleitet und kommentiert von Gerhard L. Weinberg, mit einem Geleitwort von Hans Rothfels. Hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte.
Deutsche Verlags-Anstalt
Stuttgart 1961

ER
weitere Informationen: http://www.endstation-rechts.de