Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten ist in Brandenburg erstmals wieder gestiegen. Besonders in der Lausitz sind Neonazis in Netzwerken aktiv – doch die Sensibilität wächst.
Von Alexander Fröhlich
Es ist ein altes Thema in Brandenburg, das nun neue Brisanz erhält. Im vergangenen Jahr ist die Zahl rechtsextremistischer Straftaten in Brandenburg zum ersten Mal seit Jahren wieder gestiegen. Auch bei den Gewalttaten verzeichneten die Sicherheitsbehörden erstmals wieder eine Zunahme. Das geht aus der Antwort der Landesregierung auf eine Große Anfrage hervor, die die SPD und Linke am gestrigen Donnerstag vorgestellt haben. Allein bis Ende November 2012 registrierten die Ermittler 1242 rechtsextremistische Straftaten, das waren 104 mehr als 2011.
Seit 2008, als die Zahl der Straftaten mit 1640 auf dem bisherigen Höchstpunkt war, waren die Zahlen jedes Jahr zurückgegangen – bis jetzt. Bei den von Rechtsextremisten verübten Gewalttaten war sogar schon seit 2005 ein kontinuierlicher Rückgang zu verzeichnen, doch im vergangenen Jahr stieg die Zahl erstmals wieder auf 53 Fälle bis Mitte Dezember an. Hauptursache für die Zunahme bei den Gewalttaten waren Attacken auf Linke und fremdenfeindliche Gewaltstraftaten. Innenminister Dietmar Woidke (SPD) wollte trotzdem noch nicht von einer Trendwende sprechen: „Wir werden das aber gründlich auswerten.“ SPD und Linke im Landtag machten für den Anstieg rechter Straftaten eine wachsende Gewaltbereitschaft, aber auch eine höhere Aufmerksamkeit in der Bevölkerung verantwortlich. „Bürger lassen sich nicht mehr alles gefallen“, sagte Linken-Politikerin Bettina Fortunato. Selbst Hakenkreuzschmierereien würden bei der Polizei angezeigt.
Generell stellte die Landesregierung aber keine wachsende Militanz der rechtsextremistischen Szene fest. Allerdings wird nicht ausgeschlossen, dass der harte Verfolgungsdruck der Sicherheitsbehörden auch zur Radikalisierung einzelner Täter oder Gruppen führt. Insgesamt gehen die Behörden von 1150 Rechtsextremen im Land aus. Die Zahl der Neonazis in Brandenburg hat sich den Angaben zufolge trotz rigider Verbote weiter erhöht, wobei diese immer weniger in Kameradschaften, sondern in Netzwerken organisiert sind. „Ihre Zahl wächst, und es wächst die Gewaltbereitschaft.“ Deshalb müsse der Kampf gegen Rechtsextremismus verstärkt werden. Tatsächlich gilt Brandenburg nach mehreren Anschlägen und Morden an Ausländern in den 1990er Jahren mittlerweile als vorbildlich – bei der harten Linie der Sicherheitsbehörden, aber auch bei den Aktionen der Bevölkerungen. „Brandenburg gilt in der Szene als ein ungemütliches Pflaster“, sagte Woidke.
Schwerpunkt der Rechtsextremisten ist weiterhin der Süden Brandenburgs. Das 2012 verhängte Verbot der „Widerstandsbewegung in Südbrandenburg“, die jahrelang mit gespenstischen Spontandemonstrationen aufgefallen war, die regionale Kampfsportszene unterwandert hat und der 200 Personen zugerechnet werden, habe zwar die Kommunikation und die Aktionsfähigkeit des Netzwerks erheblich beeinträchtigt. „Aber die Kader sind weiter aktiv“, sagte Brandenburgs SPD-Generalsekretär Klaus Ness am Donnerstag. „Mit dem Verbot ist das Problem nicht erledigt.“ Tatsächlich führte das als „Spreelichter“ bekannt gewordene Netzwerk, dessen sogenannte „Volkstod-Kampagne“ in der rechten Szene deutschlandweit zum Vorbild genommen wird, weiter Propagandaaktionen durch.
Nach Attacken auf die Redaktion der „Lausitzer Rundschau“ gab es am vergangenen Wochenende nun in der Lausitzstadt Lauchhammer neue Vorfälle. So haben Unbekannte Drohungen am Bürgerbüro des CDU-Landtagsabgeordneten Ingo Senftleben und am Rathaus gegen Bürgermeister Roland Pohlenz (parteilos) hinterlassen. SPD-Generalsekretär Ness sagte, während die Neonazis in den 1990er Jahren vor allem Ausländern angegriffen hätten, würden sie nun Bürger attackieren, die sich etwa auf Demonstrationen gegen die Rechten wehren. „Das ist auch ein Ausdruck von Radikalisierung.“
Nur weil im Gegensatz zu Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern in Brandenburg keine rechtsextreme Partei mehr im Landtag sitzt, herrsche oft die Stimmung vor, das Problem am rechten Rand sei gelöst, sagte Ness. „Das entspricht aber nicht der Wirklichkeit.“ Und es gebe neue besorgniserregende Entwicklungen. So sei etwa jeder zehnte Neonazi bei einem Wachschutzdienst angestellt. Und noch immer seien gerade in der Lausitz, wo die rechtsextremistische Szene landesweit am aktivsten ist, Tendenzen zur Verharmlosung zu beobachten. „Ich weiß um die Widerstände, die es dort gibt“, sagt Ness. „Es gibt Menschen, die glauben, dass das Image der Lausitz geschädigt würde, wenn man das Problem anspricht.“