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Verboten aber nicht verschwunden

 

Gewaltbereite Neonazis liefern sich am 1. Mai Auseinandersetzungen mit der Polizei in Dortmund und versuchen Polizeiketten zu durchbrechen (Symbolbild) © Max Bassin
Gewaltbereite Neonazis halten seit Jahren die Stadt Dortmund in Atem © Max Bassin

Am 23. August jähren sich zum ersten Mal die drei Vereinsverbote der nordrhein-westfälischen Neonazi-Gruppierungen „Nationaler Widerstand Dortmund“, „Kameradschaft Hamm“ und „Kameradschaft Aachener Land“. Zeit für ein notwendiges Zwischenresümee, denn: Ein Jahr nach den vollzogenen Vereinsverboten ist die anfängliche Euphorie „große Löcher“ in das Netzwerk der Neonazis zu reißen, kalter Ernüchterung gewichen.
Ein Gastkommentar von Mick Prinz

In unserem gesellschaftlichen Bewusstsein ist sie mittlerweile fest verankert und wird häufig unreflektiert und viel zu vorschnell eingefordert: die Verbotsverfügung. Oft in Verbindung mit einem angeblich notwendigen NPD-Verbot wird dabei die Sanktionierung von extremistischen Verhaltensweisen und die Tilgung antidemokratischer Agitation verlangt. Diese Maxime der Nulltoleranz gegenüber der Intoleranz ist dabei Teil der Theorie der „wehrhaften Demokratie“, welche 1949 als aktiver Demokratieschutz im deutschen Grundgesetz integriert wurde. Ursprünglich sollte so aus den Fehlern der wertneutralen, Weimarer Schutzkonzeption gelernt werden, welche den Nationalsozialisten auf legale Weise den Weg zur Macht ebnete.

Während das Parteiverbot in der bundesdeutschen Geschichte gegenwärtig nur zweimal Anwendung fand, wehrt sich unsere Demokratie regelmäßig mit Vereinsverboten sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene gegen extremistische Erscheinungsformen abseits der parteipolitischen Bühne. So auch am 23. August 2012, als in einer flächendeckenden Großrazzia Räumlichkeiten und Besitz von Nordrhein-Westfalens führenden Neonazi-Kameradschaften durchsucht und beschlagnahmt wurde. „Wir reißen damit große Löcher in das Netzwerk der Neonazis“, so NRW Innenminister Ralf Jäger, der 120 Wohnungen und Vereinsräume der Rechtsextremisten durchsuchen ließ. Ein Jahr nach der Verbotswelle, so scheint es, wurden diese Löcher längst wieder gestopft und verschlossen!

Kurzweilige Einengung

Tatsächlich ließ sich in den ersten Folgetagen und in den anschließenden Wochen nach den Vereinigungsverboten eine gewisse Effektivität der staatlichen Repressalien erkennen. Neben den Vereinsräumlichkeiten der Neonazis, wie dem sogenannten „Nationalen Zentrum“ in Dortmunds Stadtteil Dorstfeld wurden auch zahlreiche Waffen, NS – Devotionalien und andere verfassungsfeindliche Symbole beschlagnahmt. Eine Schwächung der routinierten Handlungsabläufe und der standardisierten Prozesse der Neonazis erfolgte dabei durch eine gezielte Abschaltung der Internetdomäne „Infoportal Dortmund“ und des rechtsextremen Versandhandels „Resistore“. Somit wurde neben einer Zerschlagung der Infrastruktur die flächendeckende Kommunikation zwischen den Rechtsextremisten erschwert und auch eine der zentralen Finanzquellen der Szene still gelegt. Dortmunds führende Kameradschafter versuchten, die NPD als neue Handlungsbühne zu instrumentalisieren, scheiterten jedoch an einem abgelehnten Aufnahmeantrag der Nationaldemokraten. In Verbindung mit der staatlichen Sanktionierung wurde zudem der Dortmunder „Antikriegstag“ unterbunden, welcher primär für die westdeutsche Szene eine zentrale Bedeutung zur Verbreitung ihrer menschenverachtenden Ideologie einnahm. Alles in allem wurde in den ersten zwei Wochen nach dem Verbot der Anschein geweckt, dass die Kameradschaftsverbote zu einer Schwächung der parteifreien Neonazis beitragen konnten. Mit der Gründung des nordrhein-westfälischen Landesverbandes der Partei „Die Rechte“ am 15.09.2012 wurde jedoch jegliche Hoffnung auf eine langfristige Schwächung der Rechtsextremisten im Keim erstickt.

„Die Rechte“ als neue Handlungsbühne

Zugegeben, diese Strategie der Re-Gruppierung in einer anderen rechtsextremen Erscheinungsform ist nicht neu. Ganz im Gegenteil: Bei der Betrachtung der extremen Rechten und verschiedenster Verbotsprozesse seit dem Jahr 1949 fällt auf, dass diese Neustrukturierung eine geläufige Methode zur Umschiffung des wehrhaften Grundgesetzes und ihres Demokratieschutzes darstellt. Dies machten beispielsweise schon Aktivisten der verbotene „Wiking Jugend“ vor, welche seit 1952 eine völkische und nationalsozialistische Kadererziehung verfolgte. Einige Jahre nach ihrem Vereinsverbot 1994 nahm die „Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ)“ diesen Platz ein, und sorgte mit erheblichen personellen Überschneidungen für eine Fortführung der rechtsextremistischen Jugenderziehung. Auch diese Gruppierung wurde inzwischen verboten und auch hier stand das passende Auffangbecken zügig bereit. Die an der NPD orientierte Organisation „IG Fahrt&Lager“ knüpft u.a. mit sogenannten Familienkreisen an die Tradition der frühkindlichen Indoktrination der HDJ an.

Die vom szenebekannten Neonazi Christian Worch gegründete Partei „die Rechte“ fungiert als ein genau solches Auffangbecken für die kurzzeitig vereinslosen und teilweise orientierungslosen Kameradschaftler. Unter dem parteiförmigen Deckmantel wurden verschiedenste Neonazi-Gruppierungen in Form von „Die Rechte“ Kreis-/und Ortsverbänden etabliert. Mithilfe des schützenden Parteienprivilegs wurde nicht nur die zerschlagene Infrastruktur erneuert und vergangene Traditionen reanimiert, den Neonazis wurde außerdem die Sorge vor einem erneuten Vereinsverbotsantrag genommen. Anders als Vereine lassen sich die Parteien nämlich letztlich nur durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verbieten, was einen enormen politischen, bürokratischen und justiziellen Vorlauf bedürfen würde. Die Langatmigkeit der NPD- Verbotsdiskussion lässt an dieser Stelle grüßen.

So formierte sich aus dem ehemaligen Onlineshop „Resistore“ die provokante Netzadresse „antisem.it“. Auch ein neues Infoportal, das „Dortmunder-Echo“ knüpft an die standardisierten Abläufe der früheren Kameradschaften an und dient als virtuelles Sprachrohr der Rechtsextremisten. Die wehrhafte Demokratie und die staatlichen Repressalien haben an dieser Stelle auf mittelfristige Sicht keine Wirksamkeit entfalten können. Große Teile der früheren Kameradschaftler sind schlicht in „die Rechte“ abgewandert und auch die ehemaligen Anführer der verbotenen Vereinigungen, wie Dennis Giemsch oder der frühere Aktivist der „Kameradschaft Aachener Land“ André Plum nehmen führende Positionen in der Worch-Partei ein. Einen Szeneausstieg oder gar eine Läuterung von der rechtsextremistischen Ideologie kann nicht im Entferntesten beobachtet werden. Auch die Neonazi-Demonstration vor wenigen Monaten unter dem Veranstaltungsmotto „Heraus zum 1.Mai“ knüpfte auf dreiste Art und Weise an vergangene Traditionslinien an. Unter dem selben Motto wurde zuletzt 2007 in Dortmund demonstriert. Fünf Jahre in Folge konnte diese obskure Veranstaltung im Vorfeld verhindert werden. Der gegenwärtig existenzielle Parteienstatus verhindert die erneute Untergrabung der Demonstration. Die „wehrhafte Demokratie“ hat damit ihr Ziel weit verfehlt. Anstatt den rechtsextremen Aktionismus zu unterbinden, konnte sich erst durch das Vereinsverbot und die daran anknüpfende Neustrukturierung eine verstärkte, neonazistische Agitation manifestieren.

Am 31. August will die Rechte erneut in Dortmund demonstrieren. Wenn dabei schon die staatlichen Maßnahmen nicht als wirksam kategorisiert werden können, sollte sich den Rechten hier zumindest eine erstarkte und entschlossene Zivilgesellschaft in den Weg stellen. Denn eins sollte gewiss sein: Die Demokratie wird nicht vor einer Vorstellung der menschlichen Ungleichwertigkeit kapitulieren! Das jedoch staatliche Repression eine langfristig effektive Methode im Kampf gegen den Rechtsextremismus darstellt, darf stark angezweifelt werden