Etwa 600 AfD-Anhänger zogen am Samstag begleitet von antirassistischen Gegenprotesten durch Hamburg. Frühere Mitglieder rechtspopulistischer Parteien scheinen organisatorische Schlüsselfunktionen der so genannten Professorenpartei übernommen zu haben. Am Mikrofon für Volk und Demokratie, im Schlepptau Antisemitismus, Rassismus und Demonstranten in Thor-Steinar-Klamotten.
Eine Mischung aus 400 gutsituierte Bürgern die Angst um ihren Wohlstand haben und wütende Menschen aus den unteren Einkommensschichten haben sich um kurz vor 11 Uhr auf dem Heidi-Kabel-Platz eingefunden. Ein oft gewählter Demostartpunkt vor dem Hamburger Hauptbahnhof. Zwei ehemalige Feuerwehrautos mit „Eurowehr“ beschriftet, machten aus dem Bahnhof kommende Passanten neugierig, während die rechtsliberale Lobbyistin und Vorsitzende der „Zivilen Koalition“, Beatrix von Storch, scheinbar nervös und verunsichert zwischen Bahnhofsausgang und U-Bahn-Station alleine hin- und herlief.
Lautstarker Demostart
Der dritte Landessprecher und Versammlungsanmelder Kay Gottschalk klettert einige Minuten vor 11 Uhr auf einen der „Eurowehren“ und begrüßte per Megafon und über die Lautsprecheranlage die eintreffenden Mitglieder aus den unterschiedlichen Landesverbänden. Der ehemaligen Landesvorsitzenden der rechtspopulistischen Splitterpartei „Die Freiheit“, Jens Eckleben, läuft derweil mit Headset umher und scheint telefonisch mit Personen aus der Parteiführung – die noch auf den Straßen unterwegs sind – die Demo zu organisieren. Währenddessen sorgt der mit Ordnerbinde und mehreren AfD-Logos „geschmückte“, sehr präsente Daniel B. für Ordnung und achtet auf die Anordnung einiger Seitentransparente, während er freundlich Taxis vorbeiwinkt. Als ehemaliger Funktionär des DF-Landesverbands Schleswig-Holstein und Unterstützer des rassistischen „Tag der Patrioten“ ist er einer der AfDler neben Eckleben und den ehemaligen BFBlern mit Organisations- und Parteigründungserfahrungen. Der von ihm Unterstützte „Tag der Patrioten“ im herbstlichen Berlin wurde aus dem Umfeld des Internetprangers „Nürnberg 2.0“ und der „German Defence League“ organisiert und zog schließlich die NPD an.
Als einige Minuten nach offiziellen Veranstaltungsbeginn der Ökonom und Parteisprecher Bernd Lucke eintrifft, gehört ihm die Medienaufmerksamkeit. Unter Applaus trifft ein Bus mit vorwiegend ältern Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern ein. Als der Demozug startet, ist er auf 500 Menschen aller Altersstufen angewachsen. Vorne zu Fuß die Polizei und ein Partei-„Feuerwehrauto“, hinten das zweite rot-blau-weiße Parteifahrzeug bevor die Kleinbusse mit den gepanzerten Polizeieinsatzkräften folgen. „Das ist medial viel besser als Saalveranstaltungen“, so Eckleben.
Thor Steinar, etwa rechts?
„Donner Wetter – Spirit the Nord – Thor Steinar“ steht gut sichtbar auf dem T-Shirt eines nach eigenen Aussagen Mitglieds des Landesverbandes Hamburgs, der ein Parteitransparent mit trug, dass offensichtlich die Solidarität der AfD mit den Polizeieinsatzkräften ausdrücken sollte. Zwei Stunden später auf seine Thor-Steinar-Klamotten angesprochen, äußerte der Parteiaktivist mittleren Alters, dies sei keine Nazimarke, da von einem arabischen Investor gekauft, aber dann doch lieber eine blaue Sportjacke überzog. Bevor Kritik von Gegendemonstranten und Nachfrage von Journalisten an Parteifunktionäre dazu gestellt wurden, scheint das offensichtliche Tragen eines auch bei Nazidemos oft anzutreffenden Kleidungsstücks samt Parole nicht gestört zu haben. Der Feind stand sowieso bei den meisten Parteisympathisanten „links“ und die AfD beteuerte wiederholt weder rechts noch links, sondern mitte und „das Volk“ zu sein.
Gegendemo und Protestaktionen
Während die Demo durch die Einkaufsstraße Hamburgs zieht, protestieren immer wieder kleine Gruppen von Antifaschisten, Grüner Jugend und den Jungen Piraten am Rand der Demo und aus den Seitenstraßen heraus. Die Polizei bleibt präsent und greift auch gegen vermeintliche Störaktionen ein, duldet aber Personengrüppchen, die mit Sprechchören und Transparenten den Protestzug begleiten.
Insgesamt scheinen weit über 5O Gegenaktivisten unterwegs zu sein, deren Anzahl mit Fortdauer auf über Hundert steigt und von denen einige Flyer gegen Rassismus und Nationalchauvinismus an Passanten verteilen.
Wohlstandschauvinismus, Biologismus und Antisemitismus
Während Parteisprecher Bernd Lucke einem ARD-Team in der Mönckebergstraße ein Interview gibt, wird deren Reporter von einer Demonstrantin als „Grüne Wanderwarze“ bezeichnet. „Die Presse“, ebenso Feindbild wie die angeblichen „EU-Parteien“ CDU, SPD, FDP, Grüne und Linke. Volksentscheide gegen Parlamentarismus scheint die Demokratievorstellung der eurokritischen Partei zu sein. Laut dem Soziologen Andreas Kemper möchte der AfD-Landesvorstandssprecher Hamburg, Jörn Kruse, mit einem unternehmernahen Mehrkammersystem das bisherige parlamentarisch-demokratische System abschaffen. „Im Bundestag gibt es keine Opposition mehr. Im Bundestag sitzen Ja-Sager, Abnicker und vor allem Diätenkassierer, aber keine Abgeordneten, die das Volk vertreten“, so Parteichef Lucke beim Thema Euro-Rettung.
Später als Beatrix von Storch lautstark von einem der zwei „Eurowehr-Wagen“ am Jungfernstieg in Sichtweite des Rathauses nationalchauvinistisch für die „deutsche Krankenschwester“ mobilisiert, die angeblich die Schulden der Griechen und Spanier bezahlt, schimpfen ältere AfD-Unterstützer in der Demo offen antisemitisch und rassistisch über ein „biologisch ungesundes Diskussionsverbot im Bundestag“ sowie gegen eine „seit 60 Jahren aufgedrückte Kollektivschuld“.
Das Volk gegen die Politiker – die AfD gegen eine angebliche EU-Diktatur, dass kommt bei den Parteimitgliedern an und hat System: Alte Feindbilder werden bedient und das „Volk“ beschworen. Vergessen wird dabei oft, dass eine Partei die laut Wahlumfragen mit zwei bis drei Prozent bei den Bundestagswahlen rechnen kann und somit voraussichtlich nicht ins Parlament einzieht, trotz aller Sprechchöre nicht das Volk ist. „Wir sind das Volk“ und „Wir sind die schweigende Mehrheit“ ist immer wieder gegen die Gegendemonstranten zu hören, die zurück rufen: „Ihr seid nicht das Volk“.
Die Protestaktionen der einigen kleinen Grüppchen mit bis zu 25 Leuten, sorgen immer wieder für heftige Wortgefechte zwischen den beiden Seiten, laut AfD auch zu Eier- und einem Flaschenwurf auf den Demozug.
Neonazismus, Antisemitismus und Antiislamismus gibt es auch laut Meinung eines AfD-Unterstützers nicht, der versuchte einige jungen Gegendemonstranten zu überzeugen. Aber es „könne auch nicht weiterhin jeder nach Deutschland kommen“, so seine Meinung zur gesteuerten Einwanderungspolitik der selbsternannten „Alternative für Deutschland“. „Einwanderung braucht strikte Regeln!“, war passend dazu auf einem blau-weißen Transparent des Hamburger Landesverbands zu lesen. Lucke spricht diplomatischer von einer „bedarfsorientierten Zuwanderungspolitik“.
Protestpartei als Alternative?
„Wir fahren nach Berlin“, stimmten die AfD-Anhänger immer wieder lautstark in Sprechchören an. Die Hamburgische Bürgerschaftsabgeordnete Kersten Artus (Linke) betont dagegen: „Die AfD ist eine Vereinigung, die nur die Wohlhabenden im Auge hat – und keinesfalls eine Programmatik vorlegt, die zur sozialen Gerechtigkeit führt. Das haben die Menschen offenbar auch schnell erkannt – eine Chance auf den Einzug in den Bundestag hat sie mit ihrem sehr fragwürdigen Personal nicht.“
Laut Polizei wuchs die Demonstration zur Abschlusskundgebung auf dem Gänsemarkt auf etwa 700 Personen an, was an nachkommenden Unterstützern aus südlichen Landesverbänden liegen könnte. An den vorherigen großspurigen Erwartungen einiger Parteiorganisatoren von einer Großdemonstration mit zehntausenden Teilnehmern gemessen, war der überschaubare Protestzug ein Schlag ins Wasser.
Dennoch zeigte die erst wenig Monate junge Partei damit ihr beachtliches internes Mobilisierungspotenzial. Sie präsentierte sich in Hamburg als Stimme des rechtsliberalen Wutbürgertums, dass bereits vor Jahren mit dem „Bund freier Bürger“ (BFB) sowie der Partei von Ronald Schill nach einem kurzem Hoch grandios scheiterte.