Am Dienstag hat der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele (Grüne) zusammen mit Halina Wawzyniak (MdB, Die Linke), Clara Herrmann (MdA) und Benedikt Lux (MdA) einen offenen Brief an den Berliner Innensenator Frank Henkel geschickt. Die Politiker fordern in dem Schreiben eine frühzeitige Veröffentlichung der Routen der angekündigten Nazi-Aufmärsche am 26. April (Kreuzberg) und 01. Mai (Neukölln).
Sehr geehrter Herr Senator Henkel,
seit einiger Zeit ist bekannt, dass NPD und „Die Rechte“ zu Demonstrationen am 26. April und 01. Mai 2014 in Kreuzberg und Neukölln mobilisieren. Über mögliche Demonstrationsrouten wird momentan noch mehr oder weniger spekuliert.
Wir Bundes- und Landespolitikerinnen und -politiker sehen mit Sorge, dass Sie laut jüngster Aussagen im Abgeordnetenhaus von Berlin an der Praxis festhalten wollen, die genehmigten Routen erst unmittelbar vor der jeweiligen Veranstaltung bekannt zu geben.
Um demonstrative Proteste der Bevölkerung vor Ort des Geschehens möglich zu machen, wie es auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts dem Demonstrationsrecht entspricht, und um chaotischen Vorkommnisse zu verhindern, müssen die genehmigten Routen bereits dann veröffentlicht werden, wenn sich eine Einigung der Behörden mit den Anmeldern abzeichnet. Besonders hat dies zu gelten für Kundgebungen, bei denen Konfliktpotenzial absehbar ist.
So kam es am 14. Mai 2011 aufgrund der Geheimhaltung eines Neonazi-Aufmarsches auf dem Kreuzberger Mehringdamm zu einer für die Polizei unübersichtlichen und unkontrollierbaren Situation, in der aus der Versammlung heraus mehrere Menschen körperlich angegangen und verletzt wurden. Unbeteiligte Bürgerinnen und Bürger, die nichts von der Veranstaltung wussten und die von den Rechtsradikalen als Migranten eingeschätzt wurden, wurden angegriffen und verprügelt. Auch Polizisten kamen bei dem Einsatz zu Schaden. Die Polizei konnte den friedlichen Verlauf von Kundgebung und Gegenkundgebung nicht mehr durch vorausschauende Einsatzplanung gewährleisten. Die Gegenkundgebung kam offenbar überraschend für die Polizei. Dieser Umstand war der Veröffentlichungspraxis der Polizei bzw. der Innenverwaltung geschuldet, die die gesamte Situation unplanbar und unkontrollierbar machte.
Durch mangelnde Transparenz bei der Route der Kundgebung entsteht offensichtlich u.U. eine Dynamik, die es weder der Polizei ermöglicht, Unschuldige und Unbeteiligte effektiv vor Gewalttätern zu schützen, noch ist es Anwohnern möglich, sich auf Gefahren einzustellen. Aufgrund dieser Intransparenz kann man sich plötzlich und völlig unerwartet in oder im Umfeld einer Nazidemonstration wiederfinden. Und auch Verkehrsteilnehmern ist es so unmöglich, etwaige Beeinträchtigungen des ÖPNV und des Straßenverkehrs durch Kundgebungen und Gegenkundgebungen einzuschätzen und sich entsprechend zu verhalten.
Wir erwarten, wenn das Demonstrationsgebiet bereits feststeht und nur noch über einzelne Straßenabschnitte verhandelt wird, schon im Vorfeld einer letztendlichen Einigung öffentlich zu machen, in welchen Straßenzügen ein Aufmarsch geplant ist und genehmigt werden wird. Außerdem sollte dies nicht erst auf Nachfrage durch Pressevertreter oder Abgeordnete geschehen, sondern im Interesse des Schutzes von Unschuldigen, Unbeteiligten, Anwohnern, Verkehrsteilnehmern sowie auch der protestierenden Bevölkerung und der Polizeikräfte möglichst früh und selbstständig. Das erhöht nicht nur die Übersicht und Sicherheit für Bürgerinnen und Bürger, sondern es vereinfacht auch die Lageeinschätzung für die Polizei und dient damit der Planbarkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Christian Ströbele MdB, Bündnis 90/Die Grünen
Halina Wawzyniak MdB, Die Linke
Clara Herrmann MdA, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus
Benedikt Lux MdA, Sprecher für Innenpolitik und Datenschutz