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Verfassungsschutz warnt vor Zunahme rechtsextremer Gewalt

 

Barhocker auf Demonstranten: Randalierende Neonazis am 9. November am Berliner Alexanderplatz
Barhocker auf Demonstranten: Randalierende Neonazis am 9. November am Berliner Alexanderplatz

632 rechtsextremistische Gewalttaten in zehn Jahren – und durch die Proteste gegen Flüchtlinge dürften es noch mehr werden. Das befürchtet der Berliner Verfassungsschutz, der am Freitag eine Studie dazu vorstellte. Die zeigt: Die Orte der Gewalt verschieben sich.

Von Tagesspiegel-Autor Lars von Törne

Mindestens drei Mal wollen in den kommenden Tagen Gegner der Unterbringung von Flüchtlingen in Berlin gegen die Asylpolitik demonstrieren. Laut Verfassungsschutz gehören dabei wie zuvor organisierte Neonazis zu den treibenden Kräften, die versuchen, Bürger ohne feste rechtsextremistische Gesinnung zu instrumentalisieren. Eine Demonstration ist für Köpenick angemeldet (15. November), für Marzahn sind es zwei (17. und 22. November) – Stadtteile, die als Hochburgen von Rechtsextremisten gelten. as bestätigt eine Zehn-Jahres-Studie „Rechte Gewalt in Berlin“, die der Berliner Verfassungsschutz am Freitag veröffentlicht hat.

Demnach liegen die Hochburgen der Szene nach wie vor in östlichen Bezirken. Die einstige Konzentration auf wenige Zentren löst sich aber zunehmend auf. Das Problem wandert weiter in Richtung Innenstadt: Während in Pankow und Lichtenberg – einst Szene-Schwerpunkte – weniger rechte Gewalttaten registriert wurden, sind die Zahlen in Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte angestiegen. „Rechte Gewalt ist ein gesamtstädtisches Problem geworden“, fasst Innensenator Frank Henkel (CDU) die Studie zusammen. Die basiert allerdings auf den Zahlen von 2003 bis 2012 – berücksichtigt also nicht die Mobilisierung von Rechtsextremisten im Zusammenhang mit der wachsenden Zahl von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen. „Wir befürchten, dass es dadurch immer mehr fremdenfeindliche Gewalt geben wird“, sagte Verfassungsschutz-Chef Bernd Palenda am Freitag bei einem Pressegespräch.

DIE TATEN

632 rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten wurden von 2003 bis 2012 in Berlin von der Polizei gezählt – im Durchschnitt jährlich rund 63. Das reicht von Körperverletzungen (88 Prozent der Taten) über Landfriedensbruch (vier Prozent) bis zu Raub und Brandstiftung (je drei Prozent). Rechtsextremistisch motivierte Tötungen wurden in der Zeit in Berlin nicht registriert.

DIE TATORTE

Zwei von drei Taten wurden in östlichen Stadtteilen registriert. Schwerpunkte waren auf Ebene der Bezirke Lichtenberg und Treptow-Köpenick (jeweils 15 Prozent der Taten) sowie Pankow und Mitte (je 14 Prozent). Schaut man sich die Ortsteile an, treten andere Schwerpunkte hervor: Friedrichshain (60 Taten), Prenzlauer Berg (48 Taten) und Mitte (38 Taten). Besonders viele Taten werden am Wochenende in Ausgehvierteln verübt, meist nachts von Sonnabend auf Sonntag.

DIE TÄTER

684 Tatverdächtige wurden registriert. Zwei von drei Taten wurden aus Gruppen heraus begangen, mehr als 90 Prozent der Täter sind Männer. Mehr als drei Viertel der Täter sind zwischen 15 und 29 Jahren, meist mit geringem Bildungsstand und oft arbeitslos. Drei von vier Tatverdächtigen wohnen in der östlichen Stadthälfte. Gut 40 Prozent der Täter waren dem Verfassungsschutz zuvor wegen anderer rechtextremistischer Delikte aufgefallen.
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DIE ANGEGRIFFENEN

Insgesamt fielen im Untersuchungszeitraum 726 Menschen rechtsextremistischen Gewalttaten zum Opfer. Die Hälfte der Taten hat laut Studie einen fremdenfeindlichen Hintergrund, politisch Andersdenkende waren bei 31 Prozent der Taten die Angegriffenen, sechs Prozent der Taten wurden als antisemitisch eingestuft. Die meisten fremdenfeindlichen Taten wurden in Mitte sowie Lichtenberg und Treptow-Köpenick registriert. Vor allem in Lichtenberg ging die Zahl gegenüber früheren Jahren aber stark zurück.

GEGENMASSNAHMEN

Neben staatlichen Maßnahmen wurden seit 2008 bis zu 40 Projekte gegen rechte Gewalt mit mehr als elf Millionen Euro gefördert. Deren Erfolg ist allerdings schwer messbar. In Lichtenberg zumindest führt Verfassungsschutz-Chef Palenda den Rückgang der dortigen Gewaltzahlen auf Gruppen gegen Rechtsextremismus und staatliches Vorgehen zurück.

KRITIK AN DER STUDIE

Für die Grünen-Politikerin Clara Herrmann hat die Studie zwei zentrale Schwächen: Sie basiert auf den offiziellen Zahlen der Polizei, die laut Herrmann das Problem nicht ausreichend abbilden. So gebe es viele Übergriffe, die die Polizei nicht als rechtsextremistisch führt, obwohl es Indizien dafür gebe. Zum anderen verbuche die Studie Gewalt gegen Neonazi-Gegner pauschal unter Gewalt gegen „Linke“, auch wenn es sich um Journalisten, Gewerkschafter oder Flüchtlingsinitiativen handele. „Die Studie bleibt in der alten Denkweise der Sicherheitsbehörden“, kritisiert Herrmann. Spätestens seit Bekanntwerden der NSU-Morde sei hier ein Umdenken nötig.