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AfD-Aufmarsch in Erfurt mit Neonazis und militanten Angriffen

 

Protest hinter AfD-Kundgebung in Erfurt © Kai Budler
Protest hinter AfD-Kundgebung in Erfurt © Kai Budler

Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen verschärft die „Alternative für Deutschland“ (AfD) ihren Ton und startet eine „Herbstoffensive“, in der sie gegen ein „Asylchaos“ polemisiert. In diesem Rahmen initiiert der AfD-Landesverband in Thüringen wöchentliche Aufmärsche in der Landeshauptstadt Erfurt, die auch von Neonazis gern genutzt werden. Bei den bisherigen Aufmärschen kam es immer wieder zu Gewalt gegen Andersdenkende. Am Mittwoch griffen rund 30 rechtsextreme Hooligans im Anschluss an die Versammlung eine Gruppe von Gegendemosntranten an. Die AfD will von den Neonazis in ihrem Aufzug nichts gewusst haben.

Nach ihrer Spaltung nach dem Essener Bundesparteitag im Juli wurden der AfD keine großen Chancen mehr zugestanden. In Brandenburg beispielsweise, wo die AfD seit dem vergangenen Jahr im Landtag sitzt, käme die Partei nach einer aktuellen Forsa-Umfrage auf 7% und würde damit 5% einbüßen. Anders sieht es in Sachsen aus, wo die AfD im vergangenen Jahr mit 9,7% in den Landtag eingezogen war. In einer Umfrage von Infratest käme die Partei inzwischen auf 13% und läge gleichauf mit der SPD.

Steffen Möller, Björn Höcke, Corinna herold (v.l.n.r.), © Kai Budler
Haben die Neonazis in ihrem Aufzug offenbar übersehen – AfD-Fraktionsmitglieder Steffen Möller, Björn Höcke, Corinna Herold (v.l.n.r.), © Kai Budler

In Thüringen, wo Björn Höcke die AfD im Landtag anführt, war die AfD in den Umfragen der vergangenen Monate leicht abgerutscht, steht jetzt allerdings wieder bei 9%. Ein geringerer Wert zwar als bei der Landtagswahl, doch im Rahmen der „Herbstoffensive“ benutzt auch der Thüringer Landesverband das Thema Asyl als populistisches Zugpferd. Er bezeichnet die Flüchtlingspolitik als „Asylchaos“ und macht sich mit wöchentlichen Aufmärschen in der Landeshauptstadt zum Initiator einer möglichen Pegida-Bewegung im Schulterschluss mit Neonazis und rechten Hooligans. Bereits beim ersten Aufmarsch waren unter den insgesamt etwa 1200 Personen große Gruppen mit zahlreichen bekannten Neonazis aus NPD, Kameradschaftsszene, der „Identitären Bewegung“ und dem Organisationsteam des extrem rechten Netzwerkes „Thüringen gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Thügida). Auf der Strecke wurden Hitlergrüße gezeigt, unter den Augen der AfD-Ordner griffen Neonazis und Hooligans Gegendemonstranten und Journalisten an und bedrohten sie.

AfD sieht keine Neonazis in ihrem Aufmarsch

Werben um den rechten Rand © Kai Budler
Werben um den rechten Rand © Kai Budler

Björn Höcke hingegen erklärte: „Wir haben hier tatsächlich eine Demonstration der bürgerlichen Mitte dieses Landes erlebt und darauf bin ich stolz“, Personen aus der extremen Rechten und ihre Fahnen will er beim Aufzug mit dem Motto „Deutschland und Thüringen dienen – Asylchaos beenden!“ nicht gesehen haben. Stattdessen schürte der AfD-Landesvorsitzende in seiner Rede die Angst vor „No Go Areas für Deutsche“, einem „Sturm auf Deutschland“ und einer „Invasion“ der Flüchtlinge. Er halluzinierte eine „durch die Gesetze der sog. politischen Korrektheit außer Kraft“ gesetzte Meinungsfreiheit herbei und nannte die CDU „glattgeschliffene Zeitgeistkastraten“. Die Ähnlichkeit der Aufmärsche zu den „Pegida“-Aufzügen liegt auf der Hand und ist keinesfalls überraschend. Schon im März hatte Höcke in der von ihm initiierten „Erfurter Resolution“ die AfD unter ihrem Vorsitzenden Bernd Lucke kritisiert, weil sie „sich von bürgerlichen Protestbewegungen ferngehalten und in vorauseilendem Gehorsam sogar distanziert [hat], obwohl sich tausende AfD-Mitglieder als Mitdemonstranten oder Sympathisanten an diesen Aufbrüchen beteiligen“. Unterdessen verteilten Neonazis seelenruhig und ungestört ihre Propaganda unter den Kundgebungsteilnehmern, bevor andere im Anschluss alternative Jugendliche in der Innenstadt angriffen.

Neonazis nutzen ihre Chance

Hooligans und "besorgte Bürger" bei der AfD in Erfurt  © Kai Budler
Hooligans und „besorgte Bürger“ bei der AfD in Erfurt © Kai Budler

Diese Szenen setzen sich in Erfurt auch beim zweiten Aufmarsch fort, an dem schätzungsweise zwischen 2000 und 3000 Personen teilnehmen. Noch zu Anfang erklärt der stellvertretende Kreisvorsitzende der AfD Nordhausen, Eichsfeld, Mühlhausen, Gerhard Siebold, es würden keine Fahnen und Transparente extremistischen Inhaltes geduldet. Die anwesenden Neonazis aber lässt das kalt: es weht die Fahne des Holocaustleugner-Netzwerks „Europäische Aktion“, eine andere Fahne wirbt mit dem Neonazi-Slogan „Klagt nicht, kämpft“ und die „Identitäre Bewegung Thüringen“ führt gleich ein eigenes Transparent mit. Viele tragen Kleidung der bei Neonazis beliebten Marken wie „Thor Steinar“ und „Erik and Sons“, hinter dem Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, Stefan Möller, wehen die bei Pegida-und Hogesa-Anhängern beliebten „Wirmer-Flaggen“. Augenzeigen berichten von einem freundlichen Shake-Hands eines erkennbaren Hooligans mit den AfD-Ordnern vor dem Beginn der Kundgebung. Doch schon nach 500 Metern endet der Aufzug, denn Gegendemonstranten blockieren den Weg zur Staatskanzlei, die Polizei bildet eine Kette, um den AfD-Aufmarsch zu stoppen. Die Menge skandiert „Räumen“ und „Volksverräter“, während sich an der Polizeiabsperrung rechte Hooligans auf einen möglichen Durchbruch vorbereiten. Nach Absprachen mit der Ordnungsbehörde bleibt der Aufzug auf dem Anger, dem zentralen Platz der Landeshauptstadt. Dort nimmt die Landtagsabgeordnete Corinna Herold das Mikro zur Hand, ihr folgt der Fraktionsvorsitzende Björn Höcke, der „einen heißen Herbst“ ankündigt und für das nächste Jahr Neuwahlen in der Bundesrepublik prognostiziert. Vizekanzler Sigmar Gabriel ist für ihn „Herr Volksverräter“, den er zum „Rededuell zum Thema Asyl“ in Erfurt auffordert.

Sprechchöre stacheln Neonazis zu Militanz an

Derweil verteilen Vertreter der NPD und der „Identitären Bewegung“ ihre Flugblätter auf der Kundgebung, die grüne Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling berichtet von mehreren Hitlergrüßen. Immer wieder gibt Höcke in seiner Rede die Stichworte für Rufe wie „Abschieben“, „Lügenpresse“ und „Volksverräter“. Nachdem er Gegendemonstranten als „linksfaschistische Spinner“ bezeichnet, skandiert die Menge „Lumpenpack“. Dass dies nicht ohne Folgen bleibt, mussten etwa 30 Gegendemonstranten am eigenen Leib spüren. Kurz nachdem die Kundgebung aufgelöst wurde, griffen nach ihren Angaben knapp 40 Neonazis und rechte Hooligans die Gruppe an: sie schlugen ihre Opfer gegen die Köpfe, traten sie in den Rücken und entwendeten eine Tasche mit persönlichen Papieren. Weitere gewalttätige Übergriffe soll es an drei weiteren Orten in Erfurt gegeben haben. Für den nächsten Mittwoch hat die AfD bereits den nächsten Aufmarsch angekündigt, dieses Mal soll er vor dem Landtag in Erfurt stattfinden.