Am Montagabend fand in Neustadt an der Orla in Thüringen eine Solidaritätsdemonstration für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt statt. Unter dem Motto „Den rassistischen Normalzustand brechen“ zogen 70 Menschen durch die thüringische Kleinstadt. Grundlage der Demonstration waren zwei Angriffe auf Geflüchtete. Eine Woche zuvor, am 13.09., sind zwei Geflüchtete aus Tschetschenien und Somalia vor einem Supermarkt von mehreren Neonazis rassistisch beleidigt und kurz darauf angegriffen worden. Politiker und Opferberatungsstellen kritisieren jetzt das Verhalten der Polizei.
Von Sven Peter
Die Geflüchteten informierten die Polizei, die sich jedoch Zeit lies und dann auch nicht nach den Tätern suchte, sondern lediglich die Aussagen der Betroffenen aufnahm. Am selben Abend fragten die Täter via Facebook nach Unterstützung von Kameraden und standen kurz darauf mit Waffen vor der Gemeinschaftsunterkunft der Betroffenen. Der Tschetschene und ein Freund aus Libyen wurden erneut attackiert. Wieder riefen die Betroffenen die Polizei, doch zu einer Nahbereichsfahndung kam es nicht. Bereits am 04.07. wurde ein 17-jähriger Geflüchteter aus Syrien vor einem Supermarkt von Neonazis krankenhausreif geprügelt.
„Wie sich auch bei mehreren Angriffen auf Geflüchtete in Neustadt/Orla gezeigt hat, bleibt eine konsequente Strafverfolgung von Seiten der Polizei bei Neonazi-Schlägern oft aus. Die Täter haben kaum Repression zu erwarten. Sie werden oft noch nicht mal zur Vernehmung mit auf die Wache genommen“, sagt Franz Zobel von der Opferberatungsstelle ezra. „Die Folge sind erneute Angriffe durch die selben Täter und ein tiefes Misstrauen der Betroffenen gegenüber der Polizei.“
Ein weiterer Vorfall, der kein gutes Licht auf das Verhalten der Thüringer Polizei wirft, ereignete sich am Dienstag, den 14.09. in Erfurt. An einer Straßenbahnhaltestelle attackierte ein Mann den Sprecher der Ahmadiyya-Gemeinde, die in Erfurt eine Moschee bauen will. Der Täter wurde vorübergehend in Gewahrsam genommen, durfte die Wache am selben Tag aber wieder verlassen. In einem MDR-Beitrag vom 16.09. wurde die Polizei dann mit den Worten zitiert, dass man zwar einen Anstieg rassistischer Angriffe wahrnehme, dies aber noch nicht für ein Problem halte. Vielmehr fordere man von der Bevölkerung Zivilcourage, „um den Tätern zu zeigen, dass ihr Handeln nicht tolerabel sei“, so Jens Heidenfeldt von der Landespolizeiinspektion Erfurt gegenüber dem MDR.
Diese Courage zeigt sich bei der Polizei selbst jedoch nur äußerst selten. „Bereits im Frühjahr hat es in der Studentenstadt Jena einen Angriff auf einen Geflüchteten gegeben, bei dem die Polizei zwar gerufen wurde, sie diesen Angriff aber nicht einmal aufnahm“, sagt Franz Zobel von ezra. Gerade in Jena sei dies keine Seltenheit. Im letzten Jahr erregte ein Fall Aufmerksamkeit, den die Polizei nicht als rassistisch motivierte Tat einstufte, obwohl die Betroffenen ihnen dies so erzählten. Immer wieder kam es in den letzten Monaten vor, dass rechte Angriffe in Pressemitteilungen der Thüringer Polizei als „Auseinandersetzungen unter Jugendlichen“ verharmlost wurden.
Auch Madeleine Heflinng, Anmelderin der Solidaritäts-Demo am Montag und Sprecherin der Grünen für Strategien gegen Rechtsextremismus, sieht das Verhalten der Polizei kritisch. Auch mit Blick auf die Geschehnisse in Bautzen sagte sie, „oftmals fehlt es der Polizei an Sensibilität, rassistisch motivierte Taten als solche wahrzunehmen und auch die unterschiedlichen Machtpositionen von Tätern und Betroffenen zu erkennen. Die täglichen Anfeindungen von Neonazis gegenüber den Geflüchteten in Bautzen und das Unverständnis der dortigen Polizei zeigt dies genauso, wie das ‚nicht ernst nehmen‘ von geflüchteten Gewaltopfern in Neustadt.“
Ein weiterer Fall liegt ebenfalls etwas weiter zurück.
Der Freundeskreis Thüringen/ Niedersachsen demonstrierte Ende letzten Jahres fast wöchentlich in Heilbad Heiligenstadt im Thüringer Eichsfeld unter dem Motto „Ein Licht für Deutschland“. Auch hier kam es zu mehreren Übergriffen auf politische Gegner. Ein Fall erregte besondere Aufmerksamkeit, da der zuständige Polizeichef Marko Grosa in einem Zeitungsinterview dem Betroffenen die Schuld für den Angriff gab und dabei Aussagen der Täter wiedergab. So hätten die polizeilichen Ermittlungen ergeben, dass der Betroffene vermummt gewesen sei und die 20 Neonazis provoziert hätte. Dies stellte sich im Nachhinein als falsch heraus. Marko Grosa ist mittlerweile Bürgermeister der Stadt Leinefelde-Worbis im Eichsfeld.
Das Verhalten der Polizei wirkt dahingehend erstaunlich, dass es wenige Tage vor den Angriffen in Neustadt zu einem großen Polizeieinsatz in Gotha kam. Am Freitag, den 09.09. steht eine Hundertschaft der Thüringer Polizei mit Schildern gegen 1:30 Uhr vor einem alternativen Hausprojekt und will das Haus stürmen, wenn sich drei mutmaßliche Täter nicht stellen würden. Die Feuerwehr steht ebenfalls bereit, um die Türen des Projektes zu öffnen. Die mutmaßlichen Täter sollen kurz vorher ein Neonazipärchen angegriffen haben. Drei junge Männer kommen daraufhin in Untersuchungshaft und können diese erst nach Zahlungen von jeweils 5000 Euro wieder verlassen.
Gewalttäter aus der rechten Szene haben nur selten solch eine Repression zu fürchten. Wie zum Beispiel nach einem Brandanschlag am 15.02. auf den Demokratieladen in Kahla. Hier kam es zu einer Hausdurchsuchung bei einem mutmaßlichen Täter. Dieser wurde daraufhin festgenommen und sitzt bis heute in Untersuchungshaft.
Die Konsequenzen, die aus dem ersten Thüringer Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“, sind also noch lange nicht durchgesetzt. Wenngleich diese Konsequenzen im Koalitionsvertrag noch einmal ausführlich erwähnt werden, lässt sich zum heutigen Zeitpunkt leider festhalten, dass es noch ein weiter Weg ist, bis diese endgültig umgesetzt werden können.