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Versuchter Totschlag nach Naziaufmarsch in Halle?

 

Ein Schwerverletzter nach Schlägen auf den Kopf © Thomas Schade

In zahlreichen Städten waren Neonazis am Ersten Mai aktiv. Überall wurde ihr Auftreten von breiten Protesten begleitet. In Halle wurden die erfolgreichen Blockaden des Aufmarsches von zwei schweren Angriffen auf Polizisten und Gegendemonstranten überschattet. Die Polizei ermittelt nach Angaben der Verletzten wegen versuchten Totschlags. Die Polizei-Pressestelle widersprach am Dienstag dieser Aussage. Unser Autor Thomas Schade war Augenzeuge des Angriffs. Beide Vorfälle geschahen, nachdem die rund 500 Rechtsextremen ihre Kundgebung aufgrund der Blockaden von 4.000 Gegendemonstranten beenden mussten.

Der erste Angriff fand bei der Abfahrt der Neonazis statt. An der Kreuzung Mansfelder Straße Ecke Holzplatz wurde gerade ein Infostand vom Bündnis gegen Rechts abgebaut. Eine Gruppe Jugendlicher lief um 15.15 Uhr mit Grills und Taschen vom Holzplatz in Richtung des Infostands. Sie wollten zum Grillen in die Innenstadt, hatten mit den Demonstrationen nichts zu tun.

Um 15.20 Uhr rasten zwei schwarze Pkw zum Holzplatz. Die Jugendlichen wurden von den Insassen angebrüllt und sofort attackiert. Aus den Autos geworfene Sprengkörper explodierten mit einem ohrenbetäubenden Knall. Die Druckwelle war noch in zehn Metern spürbar, Rauchschwaden hingen über der Straße. Es flogen Flaschen und andere Gegenstände auf die Jugendlichen, aus dem hinteren Auto wurde Reizgas versprüht. Mehrere Angreifer sprangen mit Metallstangen und Teleskopschlagstöcken bewaffnet aus den Autos. Sie rannten brüllend auf die Jugendlichen zu und schlugen gezielt auf die Köpfe ein.

Der Grüne Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel schreibt von zwei Schwerverletzten durch Pfefferspray und Schläge mit einem Teleskopschlagstock auf den Kopf. Während des Angriffs informierten die Personen vom Infostand die Polizei und andere Aktivisten. Innerhalb weniger Sekunden kamen zwanzig Gegendemonstranten aus der Hafenstraße gerannt. Die Neonazis ließen vom Angriff ab, sprangen in ihre Autos und flüchteten. Die Attacke dauerte nicht länger als zwei Minuten.

„Der Angriff zeigt – unabhängig von einer noch abschließenden juristischen Würdigung – die massive Brutalität, mit der organisierte Neonazis gegen Migranten, politische Gegner, nicht-rechte Jugendliche und sogar völlig Unbeteiligte vorzugehen bereit sind“, sagte Striegel ZEIT ONLINE.

Die unvermummten Angreifer trugen Pullover mit der Aufschrift „Aryans“ (Arier), auf dem Rücken stand „Support your Race“ (unterstütze deine Rasse). Die Gruppe war bereits vorher bei der rechtsextremen Kundgebung durch ihre Aggressivität aufgefallen. Den Kennzeichen nach stammen sie aus dem Main-Kinzig-Kreis und Aschaffenburg.

Die Polizei bestätigte am Dienstag den Angriff. Es werde jedoch nicht wegen versuchten Totschlags ermittelt, sondern wegen besonders schweren Landfriedensbruchs sowie der gefährlichen Körperverletzung. „Wer die Angreifer sind, ist der Polizei bisher nicht bekannt“, heißt es von der Pressestelle der Polizei Halle. Die Ermittlungen würden mit Hochdruck geführt.

Beim zweiten Angriff traf es vor allem die eingesetzten Polizisten. Rund 150 ehemalige Aufmarschteilnehmer stiegen am Nachmittag auf Kommando in Apolda aus dem Zug, stürmten vermummt Richtung Innenstadt und attackierten sofort die begleitenden Beamten mit Flaschen, Steinen und Feuerwerkskörpern. Rund 100 Rechtsextreme konnten anschließend von der Polizei festgenommen werden. Gegen sie laufen jetzt Ermittlungen wegen Landfriedensbruch, Widerstand gegen Polizisten und Sachbeschädigung. Bilder zeigen die Angreifer mit Handfesseln auf dem Boden liegend. Die Polizei hatte am Tag insgesamt 700 Beamte aus verschiedenen Bundesländern in Halle im Einsatz.