Neonazistrukturen im Harz sollen ausgebaut werden // NPD-Büro in Halberstadt als „gruppen- und organisationsübergreifendes“ Zentrum angepriesen // angekündigter Liederabend wegen Hitlergrüßen verboten.
Von Tilo Giesbers & Mario Bialek für Infothek-Dessau
Für den 06. Februar 2010 kündigten der „NPD Ortsbereich Halberstadt“ und die JN Sachsen-Anhalt den bereits vierten Liederabend in Halberstadt an. Geboten werden sollte – für fünf Euro Eintritt – zum wiederholten Male der Berliner Liedermacher „Fylgien“. Wenige Tage zuvor ist Anzeige bei der Polizei auf Grundlage eines veröffentlichten Videos erstattet worden, welches offensichtlich zum dritten Liederabend am 14. November 2009 in „Lolo`s Hof“ entstanden war. Dabei hatten mehrfach anwesende Neonazis während des Auftrittes des selben Liedermachers den Hitlergruß gezeigt. Der Landkreis als zuständige Versammlungsbehörde habe sich dazu entschlossen, die Veranstaltung zu verbieten, so der Pressesprecher der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord Frank Küssner. Am späten Nachmittag des 05. Februar 2010 sei den Veranstaltern das Verbot mit Auflagenverfügung übermittelt worden.
„Der gehört erschossen“
Für den Abend des 06. Februar 2010 kündigte die Polizei an, vor Ort Sorge zu tragen, dass das Veranstaltungsverbot Bestand haben wird. Demnach sei der Veranstalter Thorsten Fleischmann angewiesen worden, potentielle Besucher wieder auf den Heimweg zu schicken. Auf telefonische Anfrage am Nachmittag verkündete Thorsten Fleischmann, am kommenden Montag vor dem Verwaltungsgericht rechtliche Schritte gegen das Verbot einleiten zu wollen, damit zukünftigen Veranstaltungen in den Räumlichkeiten nichts entgegenstünde. Zukünftig würden Veranstaltungen dann aber nicht mehr öffentlich im Internet bekanntgegeben, sondern laut Fleischmann ausschließlich über Mundpropaganda beworben werden. In Anspielung auf das bei der Internetplattform Youtube hochgeladene Video eines Teilnehmers klagte Fleischmann weiter: „Und was ist zu sehen? Der rechte Arm!“ „Der gehört erschossen“, echauffiert sich der NPD-Kreisvorsitzende am Telefon über den Kameraden, der das benannte Video veröffentlicht hat. In der Ankündigung des Liederabends auf der Internetseite der NPD-Halberstadt schrieb Fleischmann Ende Dezember noch: „auf das dieser Abend auch wieder so wird wie der letzte eben einfach nur gut“ (Fehler im Original).
NPD-Musikanten, „Reichsbürger“ und andere Skurrilitäten
Sebastian Döhring, der versucht sich unter dem Pseudonym „Fylgien“ als Liedermacher einen Namen zu machen, ist unter anderem im Jahr 2009 auf Listenplatz 10 für die Berliner NPD zur Bundestagswahl angetreten. „Fylgien“ ist in Vergangenheit zudem mehrfach in Erscheinung getreten, als er seine musikalischen Leistungen auf Veranstaltungen der NPD, DVU und des parteiungebundenen Spektrums der Neonaziszene dargeboten hatte. So zum Beispiel beim DVU-Sommerfest am 21. Juni 2008 in Brandenburg, einem Benefiz-Open-Air für den mittlerweile verstorbenen Neonazi-Liedermacher Michael Müller mit etwa 1.000 Teilnehmern im August 2008, welches von der Polizei aufgelöst worden war, einem Frühlingsfest in der NPD-Bundeszentrale in Berlin im April 2009 oder dem Sommerfest der NPD-Sachsen am 27. Juni 2009 in Jänkendorf (Gemeinde Waldhufen).
Auf „Lolo`s Hof“ in der Otto-Spielmann-Straße, wo im Dezember 2009 ein Bürgerbüro der örtlichen NPD eröffnet worden ist (mehr dazu hier…), fand bereits im Februar des selben Jahres der Landesparteitag der sachsen-anhaltischen NPD statt. Inhaber des Objektes ist der bekennende „Reichsbürger“ Lothar Nehrig. Da Nehrig die Gewerbeerlaubnis seit 2008 durch das Ordnungsamt entzogen worden sein soll, ist er sich seitdem sicher, eine „in Halberstadt seit Jahren gebildete kriminelle Vereinigung aus Teilen der Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Justiz sowie Inneres“ – die er auf seiner Internetpräsenz wahlweise auch als „Faschisten“ betitelt – hätten ihm ein „totales Erwerbsverbot“ ausgesprochen. Zur finanziellen Unterhaltung trägt nun mittlerweile wohl die NPD-Halberstadt bei, die seit Juni 2009 mit Daniel Dietz einen Platz im Stadtrat inne hat.
„Wir machen den Verband jetzt fit“
Fleischmann wurde neben dem Posten als „Ortbereichsvorsitzenden“ erst am 28. Januar 2010 auch zum neuen Kreisvorsitzenden der Neonazipartei im Harz gewählt. Der bisherige Amtsinhaber Matthias Heyder, der außerdem Geschäftsführer der NPD-Kreistagsfraktion ist, ist nun Schatzmeister im Kreisverband. Der Kreisverband plane „Ortsgruppen in weiteren Städten des Landkreises“ zu gründen, so Fleischmann auf der NPD-Landesseite und kündigt an: „Wir machen den Verband jetzt fit [für] die Landtagswahlen im kommenden Jahr.“
„ein Zentrum der nationalen Bewegung in Halberstadt“
Das am 19. Dezember 2009 eröffnete NPD-Bürgerbüro (mehr dazu hier…) wird nach Eigenangaben von Thorsten Fleischmann unterhalten, der selbst bei den Wahlen zum Halberstädter Stadtrat 2009 scheiterte. Laut NPD-Landeschef Matthias Heyder (Elbingerode) solle hier „ein Zentrum der nationalen Bewegung in Halberstadt“ entstehen, wie er nach NPD-Angaben bei der Büroeröffnung gesagt haben soll, die vom Protest von ca. 50 Antifaschist/-innen begleiteten wurde. In den Räumlichkeiten in der Otto-Spielmann-Straße wird neben Liederabenden mittlerweile auch versucht regelmäßige Bürgersprechstunden, Versammlungen zu Schulungszwecken oder einen Jugendstammtisch zu etablieren.
„Das Bürgerbüro wird uns helfen, unsere Politikansätze … unter das Volk zu bringen“
Zweimal in der Woche werden dort Sprechzeiten mit dem Ortsbereichsvorsitzenden der NPD Halberstadt, Thorsten Fleischmann angeboten. „Das Bürgerbüro wird uns helfen, unsere Politikansätze … unter das Volk zu bringen“, so Fleischmann anlässlich seiner Wahl zum Kreisverbandsvorsitzenden. Tobias Anders, Mitglied des Kreistages Harz bot in den Räumen jüngst ebenfalls eine Bürgersprechstunde an, um „direkt mit den Kreistagsabgeordneten ins Gespräch zu kommen und Wünsche vorzutragen“. Ein für Ende März angekündigtes Osterfest und Hartz IV-Beratungen im NPD-Objekt sollen den Anstrich von Bürgernähe auf der einen Seite komplettieren. Jugendstammtische, Liederabende mit extrem rechten Musikern und Schulungsveranstaltungen sollen auf der anderen Seite der Anbindung neonazistischer Jugendkultur an die Parteistrukturen dienen. Auch die Ankündigung, dass das extrem rechte Verkaufsgeschäft „Ragnarök“ „wieder mit einem Sortiment und alles um 50% dabei“ sein sollte, zielt auf das identitätsstiftende Moment ab, das von einem weitreichenden Netzwerk rechter Versandhändler und Ladengeschäfte innerhalb der Neonaziszene bedient wird.
„den Kampf für ein anderes, ein besseres Deutschland … organisieren“
Die Jugendstammtische sollen sich laut eigenen Angaben unter anderem der „Organisation des Widerstands im Harz über die Organisationsgrenzen hinweg“ widmen. Der „Jugendbund Harz“ gründete sich am 09. November 2009 aus „Vertreter(n) der Jungen Nationaldemokraten (JN) und freie(r) Aktivisten“, mit dem Ziel „in unserer Region gruppen- und organisationsübergreifend so viele junge Menschen wie möglich“ zu sammeln und „den Kampf für ein anderes, ein besseres Deutschland zu organisieren.“ Schulungsthemen wie „Dein Verhalten vor Polizei und Justiz” (Dezember 2009 in Halberstadt) zeigen auf, dass im beschworenen „Kampf“ auch Straftaten zumindest billigend in Kauf genommen werden. Ob der Nutzer des Youtube-Kanals „barkingdog1488“, der das erwähnte Video veröffentlicht hat, an der Rechtsschulung teilgenommen hatte, ist indes unklar.