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Wenn der „Kampf gegen Rechts“ in der SPD zur Selbstzerfleischung führt

 

Eigentlich mag ich ja meine alte Tante SPD. Aber manchmal macht die wirklich komische Sachen. So z.B. geschehen auf ihrem Bundesparteitag vom 26. bis 28. Oktober 2007 in Hamburg mit dem Antrag „Demokratie stärken. Gewalt bekämpfen. Wirksam handeln gegen Rechtsextremismus.“ Da hat sie doch ernsthaft beschlossen, ihre eigenen Mitglieder zu „ächten“ – u.a. die, die gegen Rechtsextremismus kämpfen.

Gut. Es weiß jeder, dass ein Parteitag kein Poetenfestival ist. Aber auch einer großen Volkspartei sollte nicht entgangen sein, dass bei Schriftstücken Anfang und Ende von großer symbolischer Bedeutung sind. Literarischer Ein- und Ausstieg jedenfalls sollten unangreifbar sein und vor allem Sinn ergeben.

Fangen wir also am Anfang an. Zitiert wird dort ein Ausspruch des alten Haudegen Willy Brandt aus dem legendären Jahr 1968: „Nazismus, alter Nazismus, aufgewärmter Nazismus, Neonazismus ist Verrat an Land und Volk.“ Ich kann mir vorstellen, dass das jetzt schon einigen Kritikastern tiefe Falten auf die Stirn treiben wird. „Verrat an Land und Volk“? Na, das hört sich aber verdammt nach „Nation“ an.

Ein wirklicher Rausschmeißer ist aber der letzte Satz des Antrages, der sich im 5. Kapitel mit der Überschrift „NPD verbieten und den Kampf gegen Rechtsextremismus entschieden führen“ befindet: „Gleichzeitig ächten wir eventuelle vorhandene Kontakte zwischen SPD-Mitgliedern zu zweifelhaften rechten Gruppierungen und Initiativen sowie zu rechten Presseorganen wie der ‚Jungen Freiheit’.“ Dass „NPD und Rechtsextremismus“ die eine Sache, „rechts sein“ jedoch bisweilen eine etwas andere ist, sei nur zu Zwecken der Vollständigkeit erwähnt. Gott bewahre, ich will gar nicht drüber diskutieren!

Sehen wir uns diesen Satz einmal genauer an. Die SPD ächtet also ihre eigenen Mitglieder, wenn diese „Kontakte“ zu „zweifelhaften Gruppierungen und Initiativen“ unterhalten. Es stellen sich dem aufmerksamen Leser nur zwei Fragen. Was genau sind eigentlich „Kontakte“ und wann ist eine rechte Gruppierung nicht mehr „zweifelhaft“? Dafür gibt der SPD-Bundesparteitag leider keine Gebrauchsanweisung mit auf den Weg.

Aber nehmen wir ruhig einen eindeutigen Fall: z.B. die NPD oder eine neonazistische Kameradschaft. Wenn SPD-Mitglieder zu diesen „Kontakte“ unterhalten, werden sie also von der Mutterpartei geächtet. Was jetzt aber, wenn man als Journalist Mitglied der SPD ist und sich mit dem Thema Rechtsextremismus beschäftigen will? Zu einer anständigen Arbeit würde selbstverständlich gehören, dass sich dieser Journalist auch mit Leuten von der NPD unterhielte. Wie wollte er sonst seriös über diese Partei schreiben? Nächster Fall: Was ist eigentlich mit Wissenschaftlern, die sich mit Rechtsextremismus beschäftigen? Dürfen die ihr Untersuchungsobjekt nicht selbst in Augenschein nehmen und gleichzeitig Mitglied der SPD sein? Journalisten und Wissenschaftler müssten sich also entscheiden: seriös ihre Arbeit machen oder der SPD angehören. Eine wirklich komische Alternative.

Aber anderen Berufsgruppen geht es gar nicht besser. Nehmen wir einfach Mandy. Mandy ist 37 Jahre alt, SPD-Mitglied und „Streetworkerin“. Sie wurde in einer Kleinstadt genau deshalb angestellt, um sich den „zweifelhaften rechten Gruppierungen und Initiativen“ in ihrem Ort zu widmen. Sie soll die Jungs und Mädels wieder von ihrem Irrweg abbringen. In dieser Kleinstadt ist man stolz. Nicht auf die örtliche Kameradschaft, sondern darauf, dass man dagegen etwas tut. Nur eine hat ein Problem: Mandy, denn die wird ab jetzt von ihrer Mutterpartei „geächtet“.

Und nun zu einem letzten Berufsstand. Ich kann sie nicht zählen, die demokratischen Politiker, die in Mecklenburg-Vorpommern „Kontakte“ zur NPD pflegen. In einem weiten Sinne geht es auch mir so. Warum? Weil die NPD in Mecklenburg-Vorpommern Realität ist. Im Schweriner Landtag „kontaktieren“ wir die NPD permanent. In Ausschusssitzungen, in Landtagssitzungen etc. Man kann nicht gleichzeitig die offene, argumentative Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten einfordern und gleichzeitig jene „ächten“, die genau dem nachkommen.

Man mag es auch für strategisch falsch halten, dass Leute wie Egon Bahr, Peter Glotz oder Sebastian Jobelius (ehemals Juso-Chef von NRW) dem rechtskonservativen Wochenblatt „Junge Freiheit“ einst Interviews gegeben haben und sie dafür gesittet kritisieren. Aber ein Grund, mit Parteitagsbeschlüssen durch „Ächtung“ individuelle Freiheitsrechte zumindest moralisch einschränken zu wollen, ist das wahrlich nicht. Schon deshalb, wenn man einmal bei wikipedia nachschaut, was das eigentlich ist, eine „Ächtung“: „Ächtung, die Verhängung der „Acht“, ist eine schwere Strafe des nordgermanischen und des alten deutschen Rechts (vgl. Reichsacht). Sie verlangt die Ausstoßung des Geächteten aus der menschlichen Gemeinschaft, das Verbot, ihm beizustehen, und ermächtigt jedermann, ihn straflos zu töten.“

Ein bisschen beschleicht mich daher das Gefühl, dass besagten Satz in besagtem Antrag ein Wohnstubenantifaschist geschrieben hat. Jemand, der sich nicht täglich mit dem auseinandersetzen muss, worüber er große Reden führt. Jemand, der seine Informationen im Wesentlichen aus Büchern und Zeitungen bezieht und dem vielleicht auch deshalb eine Differenzierung zwischen „rechts“ und „rechtsextrem“ schwer fällt. Das könnte sich ändern, wenn unser Wohnstubenantifaschist einmal nachts in einer entlegenen Gasse Dieter Stein und Thorsten de Vries persönlich begegnete. Spätestens dann lernte er wohl, künftig etwas besser zu differenzieren.

Aber ich bin ganz optimistisch, dass die alte Tante SPD auf ihrem nächsten Parteitag den beschlossenen Unfug wieder einkassieren wird. Und Sie ahnen es schon? Bis es endlich soweit ist, werde ich zumindest diesen Teil des genannten Antrages gepflegt ignorieren.

michael-schaefer
weitere Informationen: http://www.endstation-rechts.de