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Die Netzguerilla von Nordhausen

 

Es braucht nicht „Reconquista Internet“, um gegen Rechtsextremismus im Netz vorzugehen. In der Thüringer Provinz führt eine kleine Gruppe den Kampf gegen pöbelnde Trolle.

Ein Gastbeitrag von Susanne Blau

Rechtsextremismus im Netz: Die Netzguerilla von Nordhausen
Was tun gegen Hass im Netz? (Symbolfoto) © Ted S. Waren/AP/dpa

Am Anfang war eine Meldung über die Neueröffnung eines kleinen pakistanischen Streetfood-Lokals. In der Innenstadt von Nordhausen, unserer Heimatstadt im Norden Thüringens, hatte sich eine Gastronomin selbstständig gemacht. Die Tatsache, dass eine Pakistanerin diesen Schritt wagt, führte auf einem kleinen regionalen Nachrichtenportal zu einem Shitstorm aus fremdenfeindlichen Leserkommentaren.

Die städtische Wohnungsbaugesellschaft „schreckt ja vor nix zurück, wenn es um das Integrieren ihrer geliebten Flüchtlinge und damit die Verdrängung des deutschen Gastgewerbes geht“, schrieb jemand empört. Dort werde doch garantiert Fleisch von geschächteten Tieren verkauft, war er sich sicher: „Für Flüchtlinge gilt das Verbot nicht, die dürfen mehr als wir ungläubigen Deutschen.“ Ein anderer fragte, ob man einen Muslim „überhaupt zwischen 0:00 Uhr bis zum Sonnenaufgang füttern“ darf.

Niemand widersprach. Kein Kommentar wurde gelöscht. Wir waren geschockt. Denken alle so in unserer Stadt? Was war da passiert?

Ungefilterter Hass in der Kommentarspalte

Ende April dieses Jahres rief der Moderator Jan Böhmermann zu seiner Aktion „Reconquista Internet“ auf. Deren Ziel ist die „Zivilisierung des gesellschaftlichen Diskurses“ im Internet – eine Art gesittete Antwort auf rechte Trolle. Wir waren ein bisschen früher dran, als wir begannen, uns zu wehren: Anfang März haben wir, eine Gruppe aus fünf jungen Nordhäusern, uns zusammengetan. Die Mission: Wir wollen auf lokaler Ebene gegen Hass im Netz vorgehen. Dafür nutzen wir unter anderem den Tarnnamen Susanne Blau.

Die Internetseite, auf der wir aktiv sind, ist eine kleine Onlinezeitung für Nordthüringen. Sie berichtet über die Übergabe eines neuen Müllautos oder das Jubiläum des örtlichen Supermarkts. Viele Besucher klicken sie an, weil sie von jedem Verein die Veranstaltungsankündigungen und Pressemitteilungen veröffentlicht. Portale dieser Art gibt es praktisch überall in Deutschland.

Leser können kommentieren – und zwar praktisch ungefiltert: Obwohl alle Kommentare vor Veröffentlichung freigegeben werden müssen, ist der Diskussionsbereich gespickt mit Provokationen und wilden Verschwörungstheorien. Wir sind überzeugt: Das hat System. Wo sich rechte Pöbler wohlfühlen, dahin kehren sie gern zurück. Das verspricht Klicks. Und Klicks bringen Werbeeinnahmen.

Denken alle so?

Unter einem Artikel über neue Stolpersteine, mit denen Opfern des Holocaust gedacht wird, schreibt jemand: „Wenn nur Juden Recht auf Erinnerungskultur in diesem Lande haben, dann bin ich strikt gegen Stolpersteine.“ Zu einem Beitrag über das Gedenken an die Opfer der Bombenangriffe aus dem Zweiten Weltkrieg schimpft ein anderer über „das typisch links-grün versiffte Milieu und deren ‚Propagandahöhlen'“.

Der Kommentarbereich hat sich so zu einem rechten Resonanzraum entwickelt, in dem alles knapp unterhalb der Volksverhetzung gesagt werden darf. Das Hauptproblem sind allerdings nicht die hinreichend unappetitlichen Kommentare, sondern dass häufig keiner etwas dagegen sagt. So entsteht ein Klima, in dem die normalen Leser, die bloß ihre Vereinsnachrichten suchen, den Eindruck bekommen, alle würden so denken.

Was tun, wenn man das nicht mehr hinnehmen möchte?

Dort setzen wir an: Der Bericht über die neuen Stolpersteine in Nordhausen bekommt gleich einen lobenden Kommentar für diese Form der Erinnerungsarbeit. In einer aufschäumenden Diskussion zu einem Bericht über eine Sitzung des Nordhäuser Integrationsbeirates setzen wir ein „wir sind stolz auf dieses Deutschland“ entgegen.

Ein Bericht über eine Gruppe deutscher Halbstarker, die auf einem Spielplatz syrische Kleinkinder drangsalierte, rief sofort Kommentare hervor, in denen die syrischen Eltern gefragt werden, ob sie nicht „in ihrer Heimat beim Wiederaufbau gebraucht werden“. Hier sprechen wir die rechten Hetzer dann direkt an: „In einem solchen von Euch vergifteten Klima wachsen Eure Kinder zu keinen schönen geraden jungen Menschen heran“.

Was uns heute klarer ist denn je: Mit rechten Trollen kann man nicht diskutieren. Sie begegnen jedem Argument mit einem „aber was ist mit Putin/Trump/Buxtehude?“. Wenn jemand offensichtliche Unwahrheiten verbreitet, weisen wir offensiv darauf hin. In den aggressiven Reaktionen gibt es dann regelmäßig kein Halten mehr hinsichtlich Rechtschreibung und Satzbau. Hier hilft der liebevolle Hinweis, dass man doch bitte auf gut Deutsch beleidigt werden möchte und welche der angeführten Attribute zwingend den Dativ nach sich ziehen.

Das Online-Pendant zur Dorfkneipe

Was wir dagegen tun, wirkt. Der Tenor des Kommentarbereichs hat sich in den letzten Wochen merklich verändert. Die Äußerung anderer Meinungen in dem rechten Wohlfühlbereich der Diskussionsfunktion provoziert immer wieder entlarvende Überreaktionen. Andere Nutzer begrüßen unsere Beiträge ausdrücklich – im Sinne von „endlich sagt mal jemand was gegen die Rechten“. Sie sind ermutigt, selbst gegen rassistische und menschenverachtende Kommentare vorzugehen.

So eine kleine Onlinezeitung ist wie die eigene Dorfkneipe: Wenn’s am Stammtisch mal wieder hoch hergeht, sollte jemand aufstehen und sagen „gut jetzt!“ Die Aktion zeigt, dass Widerspruch einfach möglich ist und die rechte Selbstgewissheit des Stammtischs nicht für das ganze Dorf gilt. Ob das schon langt? – sicherlich nicht. Aber es ist ein Anfang. Wenn man es beim Widerspruch belässt und nicht versucht, Trolle zu überzeugen, dann ist der tägliche Aufwand nur wenige Minuten.

Derzeit hört man übrigens, die kleine Netzzeitung sei zu verkaufen. Wer weiß – vielleicht übernehmen wir den Laden ja ganz?

Susanne Blau ist das kollektive Pseudonym einer Gruppe junger Menschen aus Nordhausen. Die Identität des Autors dieses Beitrags ist der Redaktion bekannt.