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Terror in der Dorfidylle

 

Zwei Neonazis greifen ein Asylbewerberheim mit Brandsätzen an. In Chats tauschen sie Tötungsfantasien aus und verherrlichen die Hitlerzeit. Was ist passiert im oberbayerischen Nußdorf?

Von Sebastian Lipp

Rechtsextremismus: Terror in der Dorfidylle - Störungsmelder
Vor dem Landgericht Traunstein wurden die Neonazis zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt (Archivfoto).
© Uwe Lein/dpa

Wie eine Panzerfaust schultert Josef B. ein langes Metallrohr und richtet es auf das verhasste Asylheim. In der Zielvorrichtung steckt ein Sprengsatz, den der damals 20-Jährige früher am Abend aus verschiedenen pyrotechnischen Gegenständen in seiner nahen Werkstatt zusammengebaut hat. Um kurz nach Mitternacht zündet sein drei Jahre älterer Komplize Alexander Z. die Rakete, die auf dem Gelände der Unterkunft in blauem Feuerschein explodiert und deren mehr als zwei Dutzend Bewohnerinnen und Bewohner in Angst und Schrecken versetzt. Bis heute leiden sie unter den Folgen.

Die Aktion ist der Höhepunkt einer Serie von immer heftigeren Angriffen auf die Unterkunft von Nußdorf am Inn im oberbayerischen Landkreis Rosenheim, verübt von zwei Neonazis. Doch erst als die Polizei im Rahmen einer Anwohnerbefragung bei Josef B. klingelt und den Schreiner mit angelegtem Pistolengürtel und aufgebohrter Schreckschusspistole antrifft, kommt sie den Tätern auf die Spur. Nachdem die Fahnder im Schlafzimmer von Alexander Z. auch noch ein schussfähiges Repetiergewehr finden, nehmen sie beide noch am selben Tag fest.

Vor Kurzem verurteilte das Landgericht Traunstein das Neonaziduo zu mehrjährigen Haftstrafen. Wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Sachbeschädigung, versuchter schwerer Brandstiftung und dem Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen müssen Z. und B. drei Jahre und neun Monate ins Gefängnis. Bei B. kommt noch der unerlaubte Besitz von Schusswaffen dazu. Als Heranwachsender wurde er jedoch milder behandelt.

Nährboden aus Tötungsfantasien und Nationalsozialismus

Die Taten und der Prozess haben die scheinbare Idylle des bayerischen Alpenvorlands aufgebrochen. Josef B. und Alexander Z., die zwei Burschen aus dem Ort, Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr – sie ergingen sich heimlich in rechtsextremen Träumereien. Auf ihren Smartphones stellen Ermittler Nachrichten sicher, die Richter Klaus Weidmann „zynisch und pervers“ nennt: Tötungsfantasien gegenüber Asylsuchenden und Ausländern sowie positive Bezüge auf die Verbrechen des Nationalsozialismus. „Auf diesem Nährboden kam es zur Tat“, sagte der Richter in der Urteilsbegründung. Es habe sich um „menschenverachtende, rassistische und ausländerfeindlich motivierte Taten“ gehandelt.

Im Laufe des Jahres 2017 lernten sich die gebürtigen Rosenheimer bei der Feuerwehr kennen. Schnell entstand eine Freundschaft. Immer wieder hätten sich die beiden nach eigener Aussage im Haus des Jüngeren „getroffen und gut gesoffen“. Dabei hätten sie sich über Straftaten von Ausländern unterhalten, die nicht verfolgt und bestraft würden. Anfang Februar 2018 seien sie zu dem Schluss gekommen, man müsse „ein Zeichen setzen“, rekapitulierte Richter Weidmann.

„Das muss brutaler werden“

Dafür übergibt Josef B. am Abend des 2. Februar seinem Gast eine schwarze Sprühdose, mit der sich beide zur nur 70 Meter entfernten Unterkunft aufmachen. Um nicht gesehen zu werden, nehmen sie einen Umweg. Während Alexander Z. ein rund einen Quadratmeter großes Hakenkreuz an die Fassade des Gebäudes mit den unliebsamen Bewohnern sprüht, bleibt Josef B. wegen einer Fußverletzung am Zaun zurück.

„Jetzt kommt Bewegung in den Negerstall (…) die Gutmenschen sind drumrum unterwegs wie die Wespen“, feixen sie wenig später im Chat – und peitschen sich noch weiter auf: „Sollen wir uns steigern?“ – „Ja, das muss brutaler werden.“ Sie tauschen Bilder von Pyrotechnik und einem Tisch aus, auf dem Fotos ausgebreitet liegen. Sie zeigen das Angriffsziel von verschiedenen Seiten, dazu die Botschaft: „Zur besseren Einsatzplanung“. Auf den Richter wirkt die Szene wie die Planung eines militärischen Generalstabs.

Sechs Wochen nach der ersten Tat machen die beiden Neonazis ernst. Sie füllen zwei Flaschen mit einem Benzingemisch und versehen sie mit Seenotfackeln als Zünder. An einem Abend um 22 Uhr gehen sie zur Unterkunft. Diesmal bleibt Alexander Z. hinter dem Zaun zurück, während B. das Gelände betritt. Sie zünden die Seenotfackeln und werfen die Brandsätze in Richtung des Eingangsbereichs, wo sie explodieren.

Bis heute von Angst geplagt

Einer der Molotowcocktails landet unter dem Balkon eines bewohnten Zimmers im Erdgeschoss. Auch der andere verfehlt die Fassade knapp. Während die Brandstifter flüchten, erlischt das Feuer, ohne auf das Gebäude überzugreifen. Nur zwei Wochen später versuchen sie es erneut, diesmal mit dem Metallrohr, aus dem sie die Brandsätze abfeuern. Auch diesmal bleibt das Haus verschont. Doch der Schrecken bei den Betroffenen sitzt. Die Bewohnerin des Zimmers, unter dem einer der Molotowcocktails landete, ist wegen des Anschlags bis heute von Angst geplagt.

Vor Gericht haben die beiden Neonazis ihre Taten gestanden und sich reumütig gegeben. Sie hätten aber niemanden verletzen oder gar töten wollen, beteuerten sie. Doch nach der Aktion mit den Molotowcocktails hatten sie gezeigt, wie abgebrüht sie sind: Sie gingen zum Feuerwehrhaus – und fuhren auf dem Einsatzwagen zum Löscheinsatz am Asylheim.