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Nazis propagieren Dresdner Opfermythos

 

Die Luftangriffe nennen sie „Bombenterror“, die Opferzahlen geben sie falsch an: Rechtsextreme Geschichtsverfälscher haben anlässlich der alliierten Bombardierung von Dresden demonstriert. Auch die AfD knüpfte daran an.

Von Hardy Krüger und Henrik Merker

Rechtsextremismus: Neonazis tragen einen Kranz auf der Dresdner Demonstration. © Hardy Krüger
Neonazis tragen einen Kranz auf der Dresdner Demonstration. © Hardy Krüger

Bis zum Sonnenuntergang sind Dutzende Skater auf der Dresdner Lingnerallee unterwegs. Auf der Skaterampe üben sie Tricks und Stunts, bis sie von Polizeifahrzeugen verdrängt werden. Zwei Polizisten in Kampfmontur schauen zu, wie sie heim in Richtung Dresdner Szeneviertel fahren. Der Skateplatz, der sonst den Jugendlichen gehört, ist am 15. Februar Versammlungsort für Neonazis aus ganz Europa. Sie protestieren gegen das, was sie „angloamerikanischen Bombenterror“ nennen.

Gemeint sind damit die Bombenangriffe der Alliierten am 13. und 14. Februar 1945. Jahrelang war die Veranstaltung mit bis zu 6.500 Teilnehmern der größte Naziaufmarsch Europas. An diesem Freitag waren es immer noch bis zu 1.000, wie die Nachrichtenagentur dpa mitteilte. Die Neonazis selbst sprechen von 1.250 Teilnehmern.

Falsche Opferzahlen

Bei ihrem Marsch versuchten sie, einen perfiden Opferkult in die Welt zu tragen. Rechtsextreme Geschichtsklitterer behaupten, Dresden sei nicht in den Krieg involviert gewesen. Tatsächlich beherbergte die Stadt 1945 Tausende Soldaten, war militärischer Umschlagplatz und betrieb Rüstungsproduktion. Auch die Opferzahlen, mehrfach von Historikern untersucht (PDF), sind den Demonstranten nicht hoch genug. Statt offiziell bis zu 25.000 wollen die Neonazis fast das Zehnfache, 200.000, verbreiten. Revisionisten sprechen von „Bombenterror“ und „Bombenholocaust“, relativieren damit die Judenvernichtung. Ihre historischen Vorbilder sind dabei NS-Propagandaminister Joseph Goebbels und der britische Holocaustleugner David Irving. Beide hatten solche Begriffe mit Bezug auf Dresden schon früh in Umlauf gebracht.

In diesem Jahr liefen auch Aktivisten der rechtspopulistischen Bewegung Pegida an der Spitze der Demo, so etwa die Rechtsextremistin Katja Kaiser. Sie ist laut Beobachtern für die Gruppe Wellenlänge aktiv, mit der auch die AfD bei Veranstaltungen zusammenarbeitet. Kaiser nimmt seit Jahren regelmäßig an Neonaziaufmärschen teil.

Rechtsextreme aus anderen Ländern machen mit

Die Szene der Leugnerinnen und Leugner ist dabei nicht auf Deutschland begrenzt. Auch aus anderen Ländern waren Rechtsextreme zum Aufmarsch gereist, sie stammen aus Frankreich, Italien, Griechenland, Tschechien, Schweden, Russland und der Ukraine. Überraschend ist das nicht: Versammlungsanmelder Maik Müller ist europaweit vernetzt, er begrüßte die Marschteilnehmer auf Deutsch und in gebrochenem Englisch.

Eine Rednerin aus Tschechien behauptete, dass während des Zweiten Weltkriegs keine einzige deutsche Bombe auf ihr Land gefallen sei. Kriegsverbrechen deutscher Bodentruppen verschwieg sie. Auch die anderen Reden wirken abgesprochen – immer wieder fällt das Schlagwort vom „angloamerikanischen Bombenterror“,  wird versucht, den deutschen Nationalsozialismus von seiner Schuld freizusprechen.

Begleitet wurde der Aufmarsch von Gegendemonstranten, je nach Quelle mit 500 bis 1.000 Teilnehmern. Mehrere Gruppen versuchten, auf die Route der Geschichtsrevisionisten zu kommen. Die Polizei griff gegen die Blockadeversuche hart durch. Auch Journalisten waren von Maßnahmen betroffen, manche berichten von Faustschlägen. Ein Reporter der Sächsischen Zeitung dokumentierte auf Video, wie er von Beamten mehrfach geschubst und weggedrängt wurde. Er hatte sich als Journalist zu erkennen gegeben.

Rechtsextremismus: Gegendemonstranten bilden eine Sitzblockade. © Hardy Krüger
Gegendemonstranten bilden eine Sitzblockade. © Hardy Krüger

AfD nutzt Rhetorik der Rechtsextremen

Unter den rechtsextremen Demonstranten waren auch viele Jugendliche, die nicht ins typische Szenebild passen. Der YouTuber Nikolai Nerling hat durch seine geschichtsrevisionistischen Videos Einfluss auf eine jüngere Zielgruppe, die den alten Kadern der NPD bisher kaum zugänglich war. Kurz vor dem Aufmarsch hatte Nerling ein Werbevideo für die Veranstaltung ins Netz gestellt, das fast 14.000 Mal angesehen wurde. Unterlegt mit Geschrei und Explosionen verbreitet er darin die Behauptung, es habe Tieffliegerangriffe auf Dresden gegeben. Das ist nachweislich falsch. Doch auch Teile der AfD haben sich dem Mythos augenscheinlich angeschlossen. Erst eine Woche zuvor hatte die Dresdner Jugendorganisation Junge Alternative einen Redner zu dem Thema eingeladen.

Andere AfD-Funktionäre hatten Werbebilder für den Neonaziaufmarsch im Internet verbreitet. Und auch die Bundestagsfraktion machte mit bei der Relativierung: An einem der zentralen Gedenkorte in Dresden legten Vertreter der Partei einen Kranz mit der Aufschrift „Den zivilen Opfern des Alliierten Bombenterrors In stillem Gedenken“ ab.