Paul U. packte aus über die Gruppe S, die Anschläge auf Moscheen geplant haben soll. Doch seine Glaubwürdigkeit steht infrage – und damit auch der Gerichtsprozess?
Von Sophie Schädel
Paul-Ludwig U. ist ein untersetzter Mann. Von seinem Stuhl im Stuttgarter Oberlandesgericht baumeln seine Füße etwas über dem Boden. Er sitzt neben seinem Anwalt, anders als die anderen Angeklagten, die zu U.s Schutz auf der anderen Seite des Raums Platz nehmen müssen. Sie werden aus dem Gefängnis zum Prozess gefahren, U. vom Zeugenschutz. Denn der 49-Jährige hat seine Kameraden verraten.
U. ist Teil der Gruppe S, in der sich 13 Männer seit September 2019 auf Anschläge gegen Moscheen, Linke und Politiker der Grünen vorbereitetet haben sollen. Als U. klar wurde, was seine Kameraden planten, ging ihm das zu weit. Er verriet sie, blieb noch über Monate Teil der Gruppe und versorgte die Ermittler mit Informationen. Diese spielen im Terrorprozess eine erhebliche Rolle. Was sich aber erst noch herausstellen muss: Wie entscheidend werden sie für das Urteil sein – und wie verlässlich?
Der Plan: ein Massaker mit Hunderten Toten
Die Gruppe S ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen Rechter aus ganz Deutschland, die sich um den als Anführer angeklagten Namensgeber Werner S. scharten. Sie sind keine klassischen Kameradschaftsneonazis, sondern gehören zu Bruderschaften und Bürgerwehren. Auch U. stieß zur Gruppe über Verbindungen zur sogenannten Bruderschaft Deutschland.
In U.s Worten war das Vorhaben: „Man geht in die Moschee rein, bewaffnet, mit Granaten, und entfacht da ein regelrechtes Massaker.“ Er spricht von Hunderten Toten und Verletzten. Das würde Gewalt von Muslimen provozieren, so das Kalkül der Gruppe. Damit sollte ein Dominoeffekt in Gang kommen. Überall im Land warteten Rechte nur auf die Gelegenheit und würden dann in den Kampf einsteigen, waren sich die Mitglieder sicher. Am Ende dieses Bürgerkriegs wollte man laut Bundesanwaltschaft eine nationalsozialistische Gesellschaftsordnung installieren.
U. und die anderen Männer sitzen seit April auf der Anklagebank, bis mindestens August sind Termine angesetzt. Ein anderes Mitglied, Ulf R., tötete sich in der Untersuchungshaft selbst. Werner S. und sein enger Vertrauter Tony E. sind als Rädelsführer der mutmaßlich terroristischen Vereinigung angeklagt, U. und neun andere Rechte als weitere Mitglieder.
Ist auf U.s Aussagen Verlass?
Dass ausgerechnet Paul-Ludwig U. derjenige ist, der die Behörden über einige zentrale Punkte der Anklage informiert hat, führt im Prozess immer wieder zu Diskussionen. Die Verteidiger der anderen Angeklagten versuchen, ihn zu diskreditieren und so seine Aussagen in Zweifel zu ziehen. Ob U. geistig in der Lage ist, korrekte Aussagen zu machen und die Realität richtig einzuschätzen, stellen sie immer wieder infrage.
Der Hintergrund: U. saß wegen zweier Geiselnahmen insgesamt gut zwanzig Jahre in Haft. Eigentlich hätte er früher wieder frei sein sollen, aber wegen einer diagnostizierten Borderlinestörung und krankhaften Gewaltneigung blieb er in Sicherungsverwahrung. Dann kam er doch frei wegen eines neuen Gutachtens, das ihm bescheinigte, niemals psychisch krank gewesen zu sein. U. konsumiert außerdem offenbar schon seit vielen Jahren Drogen und war auch bei Treffen, über die er der Polizei berichtete, nicht nüchtern. Was wiederum zur entscheidenden Frage führt: Ist auf U.s Aussagen Verlass?
Die Polizei überwachte Treffen der Gruppe, hatte dort aber offenbar nicht die Möglichkeit, mitzuhören, was die Teilnehmer besprachen, sondern notierte lediglich, wer wann kam und ging. Außerdem schnitten die Ermittler Telefonate und Chats mit. Doch was im Februar 2020 bei einem zentralen Treffen der Gruppe im ostwestfälischen Minden besprochen wurde, bei dem konkret die Anschläge auf Moscheen geplant und Geld für Waffenkäufe gesammelt worden sein sollen, geht vor allem auf U.s Aussagen zurück.
Hat U. die Terrorplanungen selbst vorangetrieben?
Zu behaupten, er sei nicht in der Lage, wahrheitsgetreu zu berichten, ist also eine wichtige Strategie der anderen Anwälte. Sie sagen, U. habe ein „überzogenes Sendungsbedürfnis“ und äußere „eine Vielzahl von Fantasieprodukten“, warf ihm beispielsweise der Anwalt von Tony E., Jörg Becker, vor. Insgesamt sei er nicht zurechnungsfähig und eine „kranke Persönlichkeit“, fügt Werner S.‘ Verteidiger Werner Siebers hinzu. Anwalt Jürgen Just, ein weiterer Verteidiger, warf U. vor: Wie er sich hier als Held ins Rampenlicht stelle, sei die Rolle seines Lebens.
Doch die psychologischen Fragen sind nicht der einzige Versuch der Anwälte, U.s Aussagen in Zweifel zu ziehen, auf denen ein großer Teil der Anklage fußt. Zusätzlich verdächtigen sie ihn, ein Spitzel oder gar Agent Provocateur des Verfassungsschutzes zu sein. Oberstaatsanwältin Judith Bellay bestreitet das.
Thomas N., einem Mitangeklagten von U., platzte im Gericht schließlich der Kragen. Er brach sein Schweigen und schrie durch den Saal, U. habe sich der Gruppe vorgestellt mit den Worten: „Ich bin der, der Moscheen in die Luft jagt“, und damit solche Anschläge erst ins Gespräch gebracht. Zudem soll er laut anderen Zeugen die Bedenken eines Mitglieds, ob man bei den Taten den Tod von Frauen und Kindern in Kauf nehmen sollte, weggewischt haben mit den Worten: „Auch aus kleinen Kanaken werden mal große.“
Die Gruppe verhielt sich sorglos
Klar ist: In Stuttgart angeklagt ist eine Gruppierung Rechter, die sich offenbar dazu verabredete, Waffen zu beschaffen. Sollte tatsächlich nur U. Anschläge gewollt und ins Gespräch gebracht haben, wäre das vermutlich das Ende der Anklage einer terroristischen Vereinigung. Ob dieses Szenario jedoch realistisch ist, muss das Gericht bewerten.
U. ist allerdings nicht die einzige Informationsquelle der Generalbundesanwaltschaft. Die anderen Angeklagten schweigen zwar zu großen Teilen, zwei von ihnen haben jedoch Angaben vor Gericht gemacht und darin wichtige Teile von U.s Aussagen gestützt. Einige weitere hatten kurz nach ihrer Festnahme im Februar 2020 schon Aussagen bei der Polizei gemacht, von denen die meisten noch nicht im Prozess abgespielt wurden. Zudem gingen Werner S. und seine Gruppe recht naiv vor. Sie kommunizierten über unverschlüsselte Telegram-Chats und besprachen unter anderem Waffenkäufe recht offenherzig am Telefon.
Damit und mit den Angaben, die Paul-Ludwig U. während der Ermittlungen geliefert hat, muss die Bundesanwaltschaft nun im Prozess haushalten. Denn weitere Angaben von dem schwer angegriffenen Angeklagten werden im Verhandlungssaal wohl nicht zu hören sein: Schon am ersten Prozesstag hatte er angekündigt, er werde vor Gericht nichts sagen.