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„Wichtig wäre jetzt ein klares Signal der Bundesregierung“

 

Am Freitag startet in Berlin die Jahresversammlung der Aktion Sühnezeichen. Im Mittelpunkt der Tagung steht das Thema „Sinti und Roma in Europa – Zum Umgang mit Selbst- und Fremdbildern“. Spätestens seit den massiven Gewalttaten gegen Sinti und Roma in Tschechien und Ungarn ist die Politik gefordert zu handeln, so die Forderung des Vereins.

Eingeladen sind unter anderem Romani Rose, die Vorsitzender des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, Angela Kocze, Soziologin von der Central European University Budapest und die Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg, Petra Rosenberg.

Am Samstag, den 24. April 2010 werden in zehn Workshops jungen Roma-Aktivisten, Freiwillige von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und Projektpartnern, Wissenschaftlern und Künstlern aus verschiedenen europäischen Ländern aktuelle Themen bearbeiten: Markus End vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin und Dr. Udo Engbring-Romang sprechen über „Antisemitismus und Antiziganismus – Wurzeln, Gemeinsamkeiten und Unterschiede“; Silvio Peritore vom Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg informiert über „Den langen Weg zum Mahnmal“ und die Auseinandersetzung um das Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma. Darüber hinaus berichten Projektpartner über die Situation der Roma in Tschechien und der Slowakei und Freiwillige diskutieren mit John Stringham vom „Roma Gadje Project“ über Freiwilligendienste in Projekten für die Gleichberechtigung von Roma.

Für den Störungsmelder hat Petra Rosenberg uns ein kurzes Interview gegeben.

Frau Rosenberg, welche Befürchtungen haben Sie nach dem Wahlausgang in Ungarn?

Wir befürchten, dass die rassistischen und neonazistischen Gewalttäter sich jetzt durch das Wahlergebnis ermutigt und legitimiert fühlen. In den letzten drei Jahren sind in Ungarn mehr als fünfzig Roma bei rassistischen Angriffen getötet worden. Im Februar 2009 wurden ein Vater und sein kleiner Sohn erschossen, als sie nach einem Brandanschlag von Rechtsextremisten aus ihrem brennenden Haus flüchten wollten. Und der Wahlkampf in Ungarn ist auf dem Rücken gesellschaftlicher Minderheiten geführt worden: Sowohl die jetzigen Wahlsieger, die konservative Bürgerunion Bund Junger Demokraten (Fidesz) und ihr Parteivorsitzender Viktor Orbán, als auch die rechtsextreme Partei Jobbik haben massiv gegen Roma, die jüdische Gemeinde und Menschenrechtsgruppen gehetzt.

Gehen Sie davon aus, dass jetzt auch vermehrt Roma aus Ungarn versuchen werden, nach Westeuropa zu gelangen?

Hinter derartigen Fragen verbirgt sich ja die in Deutschland immer wieder im Kontext des Bildes „das Boot ist voll“ gestellte Frage nach einer massenhaften Zuwanderung von Roma. Zuletzt gab es diese Diskussion, als Rumänien Mitglied der EU wurde und überall geraunt wurde, dass nun auch rumänische Roma von der Reisefreiheit profitieren könnten. Wie so oft, ist das Problem größer geredet worden, als es tatsächlich war. Im Übrigen ist Deutschland keineswegs ein bevorzugtes Einwanderungsland für osteuropäische Roma. Hingegen hat die Zahl der Asylanträge von tschechischen Roma in Kanada seit den pogromartigen Mobilisierungen gegen Roma-Communities dort in den vergangenen drei Jahren erheblich zugenommen. Unter den in Kanada anerkannten Flüchtlingen ist auch eine leitende Redakteurin des Tschechischen Rundfunks. Sie und mehrere Mitglieder ihrer Familie wurden von Neonazis angegriffen und bedroht, weil sie Roma sind. In Deutschland dagegen haben wir kaum mehr Kontakt zu tschechischen Roma als in den Vorjahren.

Wie sollten Bundesregierung und EU auf die Situation der Roma in Osteuropa reagieren?

Im Fall Ungarns muss die EU auf jegliche staatliche Menschenrechtsverletzung und Diskriminierung von Roma – aber auch gegenüber allen anderen gesellschaftlichen Minderheiten wie Juden, Migranten, Schwule und Lesben – sofort reagieren. Die neue ungarische Regierung darf nicht den Eindruck gewinnen, der EU wäre ihre Politik gegenüber Minderheiten egal.
Und die Bundesregierung?

Hier finde ich ein anderes Zeichen wesentlich wichtiger: Bund und Länder haben beschlossen, dass jährlich 2500 Roma aus dem Kosovo, die größtenteils vor dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland flohen und inzwischen seit zehn Jahren und länger hier leben, in den Kosovo abgeschoben werden sollen. Dort kommen sie zurück ins Nichts: 100 prozentige Arbeitslosigkeit und die volle Ablehnung ihrer ehemaligen Nachbarn erwarten sie. Wichtig wäre jetzt ein klares Signal der Bundesregierung: Diesen Roma ein Bleiberecht in Deutschland zu gewähren – auch in Anerkennung der historischen Verantwortung nach dem NS-Völkermord an den Sinti und Roma.

Alle Informationen zu der Veranstaltung finden sich unter: www.asf-ev.de