Die Frage, ob, wo und wie man mit Nazis diskutieren soll, erregt die Gemüter immer wieder wie kaum ein anderes Thema. Man dürfe den „Nazis“ kein Podium bieten – sagen die einen. Man müsse die „Nazis“ auf den Podien entlarven – die anderen. Doch manchmal lohnt ein anschaulicher Blick in die Wirklichkeit, so geschehen beim Tag der offenen Tür 2008 des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern. In der Wirklichkeit stellt sich dann plötzlich manchmal heraus, dass „Nazis“ nicht so dumm sein müssen, wie man sie selbst gerne hätte.
Was war nicht alles befürchtet worden für den Tag des offenen Schlosses in Schwerin am 1. Juni 2008. Angeblich soll die NPD im Vorfeld massiv nach Schwerin mobilisiert haben, um die Veranstaltung zu stören. Die Landtagsverwaltung hatte denn auch alle erdenklichen Maßnahmen getroffen, um die Veranstaltung gesittet ablaufen zu lassen. Nur damit, dass die NPD intelligenter ist, als mancher es wahrhaben möchte – ausgerechnet damit hatte offenbar kaum jemand gerechnet.
Natürlich waren keine Schläger oder autonomen Nationalisten nach Schwerin gereist. Die NPD präsentierte sich im Gegenteil brav im Innenhof des Schweriner Schlosses wie alle anderen Fraktionen auch. Einige Funktionäre waren gar mit Frau und Kindern angereist, so z.B. Familie Köster.
Als neuralgischer Punkt galten den Veranstaltern von Beginn an die Podiumsdiskussionen, die an diesem Tag traditionell im Plenarsaal des Landtages stattfinden. Da in diesen Diskussionsrunden keine Fragen oder Beiträge des Publikums vorgesehen waren, konnte die so genannte „Wortergreifungsstrategie“ der NPD nicht Platz greifen. Als ein potenzieller NPD-Diskutant nach Absprache mit dem Wahlkreismitarbeiter von Udo Pastörs, Andreas Theißen, dem auf dem Podium sitzenden Vertreter von der LINKEN, Helmut Holter, einen Wortmeldezettel in die Hand drückte, klärte der Moderator Axel Seitz (NDR) den NPD-Anhänger kurz und knapp darüber auf, dass er seine Fragen gerne nach der Veranstaltung mit einem Abgeordneten seiner Wahl erörtern könne.
So souverän ging es indes nicht den ganzen Tag zu, so zum Beispiel um 13.00 Uhr, als das Thema „Kinder und Familie“ auf der Tagesordnung stand. Während die demokratischen Fraktionen sämtlichst weibliche Abgeordnete zur Podiumsdiskussion geschickt hatten, präsentierte die NPD ihren Fraktionsvorsitzenden Pastörs. Natürlich hätte die NPD schon allein deshalb keine Frau benennen können, weil ihre Fraktion ausschließlich aus Männern besteht.
Der Moderator war sichtlich darum bemüht, Pastörs einen gleichen Redeanteil wie allen anderen zuzugestehen – offenbar in der Überzeugung, dass man sich so nicht den Vorwurf der Ungleichbehandlung einhandeln könne. Doch aus diesem Bemühen um Fairness wurde ein roter Teppich für den Populisten Pastörs. Er erhielt faktisch als erster die Möglichkeit, den diskursiven Raum zu bestellen und wurde auch kaum daran gehindert, seinen Kontrahentinnen regelmäßig ins Wort zu fallen. Diese wiederum konzentrierten sich weniger auf ihre eigenen Botschaften, sondern ließen sich von Pastörs fast vollständig die Agenda bestimmen. Nicht einmal so offenkundiger Unfug wie die Behauptung, in der DDR seien die Geburtenraten dreimal so hoch gewesen wie heute, was Pastörs freilich als Beweis für das komplette „Versagen“ der derzeitigen politischen Klasse ansah, wurde gerade gerückt.
Pastörs war zwar nicht sicher in den Fakten, dafür aber um so mehr im Auftreten. Statt randalierender Gewattäter hatte er sich auch gleich etwa 30 bestellte Claqueure mitgebracht, die die Stimmung anheizten. So brandete nach seinen Beiträgen mehrfach Beifall unter den Zuhörern auf – angeheizt und wesentlich getragen von den mitgebrachten Beifallklatschern. Allerdings sah sich auch der eine oder andere Gast des Landtages dazu veranlasst, in das Spektakel einzusteigen. Pastörs nutzte geschickt den Raum, den der Moderator ihm gelassen hatte und aus dem er auch von seinen politischen Gegnerinnen, vier an der Zahl, nicht vertrieben wurde. Jörg Hähnel, der an diesem Tag für die NPD Fotos im Plenarsaal schoss, genoss diese Situation sichtlich und stand grienend abseits an den Fenstern.
Ganz anders hingegen die Stimmung um 15.00 Uhr, als es um die Zukunft des Tourismuslandes Mecklenburg-Vorpommern ging. Souverän führte Axel Seitz vom NDR die Diskussion. Auch waren hier mehr Fakten und Fachwissen und weniger Emotionen gefragt. Pastörs gelang es daher in dieser Runde nicht so recht, argumentativ Fuß zu fassen. Auch hier versuchten die NPD-Claqueure die Stimmung anzuheizen, aber letztlich klatschte man nur sich selber zu.
Und die Moral von der Geschicht’? Schwerins Abgeordnete sind an diesem Tag noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen. Die parlamentarische Debatte ist sterilen Regeln der Geschäftsordnung unterworfen, die offenbar wenig auf Auseinandersetzungen auf dem freien Felde vorbereitet. Insbesondere besteht das Auditorium in Wahlkämpfen aus wirklichen Wählerinnen und Wählern, die überzeugt werden wollen – und nicht wie in den Landtagssitzungen vor allem aus den längst überzeugten Abgeordneten selbst. Lernen lässt sich daher aus dem heutigen Tag nur eines: Die NPD wird nicht in den Parlamenten nieder gerungen und diese bereiten denkbar schlecht auf das „wirkliche Leben“ vor. Wer die NPD erfolgreich in die Bedeutungslosigkeit verdammen will, muss nicht Zustimmung von seinen Abgeordnetenkollegen, sondern von den Bürgern erhalten.
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