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Holocaust-Pop – So what, spießiger Moralreflex?!

 

Als im letzten Jahr „Mein Führer“ in die Kinos kam, fand ich, dass der Film nicht besonders gut und deshalb eigentlich nicht der Rede wert war. Die beiden Hauptdarsteller waren toll. Aber die unwahrscheinliche Geschichte von einem jüdischen Schauspieler, der in den letzten Kriegsmonaten von Hitler aus dem KZ geholt und als Rhetorik-Coach verpflichtet wird, fand ich uninteressant. Die Umsetzung als halbgaren Tragiklamauk erst recht.

Trotzdem war „Mein Führer“ dringend notwendig. Bereits vor 40 Jahren hatte der amerikanische Komiker Mel Brooks auf respektlosen Nazi-Witzen seine Karriere aufgebaut. Im deutschen Mainstream schien sowas eher undenkbar. Dank „Mein Führer“ wurden nun endlich auch wir Deutschen in großen Stil gezwungen, darüber zu diskutieren, in welcher Form wir uns an den Holocaust erinnern wollen. Darf man, kann man, will man Witze über Hitler machen? Darf man, kann man, will man Komödien über den Holocaust sehen? Wenn ja, wieso? Wenn nein, was dann?

Leider empfand ich die öffentliche Diskussion wie den Film: enttäuschend. In Erinnerung geblieben sind mir nur noch Bleiwüsten und Empörung. An (Zwischen-) Ergebnisse des gemeinsamen Streitens erinnere ich mich nicht mehr.

Deshalb fand ich spannend, dass in der vergangenen Woche an der Universität Hamburg der Kongress „The Holocaust, Art and Taboo“ veranstaltet wurde. Deutsche und amerikanische Künstler und Wissenschaftler wollten sich damit beschäftigten, wie der Holocaust in Medien und Kultur dargestellt wird. In der Redaktion des zuender beschlossen wir, den Kongress als Aufhänger dafür zu nutzen, selbst etwas über verschiedene Erinnerungsformen zu schreiben.

Wir entschieden uns, einen Bericht vom Kongress zu veröffentlichen, zusammen mit einer Info-Galerie, die verschiedene Auseinandersetzungen mit dem Holocaust vorstellt. „Holocaust-Pop“ rauschte dafür als Arbeitstitel über unseren bürointernen E-Mail-Verteiler. Zugegeben: der Arbeitstitel war unbedacht. Aber warum auch nicht: unsere Artikel sollten junge Kunst, Bücher, Filme, Comics und Musik behandeln – Popkultur eben. Popkultur, die sich mit dem Holocaust beschäftigt.

„Ich warne davor, den Begriff „Holocaust-Pop“ zu benutzen“, kam keine fünf Minuten später die E-Mail eines Kollegen zurück. „Das ist eine schlimme Banalisierung. Nicht alles laesst sich verpoppen.“

Die klare Ansage überraschte mich. Wir versuchten, unsere Meinungsverschiedenheit auszudiskutieren, erst per E-Mail, dann ein oder zweimal zwischen Tür und Angel. Die Fortführung unserer Diskussion haben wir bisher immer wieder auf das nächste gemeinsame Bier vertagt.

Doch seitdem beschäftigt mich unsere Meinungsverschiedenheit. Grundsätzlich bedeutet eine „Beschäftigung mit“ ja nicht eine „Befürwortung von“. Unser Streit über „Holocaust-Pop“ drehte sich auch nicht um die Frage, ob und wie ernste Themen in Medienformaten zu thematisiert werden können, die bis dato eine popkulturelle oder triviale Nutzung erfuhren, zum Beispiel Comics, Computerspiele oder Komödien. Es ging ausschließlich um das Wort.

Ich verstehe und respektiere die Idee, sich darum zu bemühen, bestimmte Themen (oder auch: dieses eine spezielle Thema) schon sprachlich davor zu bewahren „verpoppt“, verschlagwortet, beschleunigt und entleert zu werden. Erst ein bisschen industrielle Massenvernichtung an den europäischen Juden gucken, dann schön zu McDonald’s – dass es darum nicht gehen kann, ist klar.

Trotzdem empfinde ich den gut gemeinten Moralreflex als oberflächlich und unkonstruktiv. „Holocaust-Pop“, „Genocide Pop“, „Camp Comedy“ und „KZ-Komödie“ – das sind ungewohnte und provozierende Wortpaarungen. Aber wieso sind sie als Genre-Bezeichnung weniger okay als, z.B., „Holocaust-Literatur“ oder „Holocaust-Drama“?

Provokationen aus Prinzip finde ich uninteressant. Provokationen als Denkanstoß finde ich dagegen ziemlich gut.Wenn man bei einem bestimmten Thema so viel Falsches sagen kann, dass man sich am Ende gar nicht mehr drüber zu reden traut, dann haben wir alle verloren.

Wie gesagt: Noch ist es nicht zum geplanten kollegialen Kaltgetränke-Verzehr und zur großen Aussprache gekommen. Doch bis es soweit ist, hielten wir es für eine gute Idee, unseren Streit hier zu veröffentlichen – und hoffentlich ein paar gute Argumente für die eine oder andere Seite zu sammeln. Ich freue mich auf eure Kommentare.

PS: Die beiden Texte, deren Betitelung der Stein des Anstoßes waren, findet ihr im zuender. Hier schreibt Antonia Bauer über „Genocide Pop“. Hier habe ich in einer Bildergalerie einige Beispiele für (kontroverse) Auseinandersetzungen mit dem Holocaust gesammelt – Romane, Comics und Komödien, die ich interessanter finde als „Mein Führer“. Bei der Betitelung haben wir dann übrigens ganz pragmatisch entschieden: Wir wollten nicht das Risiko eingehen, dass Leser schon bei der Überschrift eine Aversion gegen unsere Texte entwickeln, sie gar nicht lesen und/oder sofort empörte E-Mails schicken. Deswegen steht über den einzelnen Seiten unserer Bildergalerie jetzt nicht „Holocaust-Pop“, sondern „Holocaust und Kunst“. Das ist unspektakulärer und inhaltlich nicht falsch. Aber so richtig glücklich bin ich damit trotzdem nicht.