„Wir wollen Leben, Freiheit, Einheit und einen souveränen Staat“ – was sich anhört wie die Parolen aus der damaligen DDR-Bürgerrechtsbewegung, ist der Aufruf der zu einer Neonazi-Demonstration in Halberstadt am Samstag, den 2. Oktober. Die Auswahl der Parolen ist kein Zufall: die NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) knüpft damit an die Wendezeit an, um gegen die verhasste Demokratie in Deutschland zu demonstrieren. Schon im November 2009 hatten Neonazis um die JN das Datum des Mauerfalls als Vorwand genutzt, um in Halle ihre rechtsextremen Inhalte auf die Straße zu tragen.
Bereits am 17. Juli dieses Jahres hatte der Vorsitzende des Harzer NPD-Kreisverbandes, Thorsten Fleischmann, zu einer Demonstration in Halberstadt aufgerufen, musste seine Anmeldung aber offenbar aus organisationstechnischen Gründen zurück ziehen. Auch die „Autonomen Nationalisten Sachsen-Anhalt“, an die die Fleischmann die Demonstration übertragen hatte, scheiterten mit ihrem Vorhaben. Der Grund: sie konnten nicht genügend Ordner benennen, die der Polizei nicht durch ihre Vorstrafen bekannt waren. Doch schon im Juli hatte Fleischmann für das laufende Jahr noch eine Neonazi-Demonstration „ohne wenn und aber“ in Halberstadt angekündigt.
JN mobilisieren mit Verbalkitsch
Angesichts der Pannenserie vor Ort nahmen die JN Sachsen Anhalt um Andy Knape das Heft in die Hand, Unterstützung erhalten sie dabei von ihrem Bundesverband. In den Aufrufen sparen die Organisatoren nicht mit sozial-kitschigen Szenarien, um die dem demokratischen System zugeschriebenen Missstände zu schildern: „Blass und ungesund sieht sie aus, die Mutter am Rande der heutigen Szenerie. Sie und ihre zwei Kinder sind heute nicht zum feiern hier. Vielmehr ist es das Kinderfest mit kostenlosen Getränken und Eis für die Kleinen das sie hier her kommen lässt. (…) Es ist nicht viel was sie ihren Kindern seither bieten kann, es reicht zwar zum Leben doch vielmehr ist es nicht. Das graue Leben in der Stadt, die Tristesse ihres hoffnungslosen Alltags, die ständige Armut – ihre Augen sind leer und ausdruckslos. Sie will doch nur Leben!“ Dass die Demonstration in der Kreisstadt Halberstadt im nördlichen Harzvorland stattfindet, verweist auf die wachsende Rolle der rechtsextremen Strukturen vor Ort. Nicht nur das sog. „Bürgerbüro“ der NPD in Halberstadt stabilisiert die Neonazi-Szene, auch die NPD in Halberstadt bemüht sich offenbar um eine größere Rolle im Landesverband. So finden sich aus NPD-Kreisverband Harz gleich drei Personen auf der Landesliste der Partei für die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt im kommenden Jahr.
Demonstration als Testballon für Landtagswahl
Tatsächlich gilt die Demonstration am 2. Oktober bei Beobachtern als Testballon für die anstehende Landtagswahl. Indem die NPD ihrer Jugendorganisation die überregionale Mobilisierung überlässt, hofft sie auf ein spektrenübergreifendes Potenzial, das im kommenden März ihre Stimmen für die NPD abgeben soll. Nicht umsonst fehlt auf der Rednerliste für die Demonstration der auch intern noch umstrittene NPD-Landesvorsitzende Matthias Heyder, der 2008 dafür gesorgt hatte, dass nahezu der gesamte Vorstand zurück getreten war.
Dafür ist der JN-Bundesvorsitzende Michael Schäfer als regionaler Redner angekündigt, der auch für die NPD im Harzer Kreistag sitzt. Schäfer, der den Wahlkampf seines Landesvorsitzenden unterstützt, genießt auch in der „parteifernen“ Neonazi-Szene Ansehen.
Pannen stören bürgernahes Auftreten
Doch gerade in Halberstadt musste die NPD bei ihren Bemühungen um ein bürgernahes Auftreten in der Öffentlichkeit immer wieder teils selbst verschuldete Rückschläge hinnehmen. Hatte Fleischmann nach der Einrichtung des Bürgerbüros mit einer Bürgersprechstunde gehofft, die NPD-Politik leichter unter das Volk zu bringen, machten ihm Parteimitglieder und Mitglieder der Neonaziszene einen Strich durch die Rechnung. Bei einem Konzert filmte der Neonazi Frank M. aus dem NPD-Umfeld beispielsweise andere Rechtsextreme beim sog. „Abhitlern“ und veröffentliche die Aufnahmen anschließend im Internet. Als Konsequenz verbot die Polizei eine Folgeveranstaltung. Erst im vergangenen August fiel M. erneut auf, als er mit dem Neonazi Benjamin H. in einem Internetradio namens „Wir geben niemals auf“ on air ging. Zu der dort gespielten Musik gehörten teils verbotene Songs von Rechtsrockgrößen wie Sleipnir, Die Zillertaler Türkenjäger, Kommando Freisler u.a. Nach einer Veröffentlichung ging der Radiostream offline. Aus dem Spektrum der sog. „Autonomen Nationalisten“ sorgte Chris A. für Aufsehen, als er mit einem durch Dritte veröffentlichten Foreneintrag dafür sorgte, dass das Online-Forum gelöscht wurde.
Ein Auszug: „Diese geht hier an unsere Linken Mitlesern, ihr Spinner solltet euch stark überlegen nach Halberstadt zu kommen. Wir warten und freuen uns schon euch so richtig die fresse einzuschlagen und spätestens zur späten zeit in Halberstadt ohne Bullen schlagen wir euch die Birne ein (…). Fuck antifa“ (Fehler im Original).Am 2. Oktober vor Ort nach diesen und anderen Pannen zu fragen, dürfte schwierig werden. In den Auflagen für die Demonstrationsteilnehmer heißt es im letzten Punkt: „Der Presse werden keine Fragen beantwortet“.