Ohne Gnade steht die Mittagssonne am Samstagmittag über dem Braunschweiger Bahnhof, die begehrten Plätze im Schatten werden knapp. Auch auf der rechten Seite vor dem Bahnhof wird geschwitzt: von Hamburger Gittern eingezäunt und von Protesten abgeschirmt, warten etwa 600 Neonazis in der brütenden Hitze auf den Beginn der Kundgebung zum sog. „Tag der deutschen Zukunft“. Es war bereits die dritte Neonazi-Veranstaltung der sog. „Initiative .Zukunft statt Überfremdung“ , doch anders als zuvor hatten die Gerichte dieses Mal nur eine dreistündige Kundgebung genehmigt. Die Szene reagierte mit einem Aufmarsch in Peine nach dem Abschluss der Kundgebung.
Ein Gastbeitrag von Kai Budler, Roland Meixelsberger und Lea Stein
„Hallo Braunschweig“ hallt es über den von der Polizei abgesperrten Platz, doch die gebrüllte Begrüßung des Neonazis Dieter Riefling stößt
auf wenig Begeisterung. Bei Temperaturen um 28 Grad und sengender Sonne ist der begehrteste Platz am „Materialwagen“, wo Neonazis „Mineralwasser zu volkssozialistischen Preisen“ verteilen – auf dem ein wenig schattigen Plätzchen werden auch „Solidaritäts T Hemden“ und „Gesinnungsknöpfe“ feilgeboten. Die Szene ist unter sich, das abgelegene Areal ist weiträumig abgesperrt. Die Polizei ist mit etwa 4.000 Beamten im Einsatz, um die Gegenproteste des Braunschweiger Bündnisses gegen Rechts von den Neonazis fernzuhalten.
Kameradschaftsszene unter sich
Auf dem Kundgebungsgelände werden zunächst noch Bekanntschaften geschlossen und aufgefrischt, die rechtsextremen Redner werden mit Handschlag begrüßt, die Band „Selektion“ und der Berliner Liedermacher Sebastian Döring aka „Fylgien“ hieven ihre Instrumente auf die Ladefläche des Lkw, der später als Bühne dient. Obwohl der ursprünglich geplante Aufmarsch durch die Innenstadt verboten wurde, sind etwa 600 überwiegend jüngere Neonazis nach Braunschweig gereist. Sie stammen überwiegend aus aus der Kameradschaftsszene der westlichen Bundesländern, unter ihnen befinden sich ungewöhnlich viele Frauen. Doch Stimmung mag auf dem Platz nicht aufkommen, da helfen auch keine markigen Worte einiger Redner wie Axel Reitz („auf diese Demokratie kann man auch scheißen“), Christian Worch und Sebastian Schmidtke. Auch der Auftritt der Rechtsrock-Band „Selektion“ löst in Neonaziforen Kritik an der Gruppe aus, „die durch primitive Grunzlaute und eintönige, schlecht gespielte Stücke auffiel“. Erst im 30 km entfernten Peine feiern die Neonazis sich bei der anschließenden Demonstration selbst. Unter lautstarken Rufen,
menschenverachtenden Parolen und von der mittlerweile obligatorischen Trommlergruppe angeführt zieht der etwa 15-minütige Aufmarsch zum Hagenmarkt, um auf einer Zwischenkundgebung dem Neonazi Sven Skoda und erneut „Fylgien“ zu lauschen. Anschließend geht es zurück zum Bahnhof, um 19.15 Uhr meldet die Polizei: „Die Mehrzahl der Rechtsextremen haben Peine per Zug verlassen“.
Rechtsextreme Übergriffe im Rückreiseverkehr
In anderen Städten kommt es bei der Rückreise aus Braunschweig noch zu Übergriffen: im westfälischen Minden greifen Neonazis am Bahnhof vermeintliche Gegner mit Steinen, Flaschen und Knüppeln an und verfolgen sie bis in die Innenstadt. Auch in Berlin, Göttingen und Osnabrück kommt es am Abend zu Drohungen oder Angriffen auf Personen, die nicht in das Weltbild der Neonazis passen. Auch die in Braunschweig und Peine anwesenden Journalisten geraten in das Visier der Neonazis: unterlegt mit der Melodie von „Spiel mir das Lied vom Tod“, tauchen Portraitfotos der
Medienvertreter wenig später im Netz. Derweil kündigten Ricarda und Dieter Riefling bereits den nächsten sog. „Tag der deutschen Zukunft“ für den 2. Juni 2012 in Hamburg an. Auch wenn die erwartete Zahl von 1.000 Neonazis in Braunschweig deutlich unterschritten wurde, ist das kein Anlass zur Entwarnung. Besonders die langjährige Erfahrung des mehrfach vorbestraften Neonazis Dieter Riefling und die integrative Wirkung seiner Ehefrau Ricarda Riefling haben dem sog. „Tag der deutschen Zukunft“ im letzten Jahr einen wahren Teilnehmerschub beschwert. Dahinter steckt ein altbewährtes Netzwerk von führenden Neonazis in Norddeutschland, das für die Organisation nicht auf die oft altbacken wirkende NPD zurück greifen muss und ein in großen Teilen junges Neonazi-Spektrum mobilisieren kann. Damit bestätigen sich Befürchtungen, nach denen die rechtsextreme Veranstaltung nicht lediglich zu einer„fest im Kalender des nationalen Aktivisten verankerten Demonstration“ geworden ist, wie es sich die Veranstalter wünschen. Neben dem sog. „Trauermarsch“ in Bad Nenndorf droht der „Tag der deutschen Zukunft“ trotz szeneinterner Zerwürfnisse und Streitigkeiten im Vorfeld zum zweiten großen Neonazievent in Norddeutschland zu werden.
„Thüringentag der nationalen Jugend“
Auch im Sondershäuser Gewerbegebiet waren es um die 28 Grad, bei denen die „Kameraden“ auf dem schattenlosen Platz „gebraten“ wurden, wie es später in einigen rechtsextremen Foren hieß. Hierher hatte die NPD-Nordhausen am 4. Juni zur Konkurrenzveranstaltung geladen, die bereits zuvor für heftige Diskussionen in der Szene gesorgt hatte. Noch einen Tag vor dem „Thüringentag“ schien es zunächst so, als würde das rechtsextreme Musikevent aufgrund der chaotischen Vorbereitung durch die NPD nicht statt finden können. Bis Freitag Mittag sah es danach aus, als ob der „Thüringentag“ ein organisatorisches Desaster für die Verbände werden würde. Der durch Marco Kreutzer, Vorsitzender des Kreisverbandes der NPD-Nordhausen, bereits im August 2010 angemeldete „Thüringentag“ konnte keinen Veranstaltungsort vorweisen. Nach mehreren Anmeldungen und Absagen wurde der Segelflugplatz im Nordhäuser Stadtteil Bielen beworben. Obwohl keine
Genehmigung vorlag, wurden die Organisatoren nicht müde darauf hinzuweisen, dass die Veranstaltung auf jeden Fall durchgeführt werden würde. So wurden Rechtsmittel vor dem Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht in Weimar eingelegt. Die NPD scheiterte in beiden Instanzen. Zum Schluss verbot das zuständige Landratsamt auch die Ausweichorte und die Veranstaltung musste ins benachbarte Sondershausen umziehen, wo der „Thüringentag“ bereits 2008 statt fand.Waren damals gerade mal rund 150 Personen aus der extrem rechten Szene nach Nordthüringen gereist, zog es am 4. Juni mindestens 600 nach Sondershausen. Hier sammelte sich ein breites Spektrum der extremen Rechten; vom Neonazi über NPD-Mitglieder, NS-Hardcorer bis zum Anhänger des NS-BlackMetal Viele kamen aus den benachbarten Bundesländern, aber auch aus Baden-Würtemberg und anderen Teilen Deutschlands. Die Organisatoren hatten ein bunt-braunes Programm aus Rechtsrockbands wie Sleipnir, Words of Anger, Kinderzimmer Terroristen, Nordglanz und dem obligatorischen Nazibarden Frank Rennicken zusammen gestellt. Die kurzfristige Absage von Kraftschlag löste zwar wilde Vermutungen und Spekulationen in der Szene und Foren aus, schien aber nicht demobilisierend zu wirken. Die Redner dürften eine eher unwichtige Rolle am Rande der Veranstaltung gespielt. haben.
Rechtsrockkonzert spült Geld in leere Partei-Kassen
In erster Linie dürfte die Veranstaltung ein enormer finanzieller Erfolg für die NPD gewesen sein. Bei 15€ Eintritt und eigenem Verdienst an Getränken und Essen, welches die klammen Kreisverbände wie der Thüringer Landesverband sehr gut gebrauchen können, dürfte die Veranstaltung einige tausend Euro in die leeren Kassen gespült haben. Somit kann dann z.B. die Arbeit an und die Herausgabe der eigenen NPD-Regionalzeitung finanziert werden. Die Polizei war nach Angaben des MDR mit knapp 1.500 Einsatzkräften vor Ort, hatte das Gelände weiträumig abgesperrt und stellte bei Kontrollen unter anderem Stich- und Schlagwaffen sicher. Im Verlauf des Tages zeigten sich auch immer wieder kleinere Gruppen gewaltbereiter und bekannter Neonazis bei den Gegenprotesten in Nordhausen, fotografierten die Kundgebungsteilnehmerinnen oder entrollten gar kurzzeitig ein eigenes Banner. Einige von ihnen zeigten sich unverhohlen in T-Shirts der Hooligangruppe „NDH-City“, mit der sich die „Autonomen Nationalisten – Nordthüringen“ seit kurzem solidarisieren und somit verdeutlichen, wie stark die Überschneidung der lokalen extrem rechten Gruppen in Nordhausen ist. Seit 2009 weisen AntifaschistInnen aus Nordhausen und vereinzelte Journalisten auf des enorme Gewaltpotential der Gruppierung und deren Überschneidung in die extrem rechte Szene hin, die mittlerweile auch vom Innenministerium bestätigt wurde.
Für die Neonazis war die Teilnehmerzahl im Vergleich zu den Vorjahren eine mehr als deutliche Steigerung und dürfte die regionalen extrem rechten Strukturen nicht nur finanziell gestärkt haben. Wie die Szene selbst mit den Konkurrenzveranstaltungen der NPD umgeht, welche dieses Jahr gleich mehrmals langjährig statt findende Demonstrationen ignorierte und eigene Veranstaltungen anmeldete, wird sich zeigen. Außerdem bleibt abzuwarten, ob man nach der chaotischen Organisation die Verantwortung für eine derartig wichtige Veranstaltung wieder in die Hände der Kreisverbände Nordhausen und Kyffhäuserkreis legen wird. Eines ist aber sicher, ein couragiertes Auftreten wie das des Landratsamtes, das als erstes landesweit überhaupt den „Thüringentag“ verboten hat, gehört als Beispiel genannt, wie man auf der lokalen Ebene mit der extrem rechten Szene umgehen kann.