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Faschismus und Radikalfaschismus III – Ein Streitgespräch über Ernst Nolte

 

Vor 25 Jahren tobte in Deutschland der so genannte „Historikerstreit“ zwischen dem Historiker Ernst Nolte und dem Philosophen Jürgen Habermas über die Singularität von Auschwitz. Der Historiker Frank Sobich und Mathias Brodkorb führten unlängst ein Streitgespräch über zentrale Thesen Noltes, das aus diesem aktuellen Anlass in mehreren Teilen veröffentlicht wird. (Teil 3)

Sobich: Sie haben in zwei Sachen völlig recht . Erstens: Man kann generell nicht über menschliches Leiden schreiben, wie über Gemüseanbau. Das gilt auch für den Gulag. Der Hinweis ging allerdings nicht an Hr. Nolte, sondern an Sie, bei unserem kleinen Exkurs über Wissenschaftlichkeit und Emotionalität.

Zweitens teile ich Ihre Kritik und Bewertung der Versuche von Nolte, der Shoah irgendeinen verständlichen oder nachvollziehbaren Anteil zuzusprechen. Hier macht er allerdings einen sehr klassischen Fehler, mit dem er nicht allein ist und der an sich auch noch kein Hinweis auf eine merkwürdige Intention ist: Er geht davon aus, dass es bei jedem Vorurteil, jedem Klischee, jedem Stereotyp oder wie immer Sie es nennen wollen, irgendeinen Realanteil geben muss. Um es in Ihren Worten zu sagen: Dass z. B. der Antisemitismus auf der abstrusen und unzulässigen Verallgemeinerung verschiedener Erfahrungen beruht. Grundlinie der Argumentation ist, dass es immer jemanden geben muss, der Sauerkraut oder Knoblauch isst, einen größeren Penis hat oder kleine Kinder tötet, damit entsprechende Vorstellungen über seine oder ihre Gruppe entstehen können. Das ist, um es mal ganz klar zu sagen, ein Schmarrn. Dieses Vorurteil über Vorurteile muss man aufgeben, wenn man den Sinn des Wahn-Sinns begreifen will. Denn es stimmt einfach nicht und darum geht jede „Wo Rauch ist, wird irgendwo schon auch ein Feuer zu finden sein“- Logik ins Leere — und kippt ab und an auch in die Apologetik des Rassismus und Antisemitismus um.

Das soll nicht heißen, dass Verallgemeinerungen nie eine Rolle spielen können, aber es ist schlichtweg falsch, davon auszugehen, dass das immer der Fall sein muss. Und im Fall des Antisemitismus ist es auch ziemlich evident, das es keine Rolle spielt, ob irgendwo jemand wirklich sitzt, der nach gängigen antisemitischen Kriterien als „Jude“ zu definieren wäre. Wenn Antisemiten niemanden finden — schon die Suche ist doch dem Verdacht geschuldet — dann erfinden sie jemanden, das sehende Auge des Glaubens und „Wissens“ wird da schnell fündig. Oder sie erklären es als besonders raffiniertes Täuschungsmanöver. Auf solche Mechanismen haben übrigens schon Rosa Luxemburg und George Orwell hingewiesen, das sind also nicht gerade brandneue Erkenntnisse der Antisemitismusforschung.

Die Realität der Gruppe, über die es negative Vorstellungen gibt, ist nicht wirklich interessant für die Erklärung, nicht die Welt, sondern die gesellschaftlich verbreitete Vorstellungswelt spielt hier eine Rolle.

Was ich noch alles an Hr. Noltes Ausführungen falsch und schlecht finde, habe ich nur kurz angedeutet. Aber wo Sie die Sprache drauf bringen, auch gerne dazu noch etwas. Der ganze Gestus des wohlabgewogenen Urteilens, der dem NS eine „faire“ Behandlung zusichert und sich bei jedem Massenmord fragt, ob der Täter nicht auch — subjektiv oder objektiv — gute Gründe gehabt haben könnte, ist ziemlich widerlich, das stimmt schon. Da Sie sich wundern, dass ich darauf nicht eingegangen bin: Sie haben mir eine konkrete Frage gestellt, auf die ich versucht habe konkret zu antworten, nämlich ob und wo Hr. Nolte das Kleinreden und die letztliche Ableugnen der Singularität nachzuweisen wäre. Das hielten Sie ja für ein Märchen und können es immer noch nicht glauben.

Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Hr. Nolte hat sich klar geäußert. Er hat u. a. die Ausdrücke Original und Kopie verwendet, und seine langen Ausführungen zu den Unterschieden, die ich jetzt inhaltlich gar nicht bewerten will, zeigen doch, dass ihm das Problem sogar bewusst war. Dessen ungeachtet hat er diese Ausdrücke benutzt und sich m. W. auch nie davon distanziert oder auch nur gesagt, dass das vielleicht etwas unpräzise war. Wer so formuliert und sich nicht korrigiert, der meint wohl, was er nach dem üblichen Verständnis sagt, wenn er von Kopie und Original redet. Und die Frage, ob Hr. Nolte woanders auch anders über die Shoah gesprochen hat, ist dafür nicht wirklich relevant. Sondern wirft ja eher die Frage auf: Warum hat er denn diese Formulierungen benutzt, wenn ihm auch andere, in seinen Augen treffende, zur Verfügung standen? Ganz ehrlich: Ich bin sehr zufrieden, dass er dankenswerter Weise zwischendurch Klartext spricht und ich nicht auf die Ebene der hermeneutischen oder psychologischen Spekulation gehen muss, wie Sie das fortgesetzt tun.

Damit wir uns richtig verstehen: Der zu Grunde liegende Gedanke von Hr. Nolte bleibt dabei falsch, egal wie er ihn nun genau formuliert. Die politische Rechte brauchte keinen realen „linken“ Terror, um auf Vernichtungsphantasien gegen den Gegner zu kommen und Faschismus ist mehr als radikaler Antikommunismus — und die Shoah ist keine, wie auch immer geartete, Antwort auf den Gulag.

Noltes Intention ist politischer Natur, sein Vorgehen ist zum Teil spekulativ, zum Teil, vorsichtig ausgedrückt, ziemlich eigenwillig, sein Resultat ist wissenschaftlich nicht haltbar und seine Definition des Faschismus ist falsch. Ich denke, ich habe hinreichend geklärt, warum ich mich nicht an ihn „anlehne“, wie Sie es behauptet haben. Über den Rest werden wir uns wohl leider nicht einigen können.

Brodkorb: In der Tat, von einer Einigung sind wir leider so weit entfernt wie vor dem ersten Wort, das wir gewechselt haben. Aber dann noch eine letzte Frage in der Sache: Nolte wird vom, wie Sie es nennen, „ultrarechten Spektrum“ immer wieder massiv kritisiert. Von Mohler wird er zum Beispiel ausdrücklich wegen seiner Verteidigung der Singularität angegriffen: „Aber Nolte – das ist ja das Schlimmste – zementiert geradezu die These von der ‚Singularität’ der deutschen Verbrechen. Er findet sogar eine neue Kategorie des Verbrechens, das transzendentale Verbrechen, das nur die Deutschen begangen haben. Er ist ein Liberaler, er ist gar nicht so weit entfernt von Habermas. Nur: Die Leute lesen das nicht, nehmen das nicht zur Kenntnis.” Das ist ein Punkt in der Singularitätsdebatte, den wir noch gar nicht berührt haben, obwohl er unverzichtbar ist. Tatsächlich steht im Zentrum der Theorie Noltes von Beginn an die anthropologische These nach einem unaufhaltsamen Streben nach Transzendenz sowie dessen Verwirklichung. Und er vertritt in der Tat die Position, dass erstmals und allein die Nazis mittels Auschwitz den Versuch unternommen hätten, die theoretische und die praktische Transzendenz identisch zu machen, indem die Geschichte angehalten wird. Der Ungeheuerlichkeit und Singularität der Opfersituation steht bei Nolte also zugleich eine ebenso große Ungeheuerlichkeit und Singularität der Täterperspektive gegenüber. Und genau dies ist der Grund, warum Mohler Noltes Position so scharf attackieren muss: weil sie einer bruchlosen Wiederaneignung deutscher Geschichte im Rahmen einer nationalistisch aufgeladenen Geschichtspolitik unüberwindbar entgegensteht.

Da Nolte jedoch auf beiden Seiten Singularität postuliert – auf Seiten der Opfer wie der Täter -, und die Singularität der Täterperspektive anthropologisch prioritär, die der Opfer jedoch abgeleitet ist, läuft Ihre These, Nolte meine das mit der Singularität gar nicht ernst, auf die viel entscheidendere These hinaus, Nolte meine es mit seiner Transzendenztheorie ebenfalls nicht ernst, obwohl sie bekanntermaßen das Kernstück darstellt, um das sich seit Jahrzehnten – bis heute – sein gesamtes Denken dreht. Dies wiederum wäre nur erklärbar, wenn man Nolte unterstellte, er verfolgte seit Jahrzehnten ein kurioses Täuschungsmanöver, hätte sich also gewissermaßen seine Transzendenztheorie als Schutzschild vor Angriffen auf das ebenfalls vorgetäuschte Singularitätspostulat geschaffen. Und da Sie so viel Richtiges über Vorurteile und die Tatsache geschrieben haben, dass diese zu ihrer Wirksamkeit nicht eines empirisch überprüfbaren Gehaltes bedürfen: Droht man nicht selbst in Vorurteilsstrukturen zu verfallen, wenn man Nolte – übrigens ohne jeden Textbeleg – vorwirft, seine Absichten seien nur „politischer Natur“ und bei jedem textorientierten Versuch der Überprüfung dieser These lediglich auf eine – und dies ist wohl gewiss nicht wohlwollend gemeint – „Ebene der hermeneutischen oder psychologischen Spekulation“ verweist? Mit anderen Worten: Was könnte Nolte unter solchen Bedingungen überhaupt noch tun, um sich selbst gegen Ihre These zu verteidigen – und zwar sogar wenn es völlig falsch wäre, was Sie sagen? Jeder Versuch, die einzelnen Texte ins Gesamtwerk einzuordnen, die Begriffe in ihrer Verwendung gegenseitig zu stützen und zu erhellen etc., die akzeptierte Methode der Hermeneutik ins Spiel zu bringen, also auch zu zeigen, dass etwas anderes als eine politische Intention vorliegt, zöge ja wahrscheinlich erneut den Vorwurf nach sich, dass auch diese Argumente gegen die politische Natur der Argumente selbst lediglich „politischer Natur“ wären. Wie aber, so muss man doch fragen, kann ein fairer Prozess unter solchen Bedingungen überhaupt noch stattfinden? Richter zum Angeklagten: „Herr Angeklagter, Sie lügen.“ Angeklagter zum Richter: „Euer Ehren, ich lüge nicht.“ Richter zum Angeklagten: „Wusste ich’s doch! Sie lügen schon wieder, indem Sie behaupten, die Wahrheit zu sagen. Da Sie lügen, kann das ja nicht stimmen.“ Ein Vor-Urteil eben.

Sobich: Ich werde in diesen Wettbewerb um die Gadamer-Medaille für angewandte Hermeneutik nicht einsteigen. Der hermeneutische Zirkel, also dass wir unsere Vorerwartungen an den Text herantragen und darum in einem Text das zu lesen glauben, was wir vorher bereits angenommen haben, was wohl drin stehen würde, ist ja nicht mein individuelles Problem, sondern kann man genau so gegen Sie wenden. Weil Sie aus Ihrer Kenntnis des Gesamtwerks zu wissen glauben, was Nolte nur gemeint haben kann, wollen Sie die Stellen, wo er – wie ich finde eindeutig – sagt, was er möchte, so ins Gesamtwerk einordnen, dass sie keine Bedeutung mehr haben. Das ist Hermeneutik nicht als Textauslegung, sondern als Textabwehr.

Ihr schönes Richterbeispiel hakt schon an einem Punkt. Wir sind nicht vor Gericht. Die Unschuldsvermutung gilt vor Gericht. Wo der Staat die Schuld nicht nachweisen kann, da muss im Zweifelsfalle für den Angeklagten entschieden werden, weil die Bestrafung eines Unschuldigen schlimmer wäre als die Straflosigkeit eines Verbrechers. Das historische Urteil hat weder Schuld- noch Unschuldsvermutung, ihm stehen auch keine anderen Gewaltmittel als Argumente zur Verfügung, es kann jederzeit widerrufen werden, wenn neue Gesichtspunkte auftauchen. Die historische Urteilsfindung hat Wahrheit zum Ziel, im Sinne von Belegbarkeit, Triftigkeit, Plausibilität und logischer Widerspruchsfreiheit. Was Nolte tun könnte wäre, die von mir vertretenen Position dadurch entgegen zu treten, dass er triftig erklärt, was er mit den von mir angeführten Sätzen denn dann gemeint hat. Oder z. B. erklärt, dass er unglücklich und missverständlich formuliert hat. Das habe ich in diesem Interview ja auch schon gemacht. Das alles tut Nolte m. W. nicht und seine Entgegnungen im Historikerstreit sind eher Themen- und Gegenstandswechsel, aber kein überzeugender Abweis. Diese ganze Überlegung macht übrigens nur Sinn aus der Perspektive, dass Sie glauben, dass Sie wissen, was Nolte eigentlich gemeint hat. Dafür ignorieren Sie mit beachtlicher Hartnäckigkeit entgegenstehende Textstellen.

Und Ihre aktuelle Argumentation geht so: Meine ziemlich vergröberte Interpretation davon, wie Sobich einige Texte von Nolte interpretiert, würde zusammen genommen mit Schlussfolgerungen aus meiner Interpretation von Nolte plus einigen meiner Verlängerungen daraus am Ende zu einem absurden Gesamtergebnis führen – darum kann Sobichs Interpretation nicht richtig sein. Es könnte drei andere Fehlerquellen geben. Sie könnten sich in Ihren Interpretationen, Schlussfolgerungen und gedanklichen Weiterverlängerungen von Nolte irren, oder Nolte ist widersprüchlicher als Sie denken, oder Nolte hat zu verschiedenen Zeiten Unterschiedliches gewollt, gedacht und geschrieben, so dass sich Noltes Überlegungen einer Systematisierung als dem Theoriegebäude Noltes notwendig entziehen. Prüfen Sie das doch mal wohlwollend.

Wir haben angefangen, damit, dass Sie aufgrund eines Begriffs mir inhaltliche Nähe zu Hr. Nolte vorwerfen zu können glaubten. Im Rahmen unseres Gesprächs haben wir, neben unserem eigentlichen Thema, über meine These gestritten, dass sich mit Grund Hr. Nolte vorwerfen lassen muss, dass er – absichtlich oder unabsichtlich – die qualitative Verschiedenheit des nationalsozialistischen Vernichtungsprogramm kleinrede und der Sache nach ableugne, wiewohl er sie rhetorisch betont. Da habe ich, wenn Sie sich erinnern, auch zurückgerudert und einige etwas apodiktische Formulierungen noch mal nachgebessert, weil es ja stimmt, dass Hr. Nolte mittlerweile der Behandlung der Shoah durchaus größeren Platz einräumt. Jetzt diskutieren Sie mit mir – bzw. Sie versuchen das zu diskutieren und ich versuche, das nicht zu diskutieren, weil ich es eine für unseren Zusammenhang uninteressante Spezialdiskussion finde – ob Hr. Nolte dies schon immer gedacht habe und alles, was er sagt und schreibt und gesagt und geschrieben hat, auf jene Äußerungen hinausläuft, die er seit den 1980er Jahren in vielfachen Kontexten getan hat.

Nehme ich ältere Sachen von Hr. Nolte zur Hand, lese ich viele Dinge, mit denen ich durchaus etwas anfangen kann, anderes ist fragwürdig, vieles ist auch durch weitere Forschungen relativiert oder überholt – und einiges ist jeweils dem Zeitgeist und den verschiedenen Moden, die es ja auch in der Geschichtswissenschaft gibt, geschuldet. Und manches halte ich auch für Quark und eine verfehlte Betrachtung. Mit dieser Forschung hat sich Hr. Nolte sein Renommee erworben, zuerst als Eisbrecher gegen die Totalitarismustheorie, später als Widerpart gegen vulgärmarxistische Deutungen des NS. Dieses Renommee hat er benutzt, um in öffentlichen Debatten eine bestimmte geschichtspolitische Schwerpunktverlagerung zu fordern, und das mit haarsträubenden Argumentationen, die eines Wissenschaftlers unwürdig sind. Sein ganzes Gerede davon, der Zweite Weltkrieg könne vielleicht doch objektiv ein Präventivkrieg gewesen sein, sein unsägliches Geschwätz über irgendwelche Weizmann- oder Tucholsky-Zitate, die die Gefühle und Taten der Nazi-Führung „verstehbarer“ machen würden, sein Beharren darauf, „Tatsachenbehauptunge, unter Umstände sogar Interpretationen, die sich in der sogenannten rechtsradikalen Literatur finden”, könnten die Geschichtswissenschaft bereichern, war eben die Begleitmusik dazu. Er sagt es im Interview mit der israelischen Haaretz in schöner Deutlichkeit: „Es sollte ein Schlußstrich unter die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gezogen werden, sofern sie selbst charakterisiert ist durch die kollektivistische Schuldzuschreibung” und fügt hinzu: „sie könnten sagen, der Artikel ist gegen diese kollektivistische Schuldzuschreibung geschrieben” (Nolte, Ernst: Vergangenheit, die nicht vergehen will. Antworten an meiner Kritiker im sogenannten Historikerstreit. Frankfurt, 2. Erw. Auflage 1988, S. 105). Die These einer deutschen Kollektivschuld kenne ich in erster Linie als Phantasie von Rechtsradikalen, die diesen Pappkameraden brauchen, um das Gefühl des beleidigten Nationalismus zur Abwehr gegen eine Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Deutschland mobilisieren zu können.

Je länger ich mich mit Hr. Note befasse, umso eher tendiere ich dazu, ihn in den ordentlichen, konservativ-liberalen Wissenschaftler der 1960er und 1970er Jahre und den nationalkonservativen Geschichtspolitiker seit den 1980er Jahren einzuteilen. Es gibt zwischen beiden Kontinuitäten und Brüche. Eine Verbindung zwischen beiden besteht zumindest in der Tatsache, dass Nolte den Antisemitismus nicht ernst nimmt und nicht als Grund der Shoah erkennt. Aber die Praktizierung einer solchen eliminatorischen Ideologie als Staatsprogramm, die der Versuch der weltweiten Ermordung aller Mitglieder einer Menschengruppe war, macht doch die eigentliche Singularität aus und ist doch der Grund, warum die Beschäftigung mit der Shoah nach wie vor aktuelle Bedeutung hat.

Wenn sich hingegen jemand fragt, ob es nicht einen Kern des Richtigen habe, dass die übermäßige Beschäftigung mit der Shoah von anderen wichtigen Ereignissen in der NS-Zeit – vor allem aber von entscheidenden Fragen der Gegenwart – ablenke, dann ist das kein geschichtswissenschaftliches Vorgehen, sondern eine geschichtspolitische Intervention aus außerwissenschaftlichen Gründen (Fragen der Gegenwart!). Das wird Ihnen als Textbeleg wieder nicht genügen, mir reicht es durchaus. Seitdem hat sich Nolte ins wissenschaftliche Abseits manövriert und seine meinungsfreudige Bereitschaft den Kronzeugen für Ultrarechte und Geschichtsrevisionisten zu geben, hat da sicherlich mehr zu beigetragen als seine Forschungsergebnisse.

Dass der eine oder andere richtige Ultrarechte dann Noltes neue Fans warnt, der Ernst Nolte sei ein „Liberaler“, ist kein Beweis für irgend etwas; Angriffe aus diesem Milieu sind auch noch kein Gütezeichen. Nolte ist kein Nazi, insoweit will er auch meiner Kenntnis nach keine bruchlose Aneignung der deutschen Geschichte, und alle, die das wollen, werden da schon ein Problem mit ihm haben, sofern es ihnen auffällt.

Zur „Transzendenz“ noch zwei Worte. Wenn ich Nolte richtig verstanden haben, sieht er den Faschismus als Widerstand dagegen an, dass im Menschen die Möglichkeit besteht, sich theoretisch kritisch zu den ihn umgebenden Verhältnissen zu stellen und sie darum praktisch zu verändern. Der Faschismus ist die Gegenreaktion gegen Versuche dies zu tun, v. a. in der Verfolgung emanzipatorischer Bewegungen. Wenn er das damit meint, ist da was dran. Aber das ist deutlich zu wenig, um Faschismus und Nationalsozialismus zu begreifen, selbst als philosophiegeschichtliche Einordnung scheint mir das zu abstrakt, Ähnliches ließe sich über viele theoretische und philosophische Konzepte sagen.

Brodkorb: Sie ahnen bestimmt, dass es mir in den Fingern juckt, aber wir müssen ja auch zu einem Ende kommen. Daher abschließend, damit künftig keine Fragen offen bleiben und keine Missverständnisse mehr entstehen: Was genau verstehen Sie nun unter „Faschismus“, was unter „Radikalfaschismus“ und in welchem Verhältnis stehen beide Begriffe zueinander?

Sobich: Als faschistisch würde ich jede nationalistische Bewegung bezeichnen, die ein autoritäres politisches System durchsetzen und ein korporativ-hierarchisches Gesellschaftsideal verwirklichen will, ohne dabei aber die Eigentumsverhältnisse im Wesentlichen zu verändern. Die Rhetorik ist im Regelfall die einer konformistischen Rebellion, die im Namen traditioneller Werte und Auffassungen die bestehende Gesellschaftsordnung gegen Emanzipationsbewegungen verteidigen will und dabei, auch im Widerspruch zum revolutionären Selbstanspruch, ein Bündnis mit den traditionellen Eliten sucht. Als radikalfaschistisch würde ich jede Bewegung bezeichnen, die zur Durchsetzung ihrer faschistischen Ideale dazu übergeht, konservativ-traditionelle Wertvorstellungen praktisch und theoretisch über Bord zu werfen und das Bündnis mit den traditionellen Eliten aufzukündigen, bis dahin, dass der ursprüngliche Ausgangspunkt, der bürgerliche Nationalstaat, transzendiert wird zugunsten eines Imperiums einer angeblichen Herren-Rasse, die mit dem Volk des Nationalstaats nicht mehr deckungsgleich ist, und zu dessen Herstellung groß angelegte Massenmorde an angeblichen Feinden oder als „unnütz“ Definierten geplant und ins Werk gesetzt werden. Der Antisemitismus ist für diese Radikalisierung nicht nur Voraussetzung oder begünstigender Faktor, sondern mindestens der Katalysator, meines Erachtens aber sogar der Motor.

Dass durch diese kurzen Sätze tatsächlich keine Fragen offen bleiben und alle Missverständnisse ausgeschlossen sind, wage ich nicht zu hoffen. Wohl aber dass klar wird, dass ich mich nicht an Hr. Nolte anlehne.

Brodkorb: Herr Sobich, herzlichen Dank für das Gespräch.

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