13 Jahre agierte das Jenaer Neonazi-Trio im Untergrund. Hinterließ weder Bekennerschreiben, noch brüstete es sich anonym im Internet oder auf andere Weise für seine Taten. Warum nicht?
Von Tagesspiegel-Autor Frank Jansen
Selbst Experten mit vielen Jahren Erfahrung sind in diesen Tagen sprachlos. „Ich versteh’s einfach nicht“, sagt einer, der sich schon lange mit extremistischer Gewalt befasst. Da ist nicht nur die seit Tagen wachsende Dimension der Taten, die dem Jenaer Neonazi-Trio zugeschrieben werden. Auch die Professionalität, mit der Uwe M. (38), Uwe B. (34) und Beate Z. (36) agiert haben, macht ratlos – aber ebenso die vielen Widersprüche im „Modus operandi“, wie Sicherheitsbehörden die Handlungsweise von Tätern klassifizieren. Das Trio ist offenbar verantwortlich für die tödlichen Schüsse auf acht türkischstämmige Männer und einen Griechen, vermutlich wurden diese Morde aus rassistischem Hass begangen.
Das ist Terror. Doch die Neonazis, wenn sie die Täter waren, haben untypisch für Terroristen, weder Bekennerschreiben verschickt noch sich anonym im Internet gebrüstet oder auf andere Weise, und sei es durch Hakenkreuz-Schmierereien am Tatort, die Morde „erklärt“. Warum nicht?
„Wenn ich einen nationalsozialistischen Rachefeldzug führen will, erfinde ich einen martialischen Gruppennamen und rufe laut: ’Wir waren es!’“, sagt ein Sicherheitsexperte. Doch das Trio meldete sich nicht. Es gibt allerdings Indizien, die nahelegen, dass Uwe M., Uwe B. und Beate Z. eine Propagandaoffensive geplant haben – nach mehr als 13 Jahren konspirativer Stille. Im Brandschutt des Hauses im sächsischen Zwickau, in dem die drei gelebt hatten und das Beate Z. am 4. November anzündete, hat die Polizei DVDs und Briefumschläge entdeckt, auf denen schon die Adressen von Nachrichtenagenturen und islamischen Einrichtungen standen. Auf den DVDs sind Bilder der Opfer der Morde zu sehen. Die Fotos zeigen die getöteten Türken, Deutschtürken und den Griechen, kurz nach der Tat. Die Mörder selbst müssen sie aufgenommen haben.
Die DVDs waren als Propagandafilm für eine Gruppierung „Nationalsozialistischer Untergrund“ gedacht. Eine Formation dieses Namens gab es bislang nicht. Wollte das Trio nach den neun Morden, nach der Tötung der Polizistin in Heilbronn und nach den 14 Banküberfällen nun doch aus dem Dunkel des ewigen Verschwundenseins auftauchen – mit einer brachialen politischen Botschaft? Aber warum? Und warum jetzt?
Statt einer Terrorstrategie, die sich mit bekannten Mustern wie dem Auftreten der Roten Armee Fraktion vergleichen ließe, ist bislang nur ein Gewaltrausch zu erkennen, exzessiv bis hin zur Mordlust. Das Trio, so scheint es, hat sich als Outlaws inszeniert, zunehmend auch als psychopathische Gangster. Nach dem Vorbild von Figuren aus dem amerikanischen Action-Kino. Ein Mix aus Bonnie and Clyde, Natural Born Killers und dem grobschlächtigen Gehabe mancher Rapper. Es gibt dazu ein Bild von Uwe M. und Uwe B., das sie blitzartig charakterisiert.
Es ist der 7. September 2011, die beiden Männer berauben die Sparkassenfiliale im thüringischen Arnstadt. Die Überwachungskamera zeigt Uwe M. und Uwe B., komplett vermummt und gekleidet mit Kapuzenjacken, Jogginghosen und Handschuhen. Einer der beiden hält den linken Arm hoch, die Hand mit der Pistole zeigt leicht abgeknickt nach unten. So wie es coole Killer heute in Filmen tun. Thüringer Neonazis mit dem Habitus von Video-Clip-Heroes.
Zeugen der mindestens 14 Banküberfälle berichten der Polizei, die Täter seien „äußerst brutal“ aufgetreten. Der Ausdruck ist vermutlich noch milde, wenn man auf die Morde an den Migranten und die Heilbronner Polizistin schaut. Der türkische Blumenhändler Enver Simsek wird am 9. September an seinem Blumenstand in Nürnberg von acht Schüssen getroffen. Die Täter ballern aus zwei Pistolen. Eine ist die Ceska, die vor wenigen Tagen in der Zwickauer Brandruine gefunden wurde und von Spezialisten des Bundeskriminalamts als Tatwaffe bei allen Morden identifiziert wurde.
Am 13. Juni 2001 wird, ebenfalls in Nürnberg, der türkische Schneider Abdurrahim Özüdogru mit zwei Kopfschüssen hingerichtet. Das nächste Opfer wird mit drei Kopfschüssen getötet. Bei Mord Nummer 4 sind es wieder zwei Schüsse in den Kopf des Opfers. Mord Nummer 5: drei Kopfschüsse. Und so ähnlich geht es weiter, über die Morde hinaus. Das zehnte Opfer, die Heilbronner Polizistin Michèle Kiesewetter, stirbt auf einem Parkplatz. Durch einen Kopfschuss. Ihr Kollege wird durch weitere Schüsse schwer verletzt. Warum die Beamtin sterben musste, bleibt unklar. Weil die Neonazis Polizisten hassten, wie es in der Szene üblich ist? Oder weil die aus Thüringen stammende Kiesewetter Uwe M., Uwe B. und Beate Z. erkannt hat und deshalb zum Schweigen gebracht werden sollte? Jedenfalls hielten Uwe M. und Uwe B. die Methode der Kopfschüsse bis zum bizarren Finale durch. Die Männer töteten sich offenbar, gegenseitig oder jeder selbst, am 4. November mit Schüssen in den Schädel – in einem brennenden Wohnmobil in Eisenach.
Hinweise auf Komplizen haben die Behörden offenbar nicht. „Es gibt bislang keine weiteren konkreten Tatverdächtigen“, sagt ein Sprecher der Bundesanwaltschaft. Dennoch bleibt offen, ob das Trio tatsächlich in der Lage war, sich mehr als 13 Jahre ohne Hilfe von rechten Kameraden oder anderen Leuten durchzuschlagen. Auch das wäre kaum fassbar.