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Schweigen gegen die rechte Gewalt

 

Mit einem "Silentmob" protestierten in mehreren Städten Menschen gegen Rassismus und rechte Gewalt © Max Bassin

Gegen 13 Uhr ist es so ruhig wie fast nie am Bahnhofsvorplatz der Rheinmetropole Köln. Eine bedrückende Stille erhebt sich über den stark frequentierten Platz. Passanten bleiben stehen und beobachten die vielen Menschen, wie sie schweigend mit Plakaten und Rosen auf den Domtreppen stehen und anschließend Rosen und Plakate auf dem Boden ablegen.
Von Max Bassin

Kaum ein Auge bleibt heute trocken. Man merkt, wie tief der Schock über die grausamen Taten den Menschen in den Gliedern steckt. Spontan schließen sich Passanten an, Touristen fragen „what is going on?“ – und sind entsetzt als sie den Grund für die Traueraktion erfahren. Viele Familien sind da. Aber auch junge und alte Menschen mit unterschiedlichsten Lebensbiografien und in unterschiedlichen Lebenssituationen. Sie alle zeigen in diesem Moment Bestürzung und Trauer. Manche beten, andere diskutieren leise mit Freunden. Der erlebten Gewalt wollen sie „nicht mit Gegengewalt sondern [mit] Liebe begegnen“, heißt es in dem Aufruf zu der Aktion Internet.

Wie auch in 15 anderen Städten haben sich am Samstag in Köln Menschen versammelt, um der Opfer der rechtsterroristischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zu gedenken. Viele der etwa einhundert Teilnehmer führten neben Schildern mit dem Namen der Opfer auch weiße und rote Rosen mit sich. Während die weißen Rosen für Frieden stehen und an die Widerstandsgruppe um Hans und Sophie Scholl im Nationalsozialismus erinnern sollen, sind die roten Rosen als Ausdruck der Trauer zu gedacht. Auch nach dem rechten Terroranschlag bekundeten norwegische Bürger so, vor etwa vier Monaten, ihre Trauer um die Opfer des rechten Attentäters Anders Behring Breivik.

Schweigen gegen das Schweigen

Die Teilnehmer schweigen nicht nur um „der Opfer des rechten Terrors [zu] gedenken“, sondern auch, damit „die schweigende Mehrheit endlich ihre Augen öffnet und in den Spiegel sieht.“ Schließlich solle auch eine Auseinandersetzung mit Alltagsrassismen angestoßen werden. Bezeichnungen, wie „Dönermorde“ offenbarten schließlich „wie sehr ein alltäglicher Rassismus in den Köpfen der gesamten Gesellschaft“ vorherrsche. Konträr hierzu wollen die so genannten „Silentmobs“ ein Zeichen setzen für Respekt und Demokratie – kurz: für ein friedliches Zusammenleben. Dazu gehöre es auch sich solidarisch mit den Angehörigen der Opfer zu zeigen. „Wir schweigen, damit Du Dein Schweigen brichst!“, appellieren die Organisatoren an die Gesellschaft.

NSU-Anschlag in Köln

In die Reihe der Anschläge des NSU fällt offenbar auch ein bisher ungeklärter Anschlag in der Kölner Keupstraße. 2004 zündeten vermutlich Uwe B. und Uwe M. eine auf einem Fahrrad platzierte Nagelbombe vor einem Friseursalon. Bei der Explosion wurden 22 Menschen verletzt, vier davon schwer. 40.000 Euro soll ihn die Beseitigung der Bombenschäden gekostet haben erzählt der Inhaber Özcan Yildirim. Die Bombe wurde allem Anschein nach nicht zufällig in der Keupstraße platziert. Die Gegend, die oft verächtlich „Klein-Istanbul“ genannt und von manchen mit Kriminalität und Drogen assoziiert wird, dürfte gerade wegen ihres Rufs und ihrer Geschichte als Anschlagsziel ausgewählt worden sei. Vor allem in den 50er und 60er Jahren fanden hier viele von Deutschland angeworbene Arbeiter aus der Türkei und ihre Familien ein Zuhause.

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) aber sprach angesichts der Explosion damals von einem „kriminellen Milieu“, das sich für die Tat zu verantworten habe. Ermittelt wurde vor allem im Bezug auf angeblich kriminelle Strukturen in der Keupstraße. Die türkischsprachige Zeitung Hürriyet etwa schrieb das Attentat sei im Kontext eines Streits zwischen der Russen- und Türkenmafia zu sehen. Dabei zeigten Überwachungsbänder die beiden Täter: zwei große Männer mit Mützen und Rucksäcken. Gegenüber der Polizei sagte der jüngere Bruder des Friseursalonbesitzers aus, er habe einen blonden Mann mit besagtem Fahrrad gesehen. Es drängt sich der Verdacht auf das hier einseitig ermittelt wurde. Die Opfer des Anschlags, beziehungsweise die Menschen in der Keupstraße, wurden abermals zum Opfer gemacht, indem ihnen medial die Schuld am Anschlag gegeben wurde. Erst nach sieben Jahren gibt es jetzt Gewissheit über die wahren Motive des Attentats.

Kölner Neonazis und ihre Verbindungen zum NSU

Inzwischen gibt es auch Hinweise darauf, dass die Terroristen Beate Z., Uwe B. und Uwe M. die lokale Nazigröße Axel Reitz persönlich kannten und 2009 an einer Naziveranstaltung im nahe bei Köln gelegenen Erftstadt teilnahmen. Reitz, so berichtete ein Teilnehmer jener Versammlung gegenüber dem WDR-Magazin „Monitor“ habe den dreien sogar persönlich Zutritt zu der Veranstaltung verschafft. Reitz selbst bestreitet die drei persönlich gekannt zu haben.

Mit der Aktion haben verschiedene Menschen am Samstag ihre Solidarität mit den Opfern extrem rechter Gewalt bekundet. Passanten hielten inne und wurden zum Nachdenken angeregt. Die Organisatoren hoffen, dass jetzt eine Auseinandersetzung über die Alltagsrassismen einsetzt, die das ideologische Fundament für rechtsterroristische Mordserie bildeten. Die Schweigenden haben diese Diskussion heute in Köln und in vielen anderen Städten versucht anzustoßen – in der Hoffnung das gesellschaftliche Schweigen endlich zu brechen.