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Schießtraining für die „Kameraden“ – das militante Nazinetzwerk

 

Vergangene Woche beschlagnahmte die Polizei in Bremen dutzende Waffen von NPD- und DVU-Mitgliedern © Polizei Bremen

Bei der Suche nach Unterstützern und Helfern der Naziterrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ tauchen immer mehr Hinweise auf bewaffnete Neonazikreise auf. Eine Spur führt zu einer paramilitärischen Übung 2009 nach Bulgarien. Auch  deutsche Neonazis nahmen dort an einem Schießtraining teil – und posierten später mit Waffen in der Hand im Internet.
Ein Gastbeitrag von von

Spurensuche im Netzwerk paramilitärischer deutscher Neonazis

Das Faible für Waffen und Wehrsport ist bei Neonazis systemimmanent. Der Zugang zu notwendigen Knowhow, Material und Räumen wird über eine gewachsene internationale Vernetzung und über die Verflechtung mit kriminellen Milieus gewährleistet. Neonazistische Gruppen und Gangs, die sich bewaffnet präsentieren, gibt es viele in Deutschland. Wer sich auf die Suche nach ihnen macht, stößt unweigerlich auf Netzwerke und Label, die sich seit vielen Jahren als „Untergrund“ exponieren und hohe personelle Kontinuität aufweisen.

Folgt man zum Beispiel den Spuren einer Reisegruppe von Neonazis aus dem Magdeburger Raum, die im Februar 2009 ein Schießtraining in Bulgarien durchführten, so lassen sich Konturen ihres Netzwerkes erkennen. Dass dabei Links und Querverweise auftauchen, die zu mutmaßlichen Unterstützer_innen des Nationalsozialistischen Untergrunds () führen, ist kaum ein Zufall.

Das Schießtraining in Bulgarien

Auf dem Programm von vier Neonazis aus dem Magdeburger Raum, die sich im Februar 2009 in Bulgarien aufhielten, stand ein Schießtraining. Mit Pumpguns, Revolvern und Pistolen ballerten die deutschen Besucher_innen auf Pappscheiben mit menschlichen Umrissen und präsentierten stolz das Ergebnis: Treffer ins Herz.

Grund ihrer Bulgarien-Reise war das Konzert der Band aus dem Raum Magdeburg am 7. Februar in Sofia. zählt zur musikalischen Strömung des „National Socialist Hardcore“ und trat in den vergangenen Jahren unter anderem auf -Konzerten in Belgien, Italien und Dänemark auf. Civil-Disorder-Sänger Steffen J. präsentiert sich auf den Fotos des Schießtrainings mit Pistole und in schussbereiter Pose. Carmen J., mit Steffen J. seit 2010 verheiratet, steht mit einer Pumpgun dahinter. Die J.’s leben als Kleinfamilie mit Kindern in einer alten Molkerei in Angern im Landkreis Börde. Das Anwesen ist seit Jahren als Neonazi-Treffpunkt bekannt, bei einer Razzia im Frühjahr 2004 fand die Polizei dort vier Kilogramm Sprengstoff und eine Panzerfaust. Selbst im beruflichen Alltag lässt Steffen J. keinen Zweifel aufkommen, wes Geistes Kind er ist. Seine Firma, mit der er Dienstleistungen im Bereich Messe-, Trocken- und Innenausbau anbietet, trägt den Namen Rent A Crew (dt.: Miete eine Mannschaft), abgekürzt „R.A.C.“. Das Kürzel steht  in der Neonazi-Musikszene für „Rock Against Communism“ (Rock gegen Kommunismus). Neben dem Schriftzug „R.A.C.“ zeigt die Website einen sich mit einem Zimmermannshammer kreuzenden Schraubenschlüssel. Das Symbol ist unzweideutig an das Symbol der militanten neonazistischen angelehnt, das zwei gekreuzte Zimmermannshämmer zeigt.

Autokennzeichen im Kreis der Familie J. tragen die Wunschzahlen 2811 und 1811. Die 28 steht für die Buchstaben B und H, Blood and Honour. In dieser Logik steht 11 für AA, für Anti-Antifa, ein neonazistisches Label für den militanten Kampf gegen alle, die als Volksfeinde wahrgenommen werden. Die 18 (AH) steht für die Initialen Adolf Hitlers und ist gleichwohl namensgebend für , das in 1990er Jahren als bewaffneter Arm von Blood and Honour geschaffen wurde. „Hail the Terrormachine, Hail “ sang Hate Society, die führende deutsche Blood & Honour-Band dieser Zeit.

Immer wieder im Fokus: Blood & Honour

Blood & Honour. Je mehr man über die NSU und ihren mutmaßlichen Unterstützer_innenkreis weiß, desto häufiger fällt der Name dieses internationalen Netzwerkes, dessen deutsche Sektion im Jahr 2000 vom Bundesinnenministerium verboten wurde. Der Anwalt eines Thüringer Neonazis, dessen Mandant der Unterstützung des NSU verdächtigt ist, deutet an, die NSU habe wohl von Blood & Honour Waffen bezogen. Andere erinnern sich, dass die mutmaßlichen NSU-Mörder und schon in den 1990er Jahren an der Organisation von Blood & Honour-Konzerten beteiligt waren. Auf einen Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die in Berufung auf Polizeiquellen von Aufenthalten und möglichen Schießtrainings der Untergetauchten des NSU zwischen 2008 und 2010 in Ungarn und Bulgarien schreibt, folgen Hinweise, dass Netzwerke des harten Kerns – Blood & Honour oder die Hammerskins – durchaus in der Lage seien, einen derartigen internationalen Austausch zu organisieren.

Als Uwe Mundlos, und Uwe Böhnhardt 1998 in den Untergrund gingen, war das Konzept von Combat 18 impulsgebend für den Teil der Szene, der sich für den „Krieg gegen das System“ aufrüstete. Die Neonazizeitschrift Hamburger Sturm interviewte 1999 vermummte Aktivisten National-Revolutionärer Zellen, die sich auf Combat 18 bezogen. Eine National-Revolutionäre Zelle aus dem Kreis Berliner und Brandenburger Combat 18-Anhänger wurde im Frühjahr 2000 in beinahe letzter Minute von der Polizei daran gehindert, mit Schusswaffen gegen ein linkes Wohnprojekt in Berlin loszuziehen. Das Buch „The Way Forward“ des norwegischen Blood & Honours-Führers Erik B. lieferte ab dem Jahr 2000 dazu den Leitfaden. Blücher beschreibt Combat 18 als die Armee und den bewaffneten Arm von Blood & Honour. Deren Kämpfer_innen sollten nun ausziehen, um das „multikulti, multikriminelle Inferno von ZOG (zu) zerstören.“ ZOG (Zionist Occupied Government) steht als Synonym für eine halluzinierte jüdische Weltherrschaft. Blücher schreibt weiter: „Das Konzept der Waffen-SS enthält alle Prinzipien sowie den wahren Geist unserer Überzeugung in seiner reinsten Form, von der wir unsere Inspiration zur Organisierung einer neuen Legion arischer Gladiatoren beziehen müssen.“ Diese Strategieschrift war ein Aufruf zum bewaffneten Kampf, der in dieser Form und zu dieser Zeit einmalig war.

Unumstritten war Combat 18 nie. Im deutschen Blood & Honour der späten 1990er Jahre führte es zu Richtungsstreits. Denen, die das Label Combat 18 nutzten, um eine Marktführerschaft im Rechtsrock-Business durchzusetzen und komfortabel davon zu leben, waren diejenigen zunehmend ein Dorn im Auge, die einforderten, dass Combat 18 kein bloßes Label bleiben dürfe, mit dem man lediglich Untergrund suggeriere, um Eindruck in der Szene zu schinden. Als Blood & Honour 2000 verboten wurde, war das Manchem ganz recht. Wer Business machen wollte, machte Business und wer Untergrund wollte, machte eben Untergrund. Doch in Nachfolgestrukturen von Blood & Honour flammte der alte Streit wieder auf. In der Division 28, die sich vor allem in den südlichen und in den neuen Bundesländern zur legitimen Erbfolge des verbotenen Blood & Honour erklärte, gerieten um 2006 die „Gemäßigten“ und die „Radikalen“ aneinander. Division 28-Personen aus dem österreichischen Vorarlberg, aus Franken und Thüringen forderten, das „neue“ Blood & Honour müsse nunmehr dem „gewalttätigen Kurs des Combat 18“ folgen. Anführer dieses Flügels war Ronny L. aus Weimar, der im Verlauf des Streits als „Regionschef Mitteldeutschland“ der Division 28  abgesetzt wurde. Dies alles kam in einem Prozess 2011 in Karlsruhe zur Sprache, in dem führende Personen der süddeutschen Division 28 verurteilt wurden. Von Prozessen gegen die Scharfmacher ist nichts bekannt.

Legaler Wehrsport in Niedersachsen

Die Blood & Honour-Gruppe im niedersächsischen Hildesheim galt Ende der 1990er Jahre als Verfechterin eines Kurses, Blood & Honour zu einer „politischen Kampfgemeinschaft“ mit 25-Punkte-Programm zu formieren. 1999 veranstaltete Blood & Honour Hildesheim einen Liederabend, in dem das Duo Eichenlaub aus Jena auftrat, das kurz zuvor ein Solidaritätslied für die untergetauchten Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos veröffentlicht hatte. Die ZDF-Sendung Frontal 21 machte unter den Zuhörer_innen dieses Konzertes den heute inhaftierten mutmaßlichen NSU-Unterstützer Holger Gerlach aus.

Exponenten  von Blood & Honour in Hildesheim waren zu dieser Zeit Johannes K. und Hannes F. Die beiden blieben über das Verbot im Jahr 2000 hinaus für Blood & Honour aktiv. Sie organisierten im Jahr 2001 einen Liederabend, der 2008 in einem Prozess in Halle an der Saale als Weiterführung von Blood & Honour bewertet wurden und zu einer Verurteilung der beiden führten. Mit auf der Anklagebank saß – wegen anderer Delikte – die Führungsriege von Blood & Honour Sachsen-Anhalt.

F. und K. eröffneten Tätowierstudios in Munster bei Lüneburg  und Hildesheim  sowie ein Ladengeschäft in Munster, das sich auf „spezielle Ausrüstung“ für Soldaten und Paramilitärs spezialisiert hat. Bereits 1998 hatte K. eine Warrior Combat and Survival School gegründet, die paramilitärische Trainings wie Scharfschützenausbildung anbietet. In den Folgejahren fielen immer wieder Kameraden aus dem „alten“ Kreis von Blood & Honour sowie Angehörige der neonazistischen Kameradschaftsszene (insbesondere aus dem Raum Magdeburg) als Teilnehmer der „Trainings“ der Warrior Combat and Survival School auf. Diese Verbindungen wurden K. (fast) zum Verhängnis. 2007 veröffentlichten antifaschistische Gruppen umfangreiche Recherchen zur „legalen“ Hildesheimer Wehrsportgruppe. Nicht nur in Munster avancierte dies zu einem Top-Thema, sondern auch in der Schweiz, wo auf einem Wehrsportlager („Sommercamp“) der Warrior Combat and Survival School ein Schweizer Militärfahrzeug festgestellt worden war. Johannes K. erwirkte eine Gegendarstellung in einer Schweizer Zeitung, in der er bestritt, Neonazi zu sein. K. widersprach der Behauptung, er habe seine Wehrsportschule “mit Trainern aus der deutschen und mit Kameraden aus ‹Blood and Honour›“ gegründet und stellte richtig: „Ich beschäftige keine Trainer aus der deutschen und habe solche zu keinem Zeitpunkt beschäftigt.“ Dem Vorwurf, er habe Kameraden aus Blood & Honour beschäftigt, widersprach er nicht. K. beteuert, sich nicht mehr in der neonazistischen Szene zu bewegen. Unzweifelhaft ist jedoch: Die Szene bewegt sich um ihn.

So im August 2008, als die kanadische White Power-Liedermacherin Tara Lynn D. („Tara“) Deutschland besuchte. D. gab ein Konzert in Ostfriesland für das neonazistische Magazin JVA-Report, reiste dann weiter und besuchte K. und F. im Ladengeschäft Dezentral.

Ein Jahr zuvor, im September 2007, war Hannes F. zum ISD-Memorial nach England gereist. Das zweitägige Konzert erinnert an den 1993 tödlich verunglückten Blood & Honour-Begründer Ian Stuart Donaldson und gilt als das alljährliche internationale Treffen von Blood & Honour und Freund_innen. Ein Erinnerungsfoto des Events zeigt Hannes F. im vertrauten Miteinander mit Carmen J. aus Angern.

Selbsternannte Elitekrieger: Die Hammerskins

Carmen J. ist umtriebig und reisefreudig. Für das neonazistische Medienprojekt Media Pro Patria aus Thüringen trat sie 2007 als Darstellerin eines Werbevideos für ein drogenfreies Leben auf. Ein undatiertes Bild zeigt sie posierend mit vier Kameraden und einer Kameradin unter dem geschmiedeten Schriftzug „Arbeit macht frei“ am Eingang des Stammlagers in Auschwitz. Neben ihr steht Maik Scheffler, eine zentrale Figur der nordsächsischen Neonaziszene, seit 2011 stellvertretender Landesvorsitzender der NPD in Sachsen und seit 2009 NPD-Stadtrat in Delitzsch. Als vor wenigen Wochen das Freie Netz, ein internes Forum von Kadern der „mitteldeutschen“ Neonaziszene, aufflog, wurden Maik Scheffler und aus Meuselwitz bei Altenburg (Thüringen) als tonangebende Personen des Netzes enttarnt. Die Diskussionen im Forum dienten Medien als eindrücklicher Beleg der Zusammenarbeit von NPD und militanten Neonazis. In einem Thread zu einem Aufmarsch im Februar 2009 in Dresden regte Gerlach an: „Wir haben uns überlegt die Polizeiwache anzugreifen und abzufackeln“ worauf Scheffler antwortete: „ohne einen abzustechen? Ist ja langweilig.“ (vgl. ghttp://gamma.noblogs.org/fn-leaks/fn-leaks-ii)

Thomas G. und Maik Scheffler gehören den Hammerskins an, einem internationalen, 1986 in den USA gegründeten, Netzwerk, das sich als Elite einer weltweiten Naziskinhead-Bewegung versteht. Das Verhältnis von Blood & Honour und Hammerskins ist bisweilen von Konkurrenz geprägt, basierend auf dem elitären Führungsanspruch beider Gruppierungen. Tatsächlich jedoch ist unter den militanten Truppen und Combat 18-Anhänger_innen längst ein Miteinander von Blood & Honour und Hammerskins feststellbar. Bereits im August 1999 gab es, initiiert von Blood & Honour in Niedersachsen, ein „United“-Treffen mit Hammerskins, auf dem man Gemeinsamkeiten beschwor und eine engere Zusammenarbeit vereinbarte. Merkmal der Hammerskin-Propaganda ist die beinahe mystische Verehrung der US-amerikanischen Terrororganisation (Brüder Schweigen), die nach dem Prinzip bewaffneter Zellen und des „führerlosen Widerstandes“ in den Jahren 1983 und 1984 in den USA schwere Verbrechen beging, unter anderem einen jüdischen Radiomoderator ermordete, bevor sie, infiltriert vom FBI, zerschlagen wurde.

Insbesondere Hammerskin Thomas G. („Ace“) steht heute im Verdacht, Kontakt zum NSU gehabt zu haben. Mit dem mutmaßlichen NSU-Unterstützer Holger G. war er 1999 zur Geburtstagsparty eines Neonazis nach Niedersachsen gereist. Als im Jahr 2005 das neonazistische Hatecore-Forum gehackt wurde, wurde sichtbar, mit welchem Passwort sich Thomas Gerlach dort eingeloggt hatte: struck-mandy. Mit der Identität und den Papieren von Mandy S., einer Friseurin aus dem sächsischen Johanngeorgenstadt, war Beate Zschäpe unterwegs gewesen.

Aus ganz Europa trafen sich Hammerskins im November 2007 auf dem „European Hammerfest“ in Mailand. Die „Hammerskins Westsachsen“ waren angereist, mit ihnen Maik Scheffler, Thomas G. sowie seine Ehefrau – und neben ihr steht auf Fotos dieses internationalen Hammerskintreffens Carmen J. aus Angern.

Das „European Hammerfest 2008“ wurde in Ungarn ausgerichtet. Neben Konzert und Abendessen standen noch andere Events auf dem Programm. Im Erinnerungsalbum „Hammerfest Budapest 18.10.08“ eines bekannten saarländischen Hammerskins findet sich das Foto eines Waffenlagers. Darauf posiert vor gestapelten Metallkisten ein Kamerad mit zwei Panzerfäusten.

Fazit

Trotz – oder gerade wegen – zahlreicher Querverweise und Bilder, die quer durch Europa führen, ist die Eingrenzung dieses Kreises schwierig. Sofern man überhaupt von einem Kreis ausgehen kann und nicht etwa von mehreren. Wenn Mann oder Frau über Jahre im harten Kern der Szene unterwegs ist, entstehen viele Freundschaften und Bekanntschaften und oft ist nicht ersichtlich, welche Substanz diese haben.

Struktur und Logistik für den Untergrundkampf sind reichlich vorhanden, die Szene macht daraus keinen Hehl, sie fühlt sich sicher. Dass die eine oder andere Neonazigruppe, die sich in der Pose von Combat 18, Hammerskins oder irgendeiner namenlosen bewaffneten Gang gefällt, irgendwann dafür entscheidet, nun tatsächlich „ernst zu machen“, kann nicht überraschen. Eine verbindliche Aussage darüber, wer „ernst machen“ wird, ist unmöglich. Oder: Wer hat schon „ernst gemacht“?

Autoren: Thomas Sandberg (Sachsen-Anhalt), Alex Hartinger (Niedersachsen), Michael Weiss (apabiz, Berlin)