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Türkische Familie aus Betzdorf: Erst überfallen, dann beschuldigt?

 

Die lockeren Gehweg-Platten haben die Korkusuz‘ gewarnt. Als Selma Korkusuz am Freitagabend vergangene Woche um kurz nach 21 Uhr zum Kellereingang neben ihrem Einfamilienhaus im rheinland-pfälzischen Betzdorf geht, hört sie die Platten klappern. Sie sieht zwei Männer, die ihr verdächtig vorkommen und rennt zurück in die Wohnung. Ihr Mann Ali schnappt sich Kamera und Telefon. Nur wenige Minuten später brechen die beiden Männer die Türen des Hauses auf. Mit einer Pistole und einer Eisenstange bedrohen sie das türkische Ehepaar und die fünf gemeinsamen Kinder, so erzählt es ein Angehöriger. Die Eltern versuchen sich mit Küchenmessern zu wehren, Ali Korkusuz ruft noch die Polizei. Nach kurzer Zeit, wohl nur wenige Minuten später, verschwinden die beiden Männer wieder.

Von Lenz Jacobsen

Hier könnte die Geschichte dieses Überfalls vorbei sein, sie wäre so schon schlimm genug. Doch Hüdayi Korkusuz, der Bruder von Ali, berichtet Bedrückendes über das Verhalten der herbeigerufenen Polizisten. Erst nach zehn Minuten seien sie eingetroffen, hätten das Küchenmesser in der Hand des Familienvaters gesehen und ihm, der ja selbst die Beamten gerufen hatte, kurzerhand Handschellen angelegt und ihn abgeführt.

Hüdayi Korkusuz arbeitet als Assistenzarzt an einer Frankfurter Klinik. Seit dem Überfall fungiert er als Sprecher der Familie seines Bruders. Er vermutet  „institutionalisierten Rassismus“ und kämpft nun gegen die Betzdorfer Polizei. Er hat Anzeige gegen die Beamten erstattet.

Am Abend des Überfalls war Hüdayi Korkusuz sofort nach Betzdorf gefahren. Als er auf der Polizeistation angekommen sei, sei er nicht zu seinem Bruder gelassen worden. „Die sagten, ich solle das Verhör nicht stören“, sagt Korkusuz. Hilflos sei er zu Frau und Kindern gefahren, berichtet der Arzt. Die Mädchen und Jungs hätten verstört auf dem Sofa gesessen, eine Tochter habe sich vor Angst in die Hose gemacht. Er habe einen Krankenwagen gerufen, doch der sei zwei Stunden lang nicht gekommen. Korkusuz sagt, er habe nachgefragt, wo der Wagen denn bleibe, und zur Antwort bekommen, die Polizei habe ihn abbestellt.

Von dem Überfall selbst gibt es ein Video, doch darauf ist wenig zu erkennen. Es sind schreiende Kinder zu hören und eine Frau, die um Hilfe ruft. Außerdem sieht man sie mit zwei großen Küchenmessern in der Hand, die sie nach Angaben ihres Schwagers zur Verteidigung aus der Schublade genommen hatte. „Tu das Telefon runter!“ hört man eine Männerstimme, und dann die Stimme des Filmenden, vermutlich des Vaters: „Nein, nicht runter!“ Mittlerweile haben sich etliche türkische Medien des Falls angenommen. Sie haben das insgesamt 20-minütige Video zu dramatischen Clips zusammengeschnitten und mit Untertiteln unterlegt. So hat der Betzdorfer Vorfall auch in der Türkei große Aufmerksamkeit erregt.

Die örtliche Polizei äußert sich selbst nicht mehr zu dem Vorfall, sie verweist an das Polizeipräsidium Koblenz, das wiederum an die Staatsanwaltschaft verweist. Dort ist nur zu erfahren, dass sie die Ermittlungen aufgenommen hat.

Doris Hombach ist die Nachbarin der Korkusuz‘ und war am Freitagabend direkt nach dem Überfall bei der Familie, als der Vater bei der Polizei festsaß. Die Mutter sei mit den Kindern allein in der Wohnung gewesen, berichtet Hombach dem Störungsmelder: „Ich habe mich ein wenig um die gekümmert.“ Die Rentnerin lebt seit über 60 Jahren in ihrem Einfamilienhaus, schon die Eltern von Ali und Selma Korkusuz waren ihre Nachbarn. „Das ist eine ganz nette, freundliche Familie“, sagt sie.

Hinweise auf die Einbrecher gibt es womöglich bereits: Sowohl der Bruder der betroffenen Familie als auch die Nachbarin berichten dem Störungsmelder von einem weiteren Anwohner, der immer wieder gedroht und geschimpft habe. „Der hat schlimme Dinge über die Familie erzählt, die einfach nicht stimmen“, sagt Hombach. Was genau, will sie nicht sagen. „Die müssen weg“, habe er jedem in der Nachbarschaft gesagt, ob er es hören wollte oder nicht. Auch eine Frist habe er der deutsch-türkischen Familie gesetzt: Bis Freitag, 17. August hätten sie Zeit, zu verschwinden. Sollten sie dann noch da sein, habe er gedroht, „die Russenmafia zu holen, und die macht dann bei denen alles platt“, berichtet Nachbarin Hombach: „Davon wussten hier alle in der Straße.“ Auch der Polizei hätten sie und andere davon berichtet.

Mittlerweile hat sich das türkische Konsulat bei der Familie gemeldet, ebenso zahlreiche türkische Verbände aus Hessen und ganz Deutschland. „Die haben sich alle erkundigt, wie es den Kindern geht“, berichtet Korkusuz. „Von deutscher Seite hat sich dafür bis jetzt niemand interessiert.“ Die Kinder der Korkusuz‘ haben alle auch einen deutschen Pass. Am heutigen Freitag will eine türkische Delegation die Familie zu Hause besuchen, es soll dann sogar eine Video-Liveschaltung in ein Ministerium in Ankara geben.

Am Montag dieser Woche fragte Hüdayi Korkusuz bei der Polizei nach dem Stand der Ermittlungen. Dort habe man ihm gesagt, man sei noch nicht weiter als am Freitag, denn der zuständige Beamte habe gerade keinen Dienst. Am Mittwoch sagte der Betzdorfer Polizeichef der Rhein Zeitung, er sehe in dem Fall bisher ein sachliches Herangehen der Polizei auf der einen Seite und „viel Aufgeregtheit“ auf der anderen Seite.