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Aus Denkmalschutzgründen

 

Für die meisten Menschen ist es völlig normal, dann zur Toilette zu gehen, wenn sie müssen. Für Rollstuhlfahrer hingegen ist es leider völlig normal, nicht immer zur Toilette gehen zu können, wenn sie eigentlich müssten. Es gibt zu wenig barrierefreie Toiletten.

Als ich nach Großbritannien zog, wurde ich öfter gefragt, was für mich der größte Unterschied zwischen dem Leben in Großbritannien und Deutschland sei. Da musste ich nicht lange nachdenken: Ich konnte endlich dann zur Toilette gehen, wenn ich wollte. Großbritannien hat strenge Antidiskriminierungsbestimmungen, die wiederum direkten Einfluss auf Bauvorschriften haben. Wo eine barrierefreie Toilette zumutbar und machbar ist, muss es eine geben. Punkt. So weit ist Deutschland noch lange nicht.

Ohne barrierefreie Toilette keine Teilhabe

Behindertentoiletten sind kein nice to have, sondern für viele behinderte Menschen Voraussetzung dafür, dass sie überhaupt aus dem Haus gehen können. Sie sind größer als nicht barrierefreie Toiletten, wo man mit dem Rollstuhl manchmal nicht einmal durch die Tür passt. Barrierefreie Toiletten haben Griffe, an denen man sich festhalten kann und einen Alarm, den man aktivieren kann, falls man beispielsweise beim Umsetzmanöver vom Rollstuhl auf die Toilette hingefallen ist.

Ob man in Deutschland eine Behindertentoilette vorfindet, hängt maßgeblich von den 16 Bauordnungen der 16 Bundesländer ab, und natürlich davon, wie gut die lokalen Baubehörden auf Barrierefreiheit achten und sie durchsetzen. Da gibt es – um es mal freundlich auszudrücken – in vielen Städten und Gemeinden noch Verbesserungsbedarf.

Piss-in

Rollstuhlfahrer in Berlin hatten jetzt die Faxen dicke und haben für ihr Recht, auf die Toilette gehen zu können, protestiert – auf plakative Weise. In der Arminiusmarkthalle in Berlin-Moabit veranstalteten sie einen „Piss-in“, und richteten hinter einem Vorhang eine Nottoilette mit einem Eimer ein. Die Flüssigkeit darin war bloß Tee, doch der Protest erregte Aufsehen, der Betreiber rief die Polizei.

Die Gruppe Mobilität für Behinderte will nicht länger hinnehmen, dass ein behindertengerechtes WC in der Halle verweigert wird, berichten die kobinet-Nachrichten. Sie forderten damit den Betreiber auf, endlich für eine barrierefreie Toilette zu sorgen, damit auch Rollstuhlfahrer und andere behinderte Menschen das Marktangebot sowie die Gastronomie-, Musik- und Eventangebote nutzen können. Das Problem: Die Halle ist seit 1982 ein Baudenkmal.

Seit mehr als zehn Jahren diskutiert man schon darum, ob die Halle eine barrierefreie Toilette bekommt oder nicht. Selbst als sie 2010 zu einem gastronomischen und kulturellen Zentrum umgebaut wurde, verweigerte man den Einbau einer barrierefreien Toilette und schließt damit behinderte Menschen von der Nutzung dieser Einrichtungen aus. Denn wer geht schon gerne essen oder auf eine Veranstaltung, wenn er dort nicht zur Toilette gehen kann?

Barrierefreiheit ist Denkmalschutz

Man könnte meinen, wer eine unter Denkmalschutz stehende Halle zu einem Gastronomie- und Veranstaltungszentrum umbauen kann, kann auch eine barrierefreie Toilette einbauen, ohne den Denkmalschutz zu gefährden. Es ist, wie es meistens ist in solchen Fällen, eine Frage des Willens.

Ich habe vor Kurzem eine interessante These zum Thema Barrierefreiheit und Denkmalschutz gehört. Jemand wies darauf hin, dass sich Barrierefreiheit und Denkmalschutz keinesfalls ausschließen müssen. Im Gegenteil. Der beste Denkmalschutz für ein Gebäude sei dessen breite Nutzung. Je mehr Menschen Zugang zu einem Gebäude hätten, desto mehr würden es wertschätzen. Das steigere das Interesse, das Gebäude dauerhaft zu schützen. Wenn man aber Menschen den Zugang verwehre, hätten weniger Menschen ein Interesse daran, es langfristig zu schützen. Barrierefreiheit kann also sogar eine Maßnahme im Sinne des Denkmalschutzes sein. Diesem Ansatz entsprechend müsste die Arminiusmakthalle schnell eine barrierefreie Toilette bekommen. Und alle anderen Gebäude, bei denen man das diskutiert, ebenfalls. Aus Denkmalschutzgründen.