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Zusammen statt getrennt – was sich bei den Paralympics ändern sollte

 

Jetzt ist sie wieder da, diese komische Zeit, von der irgendwie niemand so genau versteht, warum es sie gibt: Die Zeit zwischen Olympischen und Paralympischen Spielen. Die Abschlussfeier der Olympischen Spiele ist vorbei und nach zwei Wochen Pause fangen die Paralympics mit einer Eröffnungsfeier wieder an.

Schon nach den Olympischen Spielen in London 2012 wurde ich ständig gefragt, warum es eigentlich alle Feiern doppelt gibt und warum die beiden Veranstaltungen nicht zusammengelegt werden. Ich war in London 2012 an der Organisation beider Spiele beteiligt und habe damals viel Zeit in Stadien und Spielstätten verbracht, habe bei beiden Eröffnungsfeiern mitgewirkt. Ich kenne die Spiele also nicht nur aus dem Fernsehen, sondern auch hinter den Kulissen und weiß, wie die Vorbereitungen ablaufen.

Paralympics waren Publikumserfolg

Vor London2012 war ich nicht gerade ein Fan der Paralympics. Ich empfand sie als eine ziemlich klischeehafte Behindertenveranstaltung, auch weil ich den Behindertensport selbst so erlebt habe. Als integrativ aufgewachsener Teenager musste ich in einen Behindertensportverband gehen, weil mich die örtlichen Sportvereine nicht haben wollten. Ich verlor deshalb auch schnell den Spaß daran, denn mit den meisten anderen Vereinsmitgliedern hatte ich relativ wenig gemeinsam – außer der Behinderung, und das reicht eben nicht.

Seit London2012 sehe ich die Paralympics nicht mehr ganz so kritisch. Ich weiß, dass gerade die Spitzensportler oft in regulären Vereinen trainieren und heute einen anderen Sport erleben als ich. Und auch die Akzeptanz beim Publikum, zumindest in Europa, ist gestiegen. Die Paralympics in London fanden vor ausverkauften Rängen statt. Das Publikum war begeistert. Die Berichterstattung war super – weltweit, aber vor allem in Großbritannien. Die Paralympics müssen heute nicht mehr stiefmütterlich neben den Olympischen Spielen ihr Dasein fristen, auch wenn ich skeptisch bin, ob das in Rio ähnlich sein wird.

Angst vor Konkurrenz

Gegen die Zusammenlegung der Spiele plädieren vor allem die behinderten Sportler. Sie haben Angst, dass sich niemand mehr für Rollstuhlbasketball interessiert, wenn zeitgleich Usain Bolt läuft oder Fußball. Aber diesen Konkurrenzkampf haben alle Sportarten. Das hat nichts damit zu tun, ob es um behinderte Sportler geht oder nicht. Ich glaube sogar, dass es der Aufmerksamkeit der Paralympics gut tun würde, wenn die Wettkämpfe zur gleichen Zeit stattfänden, man zum Beispiel immer abwechselnd ein Basketballspiel der Olympischen Spiele und dann ein Rollstuhlbasketballspiel sehen würde.

Das deutsche Fernsehen hat bislang selten live über die Paralympics berichtet, und wenn doch, dann vor 16 Uhr. Während der Paralympics in London liefen die besten Wettkämpfe aber abends und so verpassten die Deutschen die besten Momente der Paralympics im Fernsehen. Gold für die deutschen Rollstuhlbasketballfrauen zum Beispiel. Was für ein packendes Spiel war das gegen Australien! Das kann man ruhig auch zur Primetime zeigen, vor oder nach einem Basketballspiel der Olympischen Spiele. Oder Rollstuhlrugby (auch Murderball genannt). Ineinanderknallende Rollstühle, die einem Ball hinterher jagen. Wenn das nicht primetimetauglich ist. Es gibt auch bei den Olympischen Spielen langweiligere Sportarten, die trotzdem übertragen werden.

Endlich zusammenlegen

Dann gibt es noch das Argument, die Spiele würden zu groß. Olympia ist allerdings jetzt schon ein gigantisches Unternehmen. Ob in London zwei oder drei Häuser mehr gebaut wurden, war völlig egal. Man könnte bei der Gelegenheit auch prüfen, welche Sportart wirklich dabei sein sollte und welche nicht. Ich habe sowohl bei den Olympischen Spielen als auch bei den Paralympics Sportarten gesehen, die vielleicht für die Spieler spannend sind, für das Publikum aber eher nicht. Wenn Olympia und Paralympics eine Veranstaltung werden würden, gäbe es außerdem nur einen Medaillenspiegel. Das würde dazu führen, dass die Länder ihre behinderten Sportler besser fördern und unterstützen würden.

Denn auch behinderte Athleten können Stars werden. In Großbritannien kennt jeder die Schwimmerin Ellie Simmonds. Für meinen Internetprovider wirbt eine rollstuhlfahrende Athletin. Züge sind nach behinderten Sportlern benannt. Das geht also alles, wenn man möchte. Wo ist dann also das Problem? Ich habe nicht erst seit London den Eindruck, die Paralympics sind auch ein Jobmotor. Derzeit gibt es sehr viele Funktionen und Jobs zweimal – einmal für die Olympischen Spiele, einmal für die Paralympics. Einige Funktionäre – auch im Behindertensport sind das fast überall nicht behinderte Menschen – müssten ihren Hut nehmen. Den ersten Schritt in diese Richtung hat London allerdings schon vollzogen. Es gab nur eine Organisation für beide Spiele.

Ich glaube, wir brauchen keine getrennten Spiele für behinderte und nicht behinderte Sportler mehr. Gerade der Sport hat die große Chance, Vorbild für andere Gesellschaftsbereiche zu sein. Zwei getrennte Veranstaltungen sind das Gegenteil von Inklusion. Es wäre an der Zeit, die Spiele zusammenzulegen.