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Die Besserwisserbehinderer

 

Einer sehbehinderten Frau, die jahrelang ein bayerisches Schwimmbad besucht hat und dort problemlos alleine schwimmen war, wurde von der Stadt Neusäß als Betreiber der Zutritt in das Bad verweigert. Dieser will blinde und sehbehinderte Menschen aus Sicherheitsgründen nicht alleine ins Schwimmbad lassen. Das Landgericht in Augsburg hat der Stadt nun recht gegeben. Es sei zu gefährlich, die Frau alleine ins Bad zu lassen.

Keine kleinen Kinder

Ich sag es ganz ehrlich, so ein Verhalten einer Stadt und das jetzt gefällte Urteil schockieren nicht nur mich, sondern viele andere behinderte Menschen auch. Man bekommt wirklich das Gefühl, dass sich die Einstellung zu behinderten Menschen in Teilen der Gesellschaft einfach nicht ändern will. Man behandelt uns wie kleine Kinder, selbst dann wenn wir – wie in dem Fall der Schwimmbadbesucherin – zehn Jahre lang bewiesen haben, dass wir klarkommen, ganz ohne fremde Hilfe.

Dass es in der Gesellschaft immer Menschen gibt, die meinen, alles über einen selbst besser wissen zu müssen, damit muss man wohl als behinderter Mensch leben. Aber dass die deutsche Gesetzgebung nun glaubt, dieses Verhalten auch noch unterstützen zu müssen, tut mir wirklich in der Seele weh. Ich hätte mir wirklich mehr Sinn dafür, was Diskriminierung bedeutet, erhofft und auch mehr Verständnis dafür, was behinderte Menschen können. Die Schwimmbadbesucherin ging zehn Jahre lang dort unfallfrei schwimmen. Was muss man also noch tun, um zu beweisen, dass man etwas kann?

Behinderte Menschen sind keine kleinen Kinder, denen man in der Hausordnung untersagen muss, ohne ihre Erziehungsberechtigten ein Schwimmbad zu betreten. Sie haben oft selber Kinder, für die sie verantwortlich sind. Es machen immer mehr Menschen, auch blinde Menschen, Karriere und tragen Verantwortung für Unternehmen und ihre Mitarbeiter. Blinde Menschen nehmen selbstverständlich am Straßenverkehr teil, haben gelernt, mit einem Langstock durch die Welt zu navigieren, aber in einem Schwimmbad, wo kein einziges Auto fährt, soll das alles zu gefährlich sein? Das soll noch zeitgemäß sein? Ernsthaft?

Anders machen ist auch normal

Ich sehe in Berlin ständig blinde Menschen alleine auf der Straße. Man kann das wirklich lernen. Ich sehe sogar blinde Menschen in London, wie sie durch die Millionenstadt navigieren. Die Hauptbehinderung sind dabei andere Menschen, vor allem Touristen, die nicht einmal wissen, was ein Langstock ist und warum jemand damit auf der Straße herumtastet. Aber die Unwissenheit anderer ist kein Grund, blinden und sehbehinderten Menschen die Fähigkeit abzusprechen, alleine ein Schwimmbad zu besuchen.

Behinderte Menschen, die schon lange mit ihrer Beeinträchtigung leben, haben gelernt, diese mittels Hilfsmitteln oder anderen Fähigkeiten zumindest teilweise auszugleichen. Sie machen Dinge anders. Jemand, der sehend durch ein Schwimmbad geht, sind Wände zum Beispiel egal. Jemand, der nicht sieht, orientiert sich aber genau an diesen Wänden. Das ist nicht gefährlich, das ist einfach eine andere Art, sich zu orientieren. Und wenn es, wie in dem Schwimmbad, eine Stelle gibt, die nur 1,60 hoch ist, dann hat die Besucherin sicher nach zehn Jahren gelernt, dass das so ist und erkennt die Stelle beim Tasten und passt eben auf oder meidet sie komplett. Das ist Alltag für blinde Menschen und nicht schwimmbadtypisch. Wenn man behinderte Menschen künftig überall dort ausschließen darf, wo die Bedingungen nicht zu 100 Prozent barrierefrei sind, dann dürfen wir bald das Haus nicht mehr verlassen.

„Ich könnte das nicht“

„Ich könnte das nicht“ ist immer ein beliebtes Argument, wenn solche Situationen von Menschen beurteilt werden, die nicht behindert sind und wenig bis nichts mit behinderten Menschen zu tun haben. Ja, das ist klar, dass jemand, der sich sonst auf alle seine Sinne verlässt und alle Gliedmaßen sein eigen nennt, Dinge anders macht als jemand, der das nicht kann. Aber nicht umsonst kann man so was lernen. Menschen, die erblinden zum Beispiel, bekommen Mobilitätstraining und lernen, sich eben anders zu orientieren.

Inklusion scheitert ganz oft an genau diesem Missverständnis: „Ich könnte das nicht, deshalb kann der andere das auch nicht.“ Also darf man ihn ausgrenzen? Und genau das ist am Ende das Ergebnis: Ausgrenzung. Denn die Frau darf nicht mehr alleine ins Schwimmbad, während die sehende Mehrheit da sehr wohl alleine hin darf.

Es ist genau das, was ich in meinem Kurzvortrag bei der Z2X im Herbst meinte, als ich sagte: Behindert ist man nicht, behindert wird man. Offensichtlich jetzt auch gerichtlich bestätigt.