Die Welt ist im Pokémon Go-Fieber. Vor Kirchen, Wanderwegweisern und Bahnhöfen versammeln sich plötzlich Scharen von Menschen, die auf ihr Handy starren und versuchen Pokémons zu fangen oder einen virtuellen Kampf zu gewinnen. Ziel des Spiels: so viele verschiedene Pokémons wie möglich fangen. Millionen von Menschen sind weltweit auf der Jagd nach den Figuren.
Meinungen gehen auseinander
Es dauerte nicht lange, da meldeten sich auch behinderte Spieler und Nicht-Spieler zu Wort. Die einen bemängelten die fehlende Barrierefreiheit des Spiels, die anderen freuten sich, dass das Spiel sie endlich aus dem Haus geholt habe. Eltern autistischer Kinder berichten, dass ihre Kinder nach draußen gehen und mit anderen Kindern spielen. Andere bemängeln, dass das Spiel nur draußen gespielt werden kann.
Ich spiele Pokémon Go, seit es in Großbritannien verfügbar ist, aber ich spiele es langsam. Als Rollstuhlfahrerin kann ich weder über Zäune springen noch über Wiesen rennen oder Treppen hochstürmen, um ein Pikachu oder ein Poliwag zu fangen. Auch schätzen es meine Handgelenke nach mehr als 30 Jahren Rollstuhlfahren nicht besonders, wenn ich zweistellige Kilometerzahlen am Tag zurücklege. Man wird ja nicht jünger. Wenn man aber Eier ausbrüten möchte, um weitere Pokémons zu bekommen, dann ist man so viel wie möglich zu Fuß unterwegs, denn das beschleunigt die Brutzeit. Bei mir dauert das eben alles etwas länger. E-Rollstuhlfahrer sind da klar im Vorteil.
Schmollend auf dem Bürgersteig
Es gibt allerdings Rollstuhlfahrer, die sehen das nicht so gelassen wie ich: „Ich bin ein bisschen enttäuscht von Pokémon Go„, schrieb eine Rollstuhlfahrerin bei Tumblr. „Und ich habe gehört, dass es anderen behinderten Menschen auch so geht. Es macht mich irgendwie traurig. Da war ein Pokémon in meiner Straße und ich bin dorthin gerollt, nur um festzustellen, dass ich es nicht erreichen konnte. Es war oben auf einem steinigen Hügel. Ich saß dann schmollend auf dem Bürgersteig.“
Das meine ich, wenn ich sage, ich spiele Pokémon Go „langsam“: Ich kann nicht alle einfangen und ich komme auch nicht immer zu jedem Ort, an dem man sich mit Bällen und anderen nützlichen Dingen ausstatten kann. So what? Es ist ein Spiel! Ich bin unterdessen bei Level 10 und meine Pokémons haben noch dreistellige Kampfkraft. Ich weiß, dass andere schon die doppelte Levelzahl erreicht haben und mit vierstelliger Kampfkraft unterwegs sind.
Auf dem Land wird es schwierig
Aber ich habe großen Spaß daran, durch London zu rollen, wo ich wohne, und Winkel in der Stadt zu entdecken, die ich noch nicht kannte oder an denen ich einfach so vorbeigegangen wäre, wenn mich das Spiel nicht auf die Besonderheit des Ortes aufmerksam gemacht hätte. So landet man in verborgenen Seitenstraßen, bei alten Grenzsteinen, historischen Hinweisschildern etc. Das geht auch langsam und auf Kurzstrecke.
Wer allerdings auf dem Land wohnt und im Rollstuhl unterwegs ist, wird Probleme haben, Pokéstops aufzusuchen, die nur über Feldwege und unebenes Terrain erreichbar sind.
Und noch ein Problem gibt es: Jemand, der nicht präzise sein Handydisplay bedienen kann, wird an Pokémon Go nicht viel Freude haben. Man braucht Feinmotorik, um Pokémons einzufangen. Das Handy halten zu können reicht nicht.
Keine Sprachausgabe
Auch blinde Menschen können Pokémon Go derzeit nicht selbstständig spielen, weil die App nicht mit VoiceOver auf dem iPhone läuft. VoiceOver ist die handyeigene Sprachausgabe, die es blinden Handnutzern ermöglicht, ihr iPhone zu bedienen, ohne das Display sehen zu müssen. Der Bildschirminhalt wird vorgelesen und man navigiert sich über Audioinformationen durch das iPhone.
Eine Blindenorganisation in den USA hat jetzt den Hersteller des Spiels aufgefordert, auch Blinde mitspielen zu lassen und hat auch schon konkrete Verbesserungsvorschläge gemacht, wie das gehen könnte. Schließlich geht es bei Pokémon Go ja auch um ein Gemeinschaftsgefühl. Leute tauschen sich über das Spiel aus, treffen sich zufällig und freuen sich gemeinsam über jedes neue Pokémon.
Blinde Menschen und andere Gruppen können daran bislang nicht teilnehmen. Sie kriegen höchstens die Nachteile von intensivem Spielen zu spüren, nämlich dann, wenn auf den Gehwegen niemand mehr Rücksicht auf sie nimmt. Ein blinder YouTuber hat dazu ein ganz nettes Video gemacht:
Also beim Pokémon-Fangen aufpassen, dass man sich nicht aus Versehen in einem entgegenkommenden blinden Passanten verfängt. Dafür gibt es keine Punkte.