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Pokémons im Rollstuhl fangen – der Weg ist das Ziel

Die Welt ist im Pokémon Go-Fieber. Vor Kirchen, Wanderwegweisern und Bahnhöfen versammeln sich plötzlich Scharen von Menschen, die auf ihr Handy starren und versuchen Pokémons zu fangen oder einen virtuellen Kampf zu gewinnen. Ziel des Spiels: so viele verschiedene Pokémons wie möglich fangen. Millionen von Menschen sind weltweit auf der Jagd nach den Figuren. Weiter„Pokémons im Rollstuhl fangen – der Weg ist das Ziel“

 

„Die Entdeckung der Unendlichkeit“

Eddie Redmayne hat den britischen Filmpreis BAFTA für seine Rolle im Film „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ bekommen. Er spielt den weltberühmten Physiker Stephen Hawking. Der Film zeigt die ersten Jahre Hawkings an der Universität Cambridge. Er zeigt auch die ersten Anzeichen von ALS, einer unheilbaren Nervenerkrankung, durch die Hawking erst einen Rollstuhl braucht, dann auch einen Sprachcomputer nutzt, um zu kommunizieren. Aber auch von Hawkings Familie handelt der Film, nicht zuletzt von seiner Frau Jane. Ihre Autobiografie war Grundlage für den Film.

In ihren Memoiren Die Liebe hat elf Dimensionen: Mein Leben mit Stephen Hawking beschreibt sie, wie sie ihn Anfang der sechziger Jahre an der Uni kennenlernt, als beide noch Studenten waren. Kurz darauf wird bei Hawking ALS festgestellt. Hawking habe nur noch zwei Jahre zu leben, sagen ihm die Ärzte.

Gespräche und Recherche zu ALS

Redmayne spielt die Rolle von Stephen Hawking großartig. Der BAFTA ist absolut verdient – obwohl ich eigentlich lieber behinderte Schauspieler in der Rolle von behinderten Menschen sehe. Aber ALS verläuft nun einmal fortschreitend, was es schwierig macht, die Rolle mit einem behinderten Schauspieler zu besetzen. Möglich wäre es dank Maskenbildnern dennoch.

Die Kritiker fanden vor allem überzeugend, wie glaubwürdig Redmayne die Krankheit ALS zeigte. Dafür hatte er sich mit Menschen, die ALS haben, getroffen und umfangreich recherchiert. Ich fand seine Darstellung manchmal ein wenig überzeichnet, aber nie massiv störend. Dennoch sah man mit geübten Augen an einigen Stellen, dass ein nicht behinderter Schauspieler eben schauspielert.

Was mir an dem Film hingegen gut gefallen hat, war die Darstellung von Behinderung, ohne ins Schmierige abzurutschen und Mitleidseffekte mitzunehmen. Im Gegenteil, der Film zeigt so pragmatische Dinge wie die Organisation der Assistenz, die mangelnde Barrierefreiheit der Uni. Sogar das Thema Sexualität kommt zur Sprache, denn das Umfeld der Familie Hawking war sichtlich überrascht, dass dieser trotz starker Behinderung drei Kinder zeugen konnte.

Nur einmal kitschig

Nur eine Szene gefiel mir nicht: Als Hawking sich vorstellt, dass er aufstehen kann und einer Zuhörerin in der ersten Reihe den Stift aufhebt, der ihr heruntergefallen ist. Das war mir zu kitschig und unnötig.

In den britischen Medien wurde nicht zuletzt das Thema Sexualität und Behinderung diskutiert. So hat Hawking nicht nur wichtige Pionierarbeit im Bereich der Physik geleistet, sondern indirekt offensichtlich auch in diesem Bereich. Ich musste etwas schmunzeln, als ich den ein oder anderen Kommentar gelesen habe. Die pure Information, dass jemand wie Hawking nicht enthaltsam lebt oder leben muss, scheint für so manchen Filmkritiker neu gewesen zu sein.

Ich fand einen anderen Aspekt viel interessanter: Hawkings Frau hat ihre Karriere aufgegeben, um sich um ihren Mann zu kümmern. Das wurde damals wohl als selbstverständlich angesehen. Er hingegen machte eine steile Karriere, weil er einfach so gut war, dass seine Genialität die Behinderung überlagerte. Er kämpfte mit den Stufen an der ehrwürdigen Uni, tat sich zunehmend schwerer damit, Vorträge zu halten und dennoch zählte am Ende eines: sein Können.

Als Hawking gar nicht mehr sprechen kann, hilft ihm ein Sprachcomputer, zu kommunizieren und Vorträge zu halten. Er schreibt einen Bestseller mit dem Computer und seiner Eingabesoftware. Das fand ich eine der wichtigsten Botschaften des Films: Wer kommunizieren kann, kann die Welt verändern. Dafür muss man unter Umständen die Möglichkeiten schaffen, aber am Ende geht es eben doch. Der Film zeigt, was mit Behinderung möglich ist und bejammert nicht, was angeblich nicht geht.

 

E-Scooter müssen draußen bleiben

Sie dürfen nicht mehr in den Bus. Nicht in Herne. Nicht in Oldenburg. Nicht in Wuppertal.

Seit einigen Monaten verbieten immer mehr Verkehrsbetriebe in Deutschland die Mitnahme von so genannten E-Scootern in ihren Bussen. Behinderten- und Seniorenverbände sind entsetzt. „Mobilitätseingeschränkte Menschen in ländlichen Gebieten, die keinen Anschluss an das Schienennetz haben, sind auf den Busverkehr angewiesen. Ohne die Nutzung des Busverkehrs können zahlreiche Scooter-Nutzer sich nicht wie bisher selbständig mit allem Bedarf für das tägliche Leben versorgen“, empört sich der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter.

Vor allem ältere Menschen nutzen diese „elektrisch angetriebenen Leichtfahrzeuge für einen Fahrzeugführer mit Gepäck“, wie sie offiziell heißen, in den vergangenen Jahren immer mehr. Mit der Anzahl der älteren Menschen, die auch im Alter weiter mobil sein wollen, stieg auch die Anzahl der E-Scooter.

Zu groß, zu schwer, zu kippanfällig

Die Verkehrsbetriebe, die E-Scooter jetzt aus ihren Bussen und Straßenbahnen verbannt haben, halten die E-Scooter allerdings für eine Gefahr. Sie hätten nicht genug Standfestigkeit, würden bei einer einfachen Bremsung umfallen und andere Passagiere verletzen. Außerdem seien manche Scooter so schwer, dass sie die Rampen beschädigten. Diese seien für das Gewicht nicht ausgelegt. Zudem seien die E-Scooter teilweise so groß, dass sie gar nicht auf den Rollstuhlplatz im Bus passten und so die Gänge blockierten.

Ein Sprecher der Stadtwerke in Wuppertal verteidigte gegenüber dem WDR die Entscheidung so: „Die E-Scooter sind für uns schon lange problematisch. Die können bis zu 500 Kilogramm wiegen und sind damit viel zu schwer für die Rampen an unseren Bussen. Wenn so ein Scooter umkippt, ist nicht nur der, der drin sitzt, in Gefahr, sondern auch andere Fahrgäste könnten verletzt werden. Außerdem: Was ist, wenn wir den Bus schnell räumen müssen? Dann blockiert so ein Scooter den Gang, und es gibt große Probleme.“

Scooter ist nicht gleich Scooter

Aber warum fällt den Verkehrsbetrieben das erst jetzt ein? E-Scooter fahren ja nicht erst seit gestern durch die Gegend. Hintergrund ist ein Gutachten des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Aus diesem geht hervor, dass „bei einem E-Scooter mit aufsitzender Person (…) bei einer Gefahrenbremsung mit einem Kippen zu rechnen“ sei.

Was die Verkehrsbetriebe allerdings nicht berücksichtigen: E-Scooter ist nicht gleich E-Scooter. Die Ausführungen der Fahrzeuge sind höchst unterschiedlich. Es gibt sie in verschiedenen Größen, sie fahren unterschiedlich schnell, haben manchmal drei Räder oder auch vier. Mal wiegen sie weniger als 100 Kilo, manchmal aber auch das fast das Vierfache.

Schlecht beraten

Das Problem ist, viele E-Scooter-Nutzer werden beim Kauf schlecht beraten. Sie kaufen sich viel zu große Fahrzeuge oder aber auch viel zu kleine mit wenig Leistung, die teilweise sehr wackelig sind (Kippgefahr). Viele wissen nicht, dass ein Elektrorollstuhl ihnen vielleicht sogar viel besser helfen würde, stabiler ist, auch im Bus nicht kippt und weniger Platz wegnimmt.

Und – das muss man auch mal sagen – E-Scooter erfreuen sich auch deshalb so großer Beliebtheit, weil es eben keine Rollstühle sind. „Alles, nur kein Rollstuhl“, denken sich manche und kaufen dann irgendeinen wenig alltagstauglichen E-Scooter, um doch noch irgendwie von A nach B zu kommen.

Was ist nun also die Lösung?

Vermutlich sind die Kölner auf dem richtigen Weg. Die Kölner Verkehrsbetriebe haben nämlich angekündigt, weitere Tests abzuwarten, welche Gefahren von E-Scootern ausgehen. Genau solche Tests haben in London dazu geführt, dass bestimmte Modelle von E-Scootern unterdessen in Bussen befördert werden. Nämlich diese, die nicht leicht kippen und auf den Rollstuhlplatz passen. Die Londoner Verkehrsbetriebe haben dazu eine Liste mit Modelltypen veröffentlicht. Wer einen solchen E-Scooter fährt, erhält einen Pass, den er beim Fahrer vorzeigen kann, und der fährt dann, wie für jeden Rollstuhlfahrer auch, die Rampe des Busses aus. Wer aber das falsche Modell fährt, das nicht kippsicher oder zu groß ist, muss weiterhin draußen bleiben.

 

Blaue Mützen für Barrierefreiheit im Internet

Köpfe mit blauen Mützen
Bild: BIZEPS

Am 30. November ist der Tag der blauen Mützen. Es ist Blue Beanie Day. Leute auf der ganzen Welt ändern dann ihre Profilfotos und laden Fotos hoch, die sie mit blauen Mützen zeigen. Damit wollen sie auf die Wichtigkeit von Webstandards aufmerksam machen. Dass wir beispielsweise eine Webseite betrachten können, egal welchen Browser wir dafür benutzen, ist nämlich kein Zufall, sondern Standards zu verdanken, auf die sich die Internetbranche geeinigt hat, an die sich aber immer noch nicht alle halten.

So legt das World Wide Web Consortium (W3C) Standards fest, wie Webseiten technisch zu gestalten sind, damit sie mit unterschiedlichsten Browsern, aber zum Beispiel auch mit verschiedenen Eingabegeräten zu benutzen sind. Für behinderte Menschen sind dabei insbesondere die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) von Bedeutung. Denn, nur wenn Webdesigner sicherstellen, dass sie die WCAG anwenden, können viele behinderte Menschen das Web ohne Einschränkung nutzen, beispielsweise mit Sprachausgaben, die blinden Menschen den Bildschirminhalt vorlesen, ohne eine Maus oder mit speziellen Eingabegeräten wie einer Kopfmaus.

Warum blaue Mützen?

Autor und Webdesigner Jeffrey Zeldman hat vor Jahren ein Buch über Webstandards geschrieben und sich dabei mit einer blauen Mütze für das Cover abbilden lassen. Dieses Buchcover inspirierte die Erfinder des Blue Beanie Day dazu, sich immer am 30. November eines jeden Jahres eine blaue Mütze aufzusetzen, sich zu fotografieren und so auf Webstandards aufmerksam zu machen.

Jeder Webseitenbetreiber kann etwas tun

Die blaue Mütze ist natürlich nur ein Symbol. Das Web wird nicht automatisch barrierefrei, weil alle plötzlich blaue Mützen tragen. Aber natürlich können Webseitenbetreiber auch konkret etwas tun: Man kann zum Beispiel mal probieren, über die eigene Webseite zu navigieren, ohne eine Maus zu benutzen. Blinde Menschen nutzen keine Maus, um zu navigieren, sondern bewegen sich beispielsweise mit der Tastatur durch die Seite.

Man kann auch einen Schnelltest machen, wie barrierefrei die eigene Seite ist. Oder man kann sich bei der W3C ganz allgemein über Webstandards informieren.

Braucht man wirklich die Grafiken mit Buchstaben und Zahlen, die man kaum lesen kann, aber eintippen muss, um an ein Webangebot zu kommen, die vielleicht auf der Seite eingebunden sind, sogenannte Captchas? Gibt es nicht eine alternative Lösung? Und wenn sie notwendig sind, kann man sie lösen, ohne sehen zu können? Man kann aber vielleicht auch das nächste Video, das man auf YouTube hochlädt, einfach mal untertiteln, damit auch gehörlose Nutzer etwas davon haben. Es gibt viele kleine Sachen, die man an einer Webseite verbessern kann, die aber einen großen Unterschied für behinderte Nutzer bedeuten können.

 

Rollstuhl reparieren beim Friseur

Ich war heute beim Friseur. Mein Rollstuhl wurde dort repariert. Ja, ernsthaft. Als ich vor der Tür aus dem Auto stieg, fiel der Kopf einer Schraube an meinem Rollstuhl einfach ab. Der Rest der Schraube steckte noch im Rollstuhl. Es ist eine Schraube, die mein Rückenteil des Rollstuhls festhält. Ohne die fährt es sich schlecht bis gar nicht.

Die modernen Rollstühle wiegen kaum noch etwas, es gibt kaum noch Teile daran, alles ist festverschweißt oder in einem Stück gegossen. Das macht sie leicht und wendig. Mein Rollstuhl hat vielleicht alles in allem nicht einmal zehn Schrauben und Nieten. Geht eine davon kaputt, meist durch Materialermüdung, dann strande ich auch schon mal irgendwo. So wie heute. Ich hatte aber Glück, der Mann meiner Friseurin war da und hat mir den Rest der Schraube rausgeholt und eine neue eingesetzt. Während ich die Haare geschnitten bekam, wurde also mein Rollstuhl repariert.

Mit gebrochenen Schrauben fängt es an

So etwas passiert mir nicht zum ersten Mal. Nach mehr als 30 Jahren als Rollstuhlfahrerin weiß ich, gebrochene Schrauben sind ein ernstes Anzeichen dafür, dass ein neuer Rollstuhl bald fällig ist. Stichwort: Materialermüdung. Meinen vorletzten Rollstuhl fuhr ich sieben Jahre lang bis ich am Ende einen doppelten Achsenbruch hatte, der notdürftig geschweißt werden musste. Ich hing irgendwie an ihm, deshalb wollte ich ihn nicht weggeben, stand aber am Ende fast ohne funktionstüchtigen Rollstuhl da.

Ja, ich gebe zu, ich behandele meinen Rollstuhl nicht sehr pfleglich. Ich springe Stufen hoch und runter (aber nie mehr als eine), er wird in Flugzeuge verladen und das sicher nicht immer mit Samthandschuhen, und ich bin ständig „auf Achse“ und nicht zu Hause, wo mir nur sehr selten eine Schraube bricht.

Gelbe Engel auch für Rollstühle

Mein Highlight bislang war eine gebrochene Schraube auf dem Bürgersteig vor dem Jüdischen Museum in Berlin. Ich konnte keinen Meter mehr fahren, einfach gar nicht mehr und habe in meiner Not dann irgendwann den ADAC angerufen und der nette ADAC-Mann hat mir tatsächlich die Schraube entfernt und eine neue eingesetzt. Das Hauptproblem ist dabei nicht, eine neue Schraube einzusetzen, sondern die Überreste der Alten wieder rauszukriegen. Wieder hinein drehen kann ich selber, aber ausbohren eher nicht so. Man hat ja nicht immer einen Bohrer oder eine Zange dabei. Einen Schraubenschlüssel habe ich unterdessen so gut wie immer dabei.

Ich saß schon an den komischsten Orten und habe zugesehen, wie ein netter Mensch mir den Rollstuhl reparierte. Auf Bürgersteigen, in Hotellobbys oder jetzt eben beim Friseur. Wichtigste Regel: Seufzen, cool bleiben und dann nach einer Lösung suchen. Es wird sich schon eine finden. War bislang immer so und die Rate handwerklich begabter und hilfsbereiter Menschen ist definitiv höher als man so denkt.

So lernt man auch schon mal den Hausmeisterdienst von Hotels, Bahnhöfen oder Restaurants kennen. Und ich kann eines sagen: Guter Service und Hilfsbereitschaft zeigt sich in solchen Situationen mehr als irgendwann anders und derjenige kann sich meiner Dankbarkeit auf ewig sicher sein.

Dies ist schon das zweite Schraubenproblem diese Woche. Erst gestern verweigerten die Schrauben meines Fußbretts ihren Dienst und dieses fiel einfach in der U-Bahn nach unten. Ich konnte sie gestern festziehen, aber sie sind definitiv ausgeleiert. Ich glaube die Tage dieses Rollstuhls sind echt gezählt, wenn ich nicht wieder einen Achsenbruch haben möchte.

 

Danke, Tanke!

TankstelleHeute war ich tanken. Was für nicht behinderte Menschen eine Angelegenheit von fünf Minuten ist, ist für mich schon aufwendiger: Ich muss mein Auto so parken, dass ich mit Rollstuhl zwischen Zapfsäule und Auto passe, andererseits aber niemanden bei der Durchfahrt behindere. In Deutschland war das noch machbar, in Großbritannien sind die Tankstellen so eng gebaut, dass es manchmal gar nicht geht. Außerdem bedeutet tanken für mich, Rollstuhl ausladen, zusammenbauen und umsteigen, zur Kasse rollen, hoffen, dass ich in den Verkaufsraum passe (auch die sind hier manchmal sehr klein), mit der Tür kämpfen, zurück zum Auto, wieder umsteigen, Rollstuhl wieder auseinandernehmen, wieder ins Auto heben. Unter 15 Minuten ist das oft nicht zu machen.

Fernbedienungen und eine App

Seit ein paar Jahren gibt es für Rollstuhlfahrer und andere Menschen, die nicht so einfach aus ihrem Auto kommen, Fernbedienungen mit Rufknöpfen, deren Signal die Tankstellen darüber informiert, dass draußen jemand wartet, der Hilfe beim Tanken benötigt. Eigentlich eine super Idee. Meine Erfahrungen damit waren bislang sowohl in Deutschland als auch Großbritannien ziemlich durchwachsen, denn oft war entweder das Empfangsgerät ausgeschaltet oder kaputt oder aber es spielten sich im Kassenbereich Szenen mit hektischem Personal ab, das glaubte, es sei ein Alarm ausgelöst worden, sie wussten aber nicht welcher. Es reicht eben nicht, die Systeme zu installieren, man muss das Personal auch schulen, wie sie damit umzugehen haben. Außerdem waren die Fernbedienungen für die Fahrer recht teuer und auch die Tankstellen mussten tief in die Tasche greifen, um ein Empfangsgerät zu installieren. Auch die Variante „Hupen und Winken“ habe ich früher praktiziert, ebenfalls mit durchwachsenem Ergebnis. Am besten funktionierte noch, wenn ich andere Autofahrer um Hilfe bitten konnte, aber auch die erreicht man nicht immer oder es sind einfach keine da.

Unterdessen gibt es in Deutschland eine App, mit der man Hilfe an Tankstellen anfordern kann. Allerdings nicht per Knopfdruck, sondern man muss die Tankstellen vorher oder spätestens wenn man davor steht, anrufen. Die App listet die Tankstellen auf, die sich bereiterklärt haben, Rollstuhlfahrern und anderen behinderten Menschen zu helfen.

Neues System

Hier in Großbritannien hat man gerade ein neues System eingeführt, an dem sich unter anderem zwei große Supermarktketten beteiligen, die auch ein Tankstellennetz betreiben. Die große, klobige (und teure) Fernbedienung des alten Systems, das nie funktioniert hat, ist verschwunden. Ich habe jetzt einen kleinen Sender mit Knopf am Schlüsselbund. Ich kann sofort bei der Einfahrt in die Tankstelle sehen, ob das System eingeschaltet ist. War es bislang immer. Sobald ich den Knopf drücke, blinkt das Licht an der Wand und ich weiß, dass das Signal angekommen ist. Wenn der Kassierer im Kassenbereich meinen Hilfewunsch registriert hat, bestätigt er das per Knopfdruck und das Licht draußen schaltet sich auf grün. Dann weiß ich, dass gleich jemand kommen wird. Sehr angenehm finde ich, dass ich weiterhin mit Karte zahlen kann. Ich gebe dem Kassierer die Karte mit, er zieht sie durchs System und ich unterschreibe, obwohl ich eigentlich eine PIN brauche, aber in diesen Fällen akzeptieren die Tankstellen eine Unterschrift.

Ich habe den Sender jetzt seit gut einem Jahr. Im Gegensatz zum alten System hat es immer funktioniert. Vielleicht auch, weil es meine örtliche Tankstelle selber war, die mir den Sender geschenkt hat und ganz stolz auf das neue System ist. Die Anschaffung hat sich für meine Tankstelle nach einem Jahr allein mit meinem Benzinverbrauch und der neuen Kundenbindung schon gelohnt, vermute ich mal. Und ich weiß, dass ich nicht die einzige Rollstuhlfahrerin bin, die da tankt.

 

Apple und die Barrierefreiheit

Neulich fragte mich jemand, welches Unternehmen in den vergangenen Jahren das Leben behinderter Menschen nachhaltig verbessert hat. Ich musste keine Sekunde überlegen: Apple. Ich bin kein Apple-Fangirl, habe mir erst spät ein iPhone zugelegt und es früher gehasst, am Mac zu arbeiten. Aber mit dem iPhone 3GS, das 2009 auf den Markt kam, hat Apple das Leben vieler behinderter Menschen nachhaltig verändert.

Denn seitdem hat das iPhone standardmäßig und ohne Aufpreis eine Sprachausgabesoftware installiert, mit der auch blinde Menschen das iPhone nutzen können. Ich konnte dank VoiceOver so endlich meinem Freund eine SMS schicken und er konnte sie sich vom Handy vorlesen lassen und darauf antworten. Mein Freund ist blind und war zuvor ein ziemlicher Handymuffel. Aber nicht nur das, mit den  Apps ersetzt das iPhone vor allem für blinde Nutzer viele Hilfsmittel, die sie sonst teuer kaufen mussten.

Hilfsmittel in einem Handy vereint

Es gab vorher schon einen Kompass, der sprechen konnte, aber im iPhone ist der nun immer dabei. Farbtestgeräte, die einem sagen, welche Farbe ein Hemd hat, kosteten Hunderte Euro; Apps, die das auch können, ein oder zwei Euro. Mein Freund hat sich aus Spaß einen Farbtester für das iPhone einfach selbst programmiert. Er kann mit VoiceOver auch seine Mails lesen, bei Foursquare suchen, wo das nächste Café ist oder mit Karten-Apps und dem Kompass durch die Stadt navigieren. Und um zu wissen, auf welchem Gleis sein Zug fährt, muss er nur noch sein Handy befragen, das ihm die Informationen aus der entsprechenden Bahn-App vorliest.

Auch Android spricht

Unterdessen hat die Konkurrenz nachgezogen: Google lässt mit Talkback Android-Handys sprechen. Auch Windows arbeitet an einer mobilen Lösung für blinde Nutzer. Aber Apple hat mit dem iPhone bis heute immer noch die Nase vorn, was die Nutzung durch blinde Menschen angeht.

Der blinde IT-Experte Marco Zehe aus Hamburg hat Anfang August einen 30-tägigen Test mit einem Android-Handy dokumentiert. Auch wenn Android besser geworden ist, nach 18 Tagen brach er den Test mehr oder weniger frustriert ab und war froh, sein iPhone wieder einzuschalten.

Mit dem iPad zu Starbucks

Wie die Entwicklungen von Apple und anderen das Leben behinderter Menschen in der Zukunft erleichtern könnten, wurde mir klar, als ich 2010 den Blogeintrag von Glenda Watson Hyatt las. Glenda hat Cerebralparese, ist Rollstuhlfahrerin und hat eine starke Sprachbehinderung. Nachdem sie sich in einem Apple-Store ein iPad gekauft und eine Sprachsoftware installiert hatte, konnte sie zum ersten Mal in ihrem Leben bei Starbucks problemlos und ohne fremde Hilfe ihren Mocha Frappuccino bestellen.

Warum macht Apple das alles? Lohnt sich das? Vermutlich eher nicht. Tim Cook hat in einer Rede im letzten Jahr gesagt, dass es im Bereich Accessibility bei Apple nicht ums Geld verdienen geht, sondern um unternehmerische Werte.

Ein Bekannter von mir, der früher bei Apple in diesem Bereich gearbeitet hat, erzählte mir mal, wie Steve Jobs den Bereich Accessibility im Unternehmen ins Leben rief. Er soll zu den Mitarbeitern gesagt haben, er wolle, dass dieser Bereich ein Erfolg wird. Sollte das nicht möglich sein, dann sollte das Projekt wenigstens mit Pauken und Trompeten scheitern, nicht nur ein bisschen. Es war ihm offensichtlich wirklich wichtig.