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Apple und die Barrierefreiheit

Neulich fragte mich jemand, welches Unternehmen in den vergangenen Jahren das Leben behinderter Menschen nachhaltig verbessert hat. Ich musste keine Sekunde überlegen: Apple. Ich bin kein Apple-Fangirl, habe mir erst spät ein iPhone zugelegt und es früher gehasst, am Mac zu arbeiten. Aber mit dem iPhone 3GS, das 2009 auf den Markt kam, hat Apple das Leben vieler behinderter Menschen nachhaltig verändert.

Denn seitdem hat das iPhone standardmäßig und ohne Aufpreis eine Sprachausgabesoftware installiert, mit der auch blinde Menschen das iPhone nutzen können. Ich konnte dank VoiceOver so endlich meinem Freund eine SMS schicken und er konnte sie sich vom Handy vorlesen lassen und darauf antworten. Mein Freund ist blind und war zuvor ein ziemlicher Handymuffel. Aber nicht nur das, mit den  Apps ersetzt das iPhone vor allem für blinde Nutzer viele Hilfsmittel, die sie sonst teuer kaufen mussten.

Hilfsmittel in einem Handy vereint

Es gab vorher schon einen Kompass, der sprechen konnte, aber im iPhone ist der nun immer dabei. Farbtestgeräte, die einem sagen, welche Farbe ein Hemd hat, kosteten Hunderte Euro; Apps, die das auch können, ein oder zwei Euro. Mein Freund hat sich aus Spaß einen Farbtester für das iPhone einfach selbst programmiert. Er kann mit VoiceOver auch seine Mails lesen, bei Foursquare suchen, wo das nächste Café ist oder mit Karten-Apps und dem Kompass durch die Stadt navigieren. Und um zu wissen, auf welchem Gleis sein Zug fährt, muss er nur noch sein Handy befragen, das ihm die Informationen aus der entsprechenden Bahn-App vorliest.

Auch Android spricht

Unterdessen hat die Konkurrenz nachgezogen: Google lässt mit Talkback Android-Handys sprechen. Auch Windows arbeitet an einer mobilen Lösung für blinde Nutzer. Aber Apple hat mit dem iPhone bis heute immer noch die Nase vorn, was die Nutzung durch blinde Menschen angeht.

Der blinde IT-Experte Marco Zehe aus Hamburg hat Anfang August einen 30-tägigen Test mit einem Android-Handy dokumentiert. Auch wenn Android besser geworden ist, nach 18 Tagen brach er den Test mehr oder weniger frustriert ab und war froh, sein iPhone wieder einzuschalten.

Mit dem iPad zu Starbucks

Wie die Entwicklungen von Apple und anderen das Leben behinderter Menschen in der Zukunft erleichtern könnten, wurde mir klar, als ich 2010 den Blogeintrag von Glenda Watson Hyatt las. Glenda hat Cerebralparese, ist Rollstuhlfahrerin und hat eine starke Sprachbehinderung. Nachdem sie sich in einem Apple-Store ein iPad gekauft und eine Sprachsoftware installiert hatte, konnte sie zum ersten Mal in ihrem Leben bei Starbucks problemlos und ohne fremde Hilfe ihren Mocha Frappuccino bestellen.

Warum macht Apple das alles? Lohnt sich das? Vermutlich eher nicht. Tim Cook hat in einer Rede im letzten Jahr gesagt, dass es im Bereich Accessibility bei Apple nicht ums Geld verdienen geht, sondern um unternehmerische Werte.

Ein Bekannter von mir, der früher bei Apple in diesem Bereich gearbeitet hat, erzählte mir mal, wie Steve Jobs den Bereich Accessibility im Unternehmen ins Leben rief. Er soll zu den Mitarbeitern gesagt haben, er wolle, dass dieser Bereich ein Erfolg wird. Sollte das nicht möglich sein, dann sollte das Projekt wenigstens mit Pauken und Trompeten scheitern, nicht nur ein bisschen. Es war ihm offensichtlich wirklich wichtig.

 

Wenn sich Arbeit nicht lohnt

Wenn Raul Krauthausen am Monatsende auf sein Konto schaut, macht es kaum einen Unterschied, ob er viel oder wenig gearbeitet hat, und das obwohl er Selbstständiger ist. Denn für ihn sind 700 Euro plus Miete das Maximum, das er verdienen kann.

Raul ist Rollstuhlfahrer und auf Assistenz angewiesen. Er braucht Assistenten, die ihm morgens und abends beim Anziehen helfen, im Bad oder beim Kochen. Die Kosten hierfür trägt das Sozialamt, aber nur wenn Raul nicht mehr als 700 Euro plus Miete verdient. Liegt sein Einkommen darüber, muss er selbst für einen großen Teil seiner Assistenzkosten aufkommen beziehungsweise dem Sozialamt seine Assistenzkosten erstatten.

Assistenzleistungen sind in Deutschland an die Sozialhilfe gekoppelt und die wiederum ist eine einkommensabhängige Leistung. Und nicht nur das: Auch Sparen darf Raul nicht, denn bei 2.600 Euro ist Schluss. Auch dann hält das Sozialamt wieder die Hand auf. Das bedeutet für ihn und alle anderen behinderten Menschen, die Assistenz brauchen, das sie auch nicht fürs Alter vorsorgen, auf ein Auto sparen oder sich ein Haus kaufen können. Und es kommt noch schlimmer: Sind behinderte Assistenznehmer in einer Partnerschaft, wird auch das Einkommen des Partners bei der Berechnung einbezogen.

Raul ist kein Einzelfall. Auch Catharina Wesemüller in Hamburg ist von der Gesetzeslage betroffen. Sie arbeitet in der freien Wirtschaft, hat BWL studiert und trotzdem lohnt sich die Leistung, die sie täglich erbringt, für sie finanziell nicht, denn auch sie ist auf Assistenz angewiesen und das Amt hält sofort die Hand auf. Da die Miete auf den Freibetrag angerechnet wird, wollte man sie sogar auffordern, eine günstigere Wohnung zu suchen nachdem sie aus einer WG ausgezogen war. Jeder, der in Hamburg schon mal eine barrierefreie Wohnung gesucht hat, weiß, wie schwierig das ist. Der NDR hat über den Fall berichtet.

In einigen europäischen Ländern sind Assistenzaufwendungen für behinderte Menschen aus der Sozialhilfe rausgenommen. Zu arbeiten lohnt sich dort auch für die Menschen, die einen hohen Assistenzbedarf haben. Schweden ist eines der bekanntesten Beispiele. Das Einkommen der Partner wird in einigen Ländern gar nicht berücksichtigt.

Zu Inklusion gehört auch, dass Leistung von behinderten Menschen anerkannt und entsprechend entlohnt wird. Viele Gesetze und Regeln, die derzeit für Assistenznehmer gelten, sind zu Zeiten entstanden, in denen niemand davon ausging, dass Menschen mit hohem Assistenzbedarf überhaupt arbeiten und eine Familie gründen wollen. Behinderten Menschen die Altersvorsorge und ein normales Familienleben mit einem durchschnittlichen Einkommen vorzuenthalten, ist genau das Gegenteil von dem, was die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die Deutschland ratifiziert hat, zum Ziel hat. Wer Inklusion will, muss auch behinderten Menschen zugestehen, mehr als ein paar hundert Euro im Monat zu verdienen. Mit der jetzigen Regelung können sie unter Umständen nicht einmal den beschlossenen Mindestlohn nach Hause tragen, ohne dass ihnen das Sozialamt einen Teil davon wieder wegnimmt.

 

Höhen und Tiefen am Hoteltresen

Hoteltresen
Foto: Petra Bindel / Scandic Hotels / Creative Commons Attribution

Es gibt ja Dinge im Leben, die sind eigentlich ganz simpel, haben aber eine große Wirkung. Für mich sind das Hoteltresen. Wie gut ein Hotel geplant wurde, weiß ich oft schon in den ersten zehn Sekunden, nachdem ich den Eingang eines Hotels durchquert habe. Dann sehe ich nämlich als Erstes den Tresen der Rezeption.

Bei gut geplanten Hotels gibt es an der Seite einen niedrigen Bereich, an dem Rollstuhlfahrer oder andere Menschen, die lieber sitzen statt stehen möchten, bedient werden können. Bei weniger gut geplanten Hotels muss sich das Personal zu mir über den Tresen beugen. Alles kein Drama, aber es ginge eben einfacher, wenn man bedacht hätte, dass es Menschen gibt, die kleiner als 1,60 m sind, dass auch Rollstuhlfahrer einchecken möchten und dass nicht jeder problemlos 10 Minuten stehen kann, sondern es Kunden gibt, die lieber im Sitzen einchecken.

Und nach dem Gespräch mit dem Personal kommt dann meist das nächste Problem: Auch wenn die Welt immer elektronischer wird, wollen viele Hotels immer noch, dass das Meldeformular per Hand ausgefüllt oder zumindest unterschrieben wird. Doof, wenn man sitzt und der Tresen, auf dem man schreiben soll, höher ist als der eigene Kopf.

Guter Kundenservice kann vieles ausbügeln

Nun ist auch der hohe Tresen kein Drama, aber eigentlich legen Hotels einen großen Wert darauf, einen guten ersten Eindruck zu machen. Manchmal macht es der zweite Eindruck aber fast noch schlimmer. Denn natürlich bin ich unterdessen gewohnt, hohe Tresen anzutreffen, frage dann also immer freundlich nach einer Schreibunterlage, einem Klemmbrett oder notfalls nach einem Buch. Wenn die Ausstattung vielleicht nicht ideal ist, kann ein guter Kundenservice das oft wieder ausbügeln.

Im letzten Hotel, in dem ich war, sah man sich aber nicht in der Lage, mir irgendetwas zu geben, auf dem ich schreiben konnte. Man drückte mir den Meldebogen in die Hand, sagte, ich soll ihn im Zimmer ausfüllen und später wieder zur Rezeption bringen. Das kann man sicher so machen, aber sonderlich gastfreundlich fand ich es nicht. Und natürlich war nicht nur der erste und der zweite Eindruck nicht der Beste, sondern das zog sich so durch den ganzen Aufenthalt. Behinderung wirkt manchmal wie ein Brennglas, was guten oder schlechten Service angeht. Serviceorientiertes Personal wird manchmal sogar noch besser, wenn sie behinderte Kunden bedienen. Mittelmäßiges bis schlechtes Personal ist manchmal schon beim kleinsten Sonderwunsch Schreibunterlage überfordert.

„writing table“

Vor Jahren habe ich in einem Buchladen in London einen writing table für Rollstuhlfahrer entdeckt. Das war ein kleines Brett, das man zum Schreiben einfach nach unten klappen konnte. Es war auf halber Höhe am Tresen der Kasse festgeschraubt und hatte ein kleines Rollstuhlsymbol auf der Rückseite. Investitionskosten für den Laden: vielleicht 20 Euro.

Nun finde ich den Tisch gar nicht so sehr wichtig, weil man darauf schreiben kann, sondern weil er an die behinderten Kunden signalisiert, man hat an diese Kundengruppe gedacht und bemüht sich, das Einkaufen für sie einfacher zu machen. Barrierefreiheit muss gar nicht bedeuten, die teuren großen Lösungen anzustreben, sondern manchmal haben kleine Maßnahmen eine große Wirkung.

 

Nicht erwähnenswert – Gesetzentwurf zur Hasskriminalität

Im Oktober vergangenen Jahres wurde eine im Rollstuhl sitzende Frau aus Schleswig-Holstein Opfer eines brutalen Überfalls. Als sie eine Unterführung durchquerte, stürzten sich drei Männer auf sie, rissen sie aus dem Rollstuhl und schlugen wahllos auf sie ein. Dabei wurde die Frau schwer verletzt.
In Baden-Württemberg suchte die Polizei 2012 einen Täter, der auf einen Rollstuhlfahrer uriniert hatte, nachdem dieser ihn um Hilfe gebeten hatte, weil er aus dem Rollstuhl gerutscht war.

Die Bundesregierung will nun künftig Hasskriminalität stärker bestrafen. Künftig soll es höhere Strafen geben, wenn die Täter „besonders rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“ Beweggründe und Ziele für eine Gewalttat hatten.

Symbolgesetzgebung?

Während Befürworter sich von der Gesetzesänderung erhoffen, dass die Gesellschaft, die Politik, die Polizei und auch Richter künftig stärker die Motive von Straftaten berücksichtigen, um gegenzusteuern und zu sensibilisieren, sprechen Gegner von Symbolgesetzgebung.

In der Tat geht es bei Hasskriminalität hauptsächlich darum, ein Zeichen zu setzen, aber das heißt nicht, dass das Gesetz unwichtig ist. Opfern wird signalisiert, dass die Gesellschaft und die Justiz einbeziehen, warum diese Menschen Opfer einer Straftat geworden sind: Wegen Diskriminierung.

Genau deshalb finde ich den Begriff „menschenverachtende Beweggründe“ völlig schräg. Behinderte Menschen werden nicht Opfer von Hasskriminalität, weil sie Menschen sind, sondern weil sie eine Behinderung haben. Aber dann benennt das Merkmal Behinderung doch bitte auch so im Gesetz. Minderheiten in einen Sammelbegriff zu packen ist genau das, was das Gesetz eigentlich gerade nicht tun sollte. Es sollte die besondere Situation der Opfer würdigen und transparent machen, dass es Straftaten gibt, die begangen werden, weil das Opfer eine Behinderung, eine bestimmte sexuelle Orientierung, eine andere Herkunft oder eine bestimmte Religion hat. Ja, die meisten Straftaten im Bereich Hasskriminalität basieren auf rassistischen und fremdenfeindlichen Motiven, aber deshalb darf man die anderen Gruppen doch nicht unter den Tisch fallen lassen.

1800 Fälle in Großbritannien

Mit diesem Entwurf signalisiert man, die Gruppe ist nicht wert, gesondert erwähnt zu werden. Das kann ja wohl nicht Sinn der Sache sein. Wenn behinderte Menschen stattdessen merken, dass der Gesetzgeber ihre besondere Lage würdigt, dann ändert sich vielleicht auch das Anzeigeverhalten der Opfer. In Großbritannien gab und gibt es viele Informationen zu Hasskriminalität und vor allem behinderte Menschen werden ermutigt, „Disability Hate Crime“-Taten anzuzeigen. Allein im vergangenen Jahr wurden in Großbritannien mehr als 1800 Fälle von „Disability Hate Crime“ von der Polizei registriert. Die Zahl steigt von Jahr zu Jahr. Aussagekräftige Statistiken zu führen, trägt ebenfalls dazu bei, Ermittler und Richter zu sensibilisieren und die Situation der einzelnen Gruppen wahrzunehmen.

Ich bin nicht die Einzige, die den Entwurf kritisch sieht. Rechtsanwalt Oliver Tolmein, der die SPD-Fraktion dazu beraten hat, kritisiert den Sammelbegriff „menschenverachtende Beweggründe“ in der „Frankfurter Rundschau“ ebenfalls: „Es geht um den besonderen Unrechtsgehalt dieser Straftaten. Wenn ich eine Frau wegen ihrer Behinderung verletze, dann bedrohe ich damit alle Menschen, die behindert sind. Warum benennt man Behinderung dann aber nicht ausdrücklich im Gesetz?“. Ja, warum eigentlich nicht, Herr Maas?

 

Wie berufliche Inklusion funktionieren kann

Kann eine Frau ohne Arme Masseurin werden? Kann ein Mann, der nicht sprechen kann, Kabarettist werden? Kann man ohne sehen zu können, Fernsehkorrespondent werden? Kann ein Rollstuhlfahrer Fußballtrainer werden?

Während vermutlich die Mehrheit der Berufsberater die Fragen mit „Nein“ beantworten würde, sieht die Realität, zumindest in Großbritannien, bereits anders aus. Sue Kent hat keine Arme, ist selbstständige Masseurin und massiert unter anderem Athleten vor und nach Wettkämpfen. Lee Ridley tourt als Comedian durch Großbritannien ganz ohne zu sprechen. Gary O’Donoghue war Politik-Korrespondent bei der BBC, stand öfter vor 10 Downing Street für Live-Schaltungen und ist unterdessen leitender Politik-Korrespondent bei BBC Radio 4. Und auch den rollstuhlfahrenden Fußballtrainer gibt es, nämlich bei Manchester United. Der Verein hat gerade den 22-jährigen Sohail Rehman als Nachwuchstrainer engagiert.

Wenn es darum geht, ob und wie behinderte Menschen arbeiten können, liegt das Hauptaugenmerk oft darauf, was sie nicht können statt nach alternativen Lösungen zu suchen und sich darauf zu konzentrieren, was jemand kann. Der Kabarettist nutzt einen Laptop, auf dem er eingibt, was er sprechen soll, die Masseurin massiert mit den Füßen, der BBC-Korrespondent macht seine Fersehauftritte wie jeder andere auch, vorher lässt er sich vom Kamerateam entsprechend hinstellen. Und ein Trainer spielt sowieso selten selber mit, da ist es auch egal, dass er im Rollstuhl sitzt.

Was es aber braucht, um berufliche Inklusion möglich zu machen, sind Entscheidungsträger, die über ihren eigenen Tellerrand schauen und behinderte Menschen einstellen – oft schon bei Stellen, die weniger spektakulär sind als die oben genannten Beispiele. Ja, es gibt immer noch Menschen, die daran zweifeln, dass ein Rollstuhlfahrer einen Bürojob gut hinbekommt und ob man wirklich einem gehörlosen Bewerber den Job als Grafikdesigner zutrauen kann. Genau diese Einstellungen erklären unter anderem die hohe Arbeitslosenquote behinderter Menschen. Die Bundesagentur für Arbeit schreibt in einer Auswertung über schwerbehinderte Arbeitslose sogar, dass diese tendenziell etwas besser qualifiziert sind als nichtbehinderte Arbeitslose.

Notwendig ist zudem ein niederschwelliges Unterstützungssystem für die behinderten Menschen und für die Arbeitgeber. Manche behinderte Menschen brauchen eine besondere Arbeitsplatzausstattung und Arbeitsassistenz. Diese Kosten werden in Deutschland eigentlich von Kostenträgern übernommen. Aber niederschwellig heißt nicht, dass von den Kostenträgern erst einmal die Arbeitsfähigkeit des behinderten Arbeitnehmers grundsätzlich in Frage gestellt wird, um Kosten sparen zu können. Oder dass man ständig als potenzieller Betrüger hingestellt wird, wenn man Assistenzleistungen beantragt. Oder dass die Bewilligung dieser Unterstützung Wochen oder Monate dauert während der behinderte Arbeitnehmer keine vernünftige Arbeitsleistung erbringen kann, weil die notwendige Arbeitsplatzausstattung fehlt.

Niederschwellig bedeutet genau das, was ich in England selbst erlebt habe: Dass ich einen (!) Anruf tätige bei einer zentralen Hotline, man sich anhört, was ich benötige, mir am Ende des Telefonats die Bewilligung mündlich zusagt, ich am nächsten Tag die Assistenz organisieren kann und am Tag darauf das Bewilligungsschreiben in der Post ist. Und warum? Weil die Briten erkannt haben, dass es viel teurer ist, behinderte Menschen in die Sozialhilfe oder in die Erwerbsunfähigkeitsrente abzuschieben als Assistenz und Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen.

Zusätzlich schaffen behinderte Menschen auch noch Arbeitsplätze in Form von Assistenzkräften. Vor ein paar Jahren gab es eine Studie zu „Access to Work“. So heißt das Programm, aus dem die berufliche Assistenz und Hilfsmittel bezahlt werden. Jedes Pfund, das der britische Staat in behinderte Menschen am Arbeitsplatz investiert hat, kam über Steuern und eingesparte Sozialleistungen wieder zurück. Es gibt sogar Schätzungen, die davon ausgehen, dass das Doppelte wieder in die Staatskassen zurückgespült wird. Das haben viele Kostenträger in Deutschland leider noch überhaupt nicht begriffen.

Das Abschieben von behinderten Menschen aus dem Arbeitsleben ist nicht nur unsozial, denn Arbeit hat nicht zuletzt auch eine soziale Funktion. Aber wem das als Argument nicht genügt: Es ist auch volkswirtschaftlich Unfug, Menschen nicht entsprechend ihren Fähigkeiten einzusetzen und die notwendigen Voraussetzungen dafür zu verweigern.

 

Warum ein Eimer Eiswasser nicht genug ist

Ich bin eigentlich für fast jedes Internet-Phänomen zu haben, kann Tränen über die verfälschten Film- und Tiernamen auf Twitter lachen und kenne diverse „Happy“-Videos. Nur die Eiswassereimer lassen mich irgendwie kalt.

Bei der Ice Bucket Challenge gießen sich Menschen einen Eimer Eiswasser über den Kopf, filmen sich dabei und teilen es auf Facebook und Twitter. Damit soll die Aufmerksamkeit für die Nervenerkrankung ALS geschärft und Geld gesammelt werden.

Soweit so gut, aber mit dem Bewusstsein, dass es die Erkrankung gibt und Leute, die damit leben, ändert sich erstmal nichts. Okay, die Spenden für die Forschung nehmen zu. Aber davon werden Leute, die jetzt ALS haben, vermutlich nicht mehr profitieren können.

Wenn sich jemand einen Eimer Eiswasser über den Kopf kippt, ändert das nichts am Leben der Menschen. Dabei könnten manche, die ihr Hirn abgekühlt und das für die Nachwelt festgehalten haben, durchaus noch mehr tun – nicht nur spenden und in Eiswasser duschen.

Ein paar Beispiele:
Gestern Abend war ich auf einer Veranstaltung in einem Gründerzentrum. Am Morgen hatte ich einen bekannten Unternehmer auf Facebook sehen können, wie er die Eisdusche nimmt. Keine 12 Stunden später stand ich vor Stufen eines nagelneu eingerichteten Veranstaltungsbereichs eben dieses Gründerzentrums, mitfinanziert durch die Firma genau dieses Firmengründers. Niemand, der wegen ALS im E-Rollstuhl sitzt, wäre dort hineingekommen.

Ein anderes Beispiel aus dem Internet: Viele Menschen mit ALS und vergleichbaren Behinderungen können Computer nur mit besonderen Eingabegeräten benutzen. Aber gerade die großen Internetunternehmen sind immer noch nicht besonders gut darin, ihre Websites so zu bauen, dass sie auch mit diesen Eingabegeräten oder aber mit Sprachausgaben für blinde Nutzer gut funktionieren.

Also wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann sicher nicht, dass sich Mark Zuckerberg, um mal nur einen zu nennen, einen Eimer Eiswasser über den Kopf kippt, sondern dass ich endlich mit Freunden, die behinderungsbedingt verschiedene Ein- und Ausgabegeräte nutzen, problemlos auf Facebook kommunizieren kann und sie sich nicht aus Frust komplett abmelden, weil sie sich ausgeschlossen fühlen, weil die Seite und der Chat mit den Hilfsmitteln so schwer zu bedienen sind.

Und dann noch die Sache mit dem Bewusstsein. Ja, es kann nicht schaden zu wissen, dass es ALS gibt. Aber Bewusstsein kann nur ein erster Schritt sein. Was ja folgen muss, sind Veränderungen im Umgang mit den ALS-Betroffenen. Dass sie nicht mehr als betrunken abgestempelt werden, nur weil sie eine verwaschene Sprache haben zum Beispiel, etwas was viele Leute mit ALS und anderen Beeinträchtigungen, die die Sprache betreffen, erleben. Dass man sie nicht sofort vor die Tür setzt, wenn der Arbeitgeber von der Erkrankung erfährt. Dass sie auch künftig noch in der Bäckerei um die Ecke einkaufen können, weil der Bäcker eine Rampe gekauft hat.

Ja, Forschung ist wichtig. Aber genauso wichtig ist, sich mal zu überlegen, wie das Leben der betroffenen Leute jetzt und nicht in ferner Zukunft verbessert werden kann. Jeder in seinem kleinen Bereich. Mit Rampen, barrierefreien Toiletten, zugänglichen Websites, einem besseren Service oder einfach einer anderen Einstellung. Das hilft dann nicht nur ALS-Betroffenen, sondern vielen anderen auch.

 

Im Sitzen zur Stehparty

Ich bin eigentlich ständig auf Stehempfängen und Stehpartys. Das bringt mein Leben irgendwie so mit sich. Die Medien- und Geschäftswelt feiert und netzwerkt im Stehen. Im Gegensatz zu Wolfgang Schäuble meide ich sie nicht, sondern mache sie mir einfach barrierefrei.

Letztes Wochenende war ich auf einer Geburtstagsparty eingeladen. Es gab ein paar Stühle und Tische, aber die meisten Leute standen. Ich habe das gemacht, was ich immer in diesen Situationen tue: Ich schnappte mir die Leute, mit denen ich mich unterhalten wollte und setze mich mit denen irgendwo hin. Und umgekehrt, die Leute, die mich sprechen wollten, holten sich einen Stuhl und setzten sich zu mir.

Ich war noch nie irgendwo, wo es keine Stühle gab – und wenn sie jemand aus einem anderen Raum holen muss. Aber dann frage ich danach.

Hocke oder nicht Hocke?

Die Leute fragen mich oft, ob sie sich zu mir herunterknien oder in die Hocke gehen sollen, wenn sie mich treffen. Das ist natürlich sehr individuell, wie jeder Rollstuhlfahrer das handhabt. Aber meist ziehe ich es vor, zu den Leuten nach oben zu schauen, zumindest bis zu einer Größe von 1,85 Meter. Denn spätestens nach fünf Minuten werden sie unruhig, wenn sie in der Hocke sitzen, weil ihnen die Knie einschlafen. So kann man kein vernünftiges Gespräch führen. Ich bitte die Leute sehr oft, sich einen Stuhl zu besorgen oder mit mir in einen Bereich zu gehen, wo man sitzen kann. Ich saß schon oft umringt von stehenden Leuten in der Mitte eines Raumes und habe mich mit jemandem, der neben mir auf dem Stuhl saß, unterhalten. Mann muss es einfach machen.

Was mich allerdings echt nervt ist, wenn es etwas zu essen gibt und das an Stehtischen. Das ist mir erst vor Kurzem auf einer Konferenz passiert. Zur Abendveranstaltung in einem großen Ballsaal eines Fünf-Sterne-Hotels gab es ein riesiges Buffet – aber leider nur Stehtische. Ich kam in den Saal rein und mir war klar, wenn ich das nicht sofort anspreche, wird das kein schöner Abend für mich werden. Ich hätte auf dem Schoß essen und mein Glas auf den Boden stellen müssen. Alleine. Während die anderen sich an Stehtischen unterhielten.

Also bin ich zu dem Bankettchef hin und fragte ihn, wo ich denn essen solle. Allgemeine Ratlosigkeit machte sich in den Gesichtern breit, aber dann holten mehrere Kellner einen runden niedrigen Tisch. Sogar einen Kerzenständer bekam „mein“ Tisch wie alle anderen Tische auch. Da ich nicht alleine essen wollte, fragte ich noch nach ein paar Stühlen. Auch die wurden gebracht. Und es überraschte mich nicht, dass sich der Tisch schnell füllte. Wer will schon gerne im Stehen essen, wenn er sitzen kann?

Ja, natürlich nervt das manchmal, fragen zu müssen, weil andere Leute nicht mitgedacht haben. Aber andererseits ändert sich ja nie etwas, wenn man als Rollstuhlfahrer einfach wegbleibt. Der Bankettchef des Hotels denkt jetzt vielleicht anders über sein Stehtisch-Konzept als vorher. Und jeder Eventmanager, der für mich Stühle tragen musste, weiß nun, dass eine gute Party nur eine ist, bei der man sich auch mal irgendwo hinsetzen kann.

 

Ein Piktogramm wird dynamisch

Der Staat New York führt ein neues Rollstuhl-Piktogramm ein. Wo vorher dieses weiße, starre Männchen auf Behindertenparkplatz-Schildern und auf barrierefreien Toiletten zu sehen war, geht es künftig, zumindest was die Beschilderung angeht, dynamischer zu. So sieht das neue Piktogramm aus:

Rollstuhl-Symbol

Es zeigt einen Rollstuhlfahrer in einer nach vorne gelehnten Position, der oder die gerade dabei ist, seinen Rollstuhl anzuschieben. Die Räder sind durchbrochen, um die Bewegung zu symbolisieren.

Wenn ich ehrlich bin, fragte ich mich, als ich das Piktogramm das erste Mal sah, ob es jetzt schon ein Symbol für Paralympics-Athleten oder „Rollstuhlfahrer auf der Flucht“ gibt? Darin erinnerte mich die dynamische Haltung der Figur. Es sieht aus wie jemand, der ein Rollstuhlrennen fährt oder eben auf der Flucht ist.

Das alte Symbol fand ich allerdings nie sonderlich ansprechend. Wer kann sich schon mit einem stocksteifen Männchen in einem Rollstuhl identifizieren, dem irgendwie die Vorderräder abhanden gekommen sind und das seine Arme stocksteif nach vorne streckt?

Das New Yorker Symbol ist eine Entwicklung des Accessible Icon Projects, in dem sich behinderte Menschen mit Designern und anderen zusammengetan haben, um ein neues, dynamischeres Piktogramm zu entwickeln.

Dabei war der Gruppe vor allem wichtig, das Bild von Menschen mit Behinderungen als passive Menschen zu verändern. Deshalb bewegt der Rollstuhlfahrer im neuen Symbol seinen Rollstuhl auch selbst. Aber auch Kritik gibt es an diesem Piktogramm, nämlich dass es nur eine kleine Gruppe von behinderten Menschen widerspiegelt.

Das New Yorker Projekt ist nicht das einzige Projekt, das dem Piktogramm zu mehr Dynamik und einem zeitgemäßen Design verholfen hat. Auch bei dem im vergangenen Jahr eröffneten Campus der Wirtschaftsuniversität in Wien gibt es das passive Rollstuhlmännchen nicht mehr. Das Designstudio buero bauer entwickelte für den Campus ganz neue Piktogramme. Dabei entstand auch ein neues Rollstuhl-Piktogramm:

Rollstuhlfahrer-Piktogramm

© Designstudio buero bauer

Aus dem alten, österreichischen Symbol wurde ein aktiver Rollstuhlfahrer im Anzug. Die Hand des Rollstuhlfahrers bewegt den Rollstuhl aktiv vorwärts, der angedeutete Sitz fiel weg und auch auf das Fußbrett wurde verzichtet. Stattdessen schaut die Person aktiv aus und der Anzug passt zur Umgebung einer Wirtschaftsuniversität.

Gefällt mir sehr gut, immerhin ist niemand auf der Flucht. Nur eines stört mich: Warum muss das ein Mann sein? Ich hoffe, an der Wirtschaftsuni in Wien gibt es auch rollstuhlfahrende Frauen, nicht nur Männer. Da gefällt mir die Geschlechtsneutralität des New Yorker Symbols besser.

Aber auch wenn beide Symbole vielleicht nicht perfekt sind, interessant ist, dass es offensichtlich in den USA und in Europa Designer und behinderte Menschen gibt, die sich mit den alten Bildern nicht mehr zufriedengeben wollen. Oder anders gesagt: Wenn sich das Bild von behinderten Menschen in der Gesellschaft wandelt – von passiven Hilfsempfängern hin zu aktiven Menschen – müssen sich dann nicht auch die Symbole ändern?

 

Behinderung als gesellschaftliche Aufgabe

Es war vor fast genau zehn Jahren als ich in Oslo die Rede des norwegischen Politikers Lars Ødegård hörte (hier lang zur deutschen Übersetzung). Ødegård war der erste rollstuhlfahrende Abgeordnete im norwegischen Parlament. Von der Krankheitslehre zur Politik hatte er seine Rede überschrieben und rief dazu auf, Behinderung nicht mehr als persönliches Schicksal und medizinisches Problem anzusehen, sondern als gesellschaftliche Aufgabe aller:

Behinderte Menschen auf der ganzen Welt begegnen den gleichen Mythen und Aberglauben. Mythen basieren auf der Annahme, dass unser Leben ein ärmeres ist und dass der Grund dafür in unserer Biologie liegt. Diese Mythen sind vielleicht auch der Grund, warum Behinderung primär eine Angelegenheit des Gesundheitswesens und der öffentlichen Wohlfahrt ist. Es ist an der Zeit, uns klar zu machen, dass Behinderung eine Angelegenheit der Menschenrechte ist. Wenn wir das nicht begreifen, bleibt die Chance, Gleichberechtigung und volle Teilhabe zu erreichen, nur ein Traum.

Bis heute ist Ødegårds Rede in meinem Gedächtnis geblieben und hat mich in meinem Denken über das Thema Behinderung sehr geprägt. Er hat mir klar gemacht, dass Behinderung kein medizinisches Problem ist, sondern eine Frage von Menschenrechten und damit eine gesellschaftliche Aufgabe.

In Großbritannien erfand man sogar einen Namen für diese Art, Behinderung zu definieren: „Soziales Modell von Behinderung“ nennt man das. Immer mehr Organisationen und selbst der britische Staat nehmen das soziale Modell als Grundlage ihres Handelns in vielen Bereichen.

Das medizinische Modell hingegen geht davon aus, dass es in erster Linie ein medizinisches und damit individuelles Problem ist, wenn jemand zum Beispiel nicht laufen kann. Diese Sichtweise endet nur ganz schnell in der Sackgasse, wenn man merkt, dass man medizinisch bei vielen Behinderungen gar nichts tun kann. Genau das unterscheidet sie nämlich von Krankheiten. Ein einfaches Beispiel: Wenn ein Rollstuhlfahrer nicht in ein Gebäude mit zehn Stufen vor der Tür kommt, ist nach dem medizinischen Modell der medizinische Zustand die Ursache des Problems, also dass der Rollstuhlfahrer nicht laufen kann. Das soziale Modell sieht die Treppe und das Fehlen eines Fahrstuhls als ursächlich für das Problem an.

Leider ist das medizinische Modell weltweit noch immer der bevorzugte Weg, mit Behinderung umzugehen. Es wird medizinisch oft alles Nötige (und auch viel Unsinniges) versucht, um die Behinderung zu heilen, um am Ende enttäuscht aufzugeben. Dabei gibt es so viele andere, viel erfolgversprechendere Ansätze, um behinderten Menschen die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen: Barrierefreien Wohnraum schaffen, notwendige Assistenz stellen, Zugang zu Hilfsmitteln, Anpassungen an den Arbeitsplatz vornehmen, Untertitel anbieten, Gebärdensprache anerkennen. Die Liste ist quasi unendlich.

Natürlich geht es nicht darum, jemandem die optimale medizinische Versorgung abzusprechen, aber wenn man am körperlichen Zustand nichts ändern kann, wäre es dann nicht angebracht, die Umwelt, die Vorgänge, die Gegebenheiten an behinderte Menschen anzupassen? Genau davon geht das soziale Modell von Behinderung aus. Und es geht sogar noch weiter. Als Behinderung wird nicht mehr der körperliche Zustand bezeichnet, sondern die Barrieren, die das Leben behinderter Menschen erschweren. Deshalb sagen die Briten auch konsequenterweise „disabled people“ (also Menschen, die behindert werden). Den körperlichen Zustand nennen sie Beeinträchtigung (impairment).

Und jetzt kann man von dieser Herangehensweise halten was man will, aber Tatsache ist, sie hat in den vergangenen Jahrzehnten zu einer verstärkten Emanzipation behinderter Menschen in Großbritannien und anderswo geführt.

Man kommt endlich mal davon weg, behinderten Menschen vorzuhalten, es sei etwas falsch und nicht in Ordnung mit ihnen – und das auch noch bei etwas, worauf sie keinen Einfluss haben, geschweige denn woran sie etwas ändern könnten.

Lars Ødegård hat seine Rede damals beendet, indem er erklärt hat, warum auch behinderte Menschen selbst eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, Behinderung neu zu denken und damit Gleichberechtigung und gesellschaftliche Teilhabe durchzusetzen:

Wenn jemand lange Zeit diskriminiert wird, dann wird er selbst Teil einer Kultur, in der Diskriminierung gedeihen kann. Die Geschichte hat uns viele Unterdrückte gezeigt, die ihre Unterdrücker entschuldigt und verteidigt haben. Wenn die Gesellschaft institutionalisierte Diskriminierung erfolgreich durchgesetzt hat, werden die Diskriminierten selber ganz ruhig, bescheiden und dankbare Empfänger des Wohlwollens einer diskriminierenden Gesellschaft. Das ist der Grund, warum immer noch so viele Behinderte nach mehr Krankengymnastik rufen statt nach Freiheit – weil das genau das ist, was uns beigebracht wurde. Meine letzte Frage wäre dann also: Was glauben wir von der Krankengymnastik zu bekommen, wenn nicht unsere Freiheit?

 

Eine Rampe macht noch keinen barrierefreien Hotelbus

Ich bin eine treue Kundin. Habe ich einmal ein Hotel gefunden, das barrierefrei ist, stehen die Chancen gut, dass ich auch bei den nächsten 25 Reisen in diese Stadt dieses Hotel auswähle. Denn Hotels sind, was ihre Definition von Barrierefreiheit angeht, sehr kreativ.

Von „Ich dachte, die zwei Stufen sind kein Problem“ über „Ach, Sie wollten mit dem Rollstuhl auch ins Bad“ bis zu „Wir sind behindertenfreundlich, aber das heißt ja nicht, dass wir Zimmer für Rollstuhlfahrer haben“, habe ich alles schon gehört. Ich lasse mir deswegen bei jeder Buchung schriftlich bestätigen, ein barrierefreies Zimmer gebucht zu haben. Sobald es nämlich verbindlich wird, überdenken einige dann doch noch mal ihre Angaben.

Aber bevor man in ein Hotelzimmer eincheckt, muss man dort erst einmal hinkommen. Ich habe viel an Flughäfen zu tun und nutze daher oft Flughafenhotels. Diese liegen selten direkt am Flughafen, meistens etwa fünf Kilometer vom Flughafen entfernt.

Diese Woche war ich in München. Ich hatte mich zuvor über den Transfer ins Hotel informiert und das Hotel versicherte, es gebe einen barrierefreien Hotelbus. Sogar mit Rampe.

In München teilen sich mehrere Hotelketten einen Hotelbus, der dann der Reihe nach alle zugehörigen Hotels anfährt. Als der Bus kam, traute ich meinen Augen nicht. Die Angabe des Hotels war zwar richtig. Der Bus hatte ein Rampe. Dafür aber keinen Rollstuhlstellplatz. Stattdessen befand sich dort, wo sonst dieser Platz ist, ein Gepäckfach.

Hotelbus

Ich kenne das Problem schon vom Frankfurter Flughafen. Die meisten Hotels dort haben Busse, in die ich gar nicht hineinkomme. Alternativen: Wenige.

Auch dort gibt es ein Hotel, das einen Bus mit Rampe aber ohne Rollstuhlstellplatz hatte. Als ich dort das zweite Mal übernachtete, fragte mich der Hoteldirektor, wie barrierefrei sein Hotel sei. Nicht nur fand ich toll, dass ihm das ein Anliegen war und er wissen wollte, wie zufrieden ich bin. Als ich ihm sagte, sein Hotel sei super, aber der Zubringerbus nicht, ließ er den Bus umbauen. Als ich das nächste Mal kam, war der Gepäckschrank halbiert und es gab einen Rollstuhlstellplatz. Ich weiß nicht, wie oft ich anschließend dort war, aber es waren etliche Male. Und natürlich bleibt das mein Hotel, wenn ich am Frankfurter Flughafen bin. Wie gesagt, ich bin eine treue Kundin, was Hotels angeht.

Jetzt fragen Sie sich vielleicht, warum ich mir kein Taxi nehme. Auch das habe ich bereits mehrfach versucht. Aber Sie müssten mal die Reaktionen von Taxifahrern sehen, die zwei Stunden in der Schlange am Flughafen gewartet haben, um dann eine Fahrt zum Hotel um die Ecke zu bekommen. Zwar gibt es, zumindest in Frankfurt, die Regelung, dass man innerhalb einer gewissen Zeit wieder zurückfahren darf, wenn man eine Kurzstreckenfahrt angenommen hat, ohne sich wieder zwei Stunden anzustellen, aber die Fahrer haben Angst, dass ich zu lange zum Ein- und Aussteigen brauche und sie die Zeit zur Wiedereinfahrt überschreiten. Die Sorge ist nicht ganz unberechtigt, und ich bin die Debatten mit Taxifahrern echt leid.

Für E-Rollstuhlfahrer sind Taxen gar keine Alternative, weil die Rollstühle zu schwer und zu groß für einen Kofferraum sind. Und barrierefreie Taxen sind in Deutschland rar gesät.

In den USA und Großbritannien habe ich das Problem übrigens nicht. Die Hotelbusse der großen Ketten am Flughafen Heathrow, die ich kenne, sind alle barrierefrei. Auch in den USA kenne ich nur barrierefreie Hotelbusse oder zumindest gibt es ein Standard-Verfahren, um einen barrierefreien Transport zur organisieren, wenn die Hotels wissen, dass jemand nicht gehen kann.

Das machen die Hotels weder auf der Insel noch in den USA aus reiner Menschlichkeit, sondern weil die Anti-Diskriminierungsgesetze sie dazu verpflichten. Nicht behinderten Gästen einen Hotelbus anzubieten, behinderten Gästen aber zu sagen „Sorry, geht nicht“, ist in diesen Ländern eine Diskriminierung und nicht erlaubt. Das erleichtert mir das Reisen in diesen Ländern sehr. Ich komme einfach an und fahre, wie die anderen Passagiere auch, einfach mit. Das ist Barrierefreiheit.