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Das Problem mit den Sonderlösungen

Diese Woche habe ich mein Auto auf dem Langzeitparkplatz am Londoner Flughafen Gatwick geparkt, bevor ich eingecheckt habe. Der einzige verfügbare Parkbereich war Bereich E. Mit einer Ausnahme: Es standen überall Schilder, dass Besitzer eines blauen Behindertenparkausweises den Bereich A nutzen sollten. Nur dort gebe es breitere Behindertenparkplätze.

Also fuhr ich in den eigentlich geschlossenen Bereich A und parkte dort auf einem der ausgewiesenen Behindertenparkplätze. Dieser lag auch praktischerweise gleich neben einer Bushaltestelle für den Zubringerbus zum Terminal. Ich begab mich also zur Bushaltestelle und auch im Wartehäuschen gab es wieder Schilder: Der Parkbereich A sei eigentlich geschlossen. Wenn man aber einen blauen Parkausweis habe und das Auto deshalb dort geparkt habe, solle man die Gegensprechanlage nutzen. Man würde dann dem Zubringerbus sagen, doch den Bereich anzufahren.

Einbahnstraße

Ich betätigte also den Rufknopf der Gegensprechanlage und es tat sich erst mal gar nichts. Ich klingelte noch mal. Dann meldete sich eine Stimme. Noch ohne dass ich überhaupt etwas sagen konnte, sagte sie, der Parkbereich A sei gesperrt. Ich solle mein Auto in den Parkbereich E fahren. Ich erklärte ihr, dass ich ja gerade dort geparkt habe, weil ich einen breiten Behindertenparkplatz benötige. Schweigen am anderen Ende.

Dann entdeckte ich ein weiteres Schild. Die Gegensprechanlage sei schon älter. Man müsse den Knopf beim Sprechen gedrückt halten und wenn die Gegenseite spreche, könne man nichts sagen. Die Frau am anderen Ende hatte mich also gar nicht gehört. Unterdessen war ich bereits 10 Minuten an der Bushaltestelle und wollte einfach nur ins etwa 5 Minuten entfernte Terminal.

Mit Glück zum Flughafen

Ich drückte also wieder den Knopf und hielt ihn gedrückt und sagte sofort, ich sei Rollstuhlfahrerin. „Wo ist denn der Rollstuhl? Haben Sie den dabei?“ wollte die Stimme nun wissen. Nun wurde ich langsam etwas ungehalten. „Ich sitze drin. Schicken Sie jetzt einen Bus?“ rief ich und ließ dann den Knopf los, um die Antwort hören zu können. Wieder keine Reaktion. Ich gab auf und hoffte, dass einer der Busse bei dem Weg nach draußen sowieso vorbeifahren würde. Ich hatte Glück. Ich konnte dem Busfahrer zuwinken und er hielt an der eigentlich geschlossenen Bushaltestelle für mich an. Ich war mit 15 Minuten Verspätung endlich in einem Bus, der zum Flughafen fuhr.

Nicht praxistauglich

Ich bin immer skeptisch, wenn ich irgendwelche „Sonderlösungen“ für behinderte Menschen sehe, weil ich schon x Mal erlebt habe, dass sie in der Praxis genauso funktionieren, wie die Gegensprechanlagenlösung in Gatwick. Nämlich gar nicht. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht. Deshalb steht auch im Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes, dass Gebäude und andere Einrichtungen dann barrierefrei sind, „wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“

Die Worte „in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe“ machen den entscheidenden Unterschied aus. Wird es nervig in ein Gebäude zu kommen oder klappt es vielleicht gar nicht, weil keine Hilfe erreichbar oder verfügbar ist wie im Fall mit der Gegensprechanlage? Das Konzept „Da kann ja dann schnell jemand helfen“ funktioniert ganz oft gar nicht und ist in den meisten Fällen gar kein Konzept sondern eine Ausrede.

Sicher ist es besser, beispielsweise eine mobile Rampe zu haben, die man an eine Stufe anlegt, und eine Klingel als gar nichts. Aber es ist ein Unterschied, ob das eine nachträgliche Lösung für ein altes Gebäude ist oder ob einfach jemand bei der Planung nicht nachgedacht hat. Warum ein Flughafen seine Behindertenparkplätze nicht grundsätzlich von Bussen anfahren lassen kann und eine Gegensprechanlage aus Urzeiten hat, erklärt sich mir überhaupt nicht.

 

Ohne Kopfbedeckung

Ich mag Kapuzen nicht sonderlich. Ich mag sowieso nicht gerne irgendwas auf dem Kopf haben. Und ich mag schon gar nicht, wenn mir jemand an den Kopf fasst. Das nur vorweg. Ich habe mir vor Kurzem eine schöne warme Winterjacke gekauft. Diese hat eine Kapuze, was mich nicht weiter störte. Man muss sie ja nicht aufsetzen.

Heute sah das eine Frau völlig anders. Die Frau um die 50 war mir schon in der U-Bahn aufgefallen, weil sie mich ständig anstarrte. Das kommt schon mal vor. Nun gibt es Rollstühle nicht erst seit gestern, aber es gibt immer noch Zeitgenossen, die es nicht fassen können, dass nicht alle Menschen laufen. Ich lächele diese Komischgucker dann freundlich an. Wenn sie merken, dass ich bemerkt habe, dass sie mich anstarren, hören sie meist damit auf. So war es auch bei dieser Frau.

Unerbetene Ratschläge

Und wie der Zufall es so wollte, stiegen die Frau, die mich zuvor so anstarrte, und ich an der selben Station aus. Auch sie nahm auch den Fahrstuhl. Ich zog im Lift meine Handschuhe an, denn ich wusste, ich muss eine große Straße überqueren, um ins Hotel zu kommen. Und die stand voller Wasser, da es regnete. Nicht sehr stark, aber die Straße war nass und ich wollte keine nassen Hände vom Rollstuhlfahren bekommen.

Das wiederum nahm die Frau zum Anlass, mich darauf hinzuweisen, dass es regnete und ich doch besser meine Kapuze aufsetzen sollte. Ich murmelte etwas wie „Jaja, geht schon“ und dachte, damit sei die Sache erledigt. Dass mir unbekannte Menschen aus heiterem Himmel ungefragt Ratschläge geben, bin ich durchaus gewohnt. Meist akzeptieren sie dann aber, wenn ich nicht darauf höre. Nicht so in diesem Fall.

Und bist Du nicht willig…

Ich musste, wie gesagt, eine große Straße überqueren und wartete an der Ampel, dass ich über die Straße konnte. Plötzlich merkte ich, wie von hinten jemand sich an meiner Jacke zu schaffen machte. Ich drehte mich um und da hatte mir auch schon jemand die Kapuze über den Kopf gezogen. Es war die Frau aus dem Fahrstuhl, die mich wiederum darauf hinwies, dass meine Haare nass werden, weil es ja regnete. Ich sagte ihr, immer noch freundlich, das gehe schon. Mein Weg sei nicht weit.

Dieses Argument ließ sie aber keinesfalls zu, sondern fing gerade an, die Bändel der Kapuze vorne unter meinem Kinn zuzuziehen. Wenn ich zuvor schrieb, ich mag nicht gerne, wenn Leute auf meinen Kopf fassen, impliziert das, dass das schon mal vorkommt. Und tatsächlich, es gibt erwachsene Menschen die anderen erwachsenen Menschen, nur weil diese auf Kinderhöhe sitzen statt zu stehen, auf den Kopf fassen.

Dass es aber auch Menschen gibt, die sich an meinem Hals zu schaffen machen und mich behandeln wie ein Kindergartenkind, das sich seine Jacke nicht richtig anziehen kann, ist auch für mich neu. Nach einer Schrecksekunde nahm ich also die Hände der Frau von meinem Hals und sagte ihr etwas ungehalten, dass ich durchaus in der Lage sei zu entscheiden, wie ich mich anziehe und sie solle mich in Ruhe lassen.

Wenn das jeder machen würde

Sie ging dann auch wirklich. Und ich musste, so bescheuert und übergriffig die Situation auch war, fast lachen. Nicht auszudenken, wenn mehr Menschen sich so verhalten würden, nicht nur bei Rollstuhlfahrern, sondern einfach bei jedem. Einfach mal die Kleidung eines anderen auf der Straße richten: mal einen Schal umlegen oder das Hemd des anderen weiter zuknöpfen. So lange sich das gesamtgesellschaftlich aber noch nicht durchgesetzt hat, fahre ich auch weiterhin ohne Kopfbedeckung bei Regen und wehre jeden ab, der versucht, das zu ändern.

 

Behinderte Models bei der New York Fashion Week

Models im Rollstuhl, ein männliches Model mit Prothese und eine Schauspielerin mit Downsyndrom – sie alle waren in dieser Woche auf den Laufstegen der New York Fashion Week zu sehen. Die Designerin Carrie Hammer hatte der Schauspielerin Jamie Brewer ein Kleid auf den Leib geschneidert. Die 30-Jährige spielt in der amerikanischen Serie American Horror Story mit und hat das Downsyndrom. Brewer ist das erste Model mit Downsyndrom, das bei der New York Fashion Week auftrat. Sie möchte gern ein Vorbild sein: „Junge Mädchen und sogar junge Frauen sehen mich und sagen: Hey, wenn die das kann, kann ich das auch.“ Sie kommuniziert mit ihren Fans auf Twitter, 80.000 Follower hat sie inzwischen, und twitterte auch hinter den Kulissen der Fashion Week.

Viel Beifall

Auch das italienische Label FTL Moda setzte in diesem Jahr auf behinderte Models und schickte Models im Rollstuhl, mit Gehhilfen und Beinprothesen auf den Laufsteg und erntete viel Applaus. „Letztendlich sind Prothesen oder ein Rollstuhl auch nur Accessoires“, sagte einer Produzenten der Show. Und so präsentierten die behinderten Models stolz die neuesten Fashion-Kreationen des Labels – als sei es nie anders gewesen.

Model im Rollstuhl
© Selcuk Acar / Getty Images

Der 25-jährige Brite Jack Eyers beschritt als erstes männliches Model den Laufsteg der New York Fashion Week mit einer Prothese. Eyers wurde mit einer Fehbildung seines rechten Beins geboren und ließ es sich im Alter von 16 Jahren amputieren. Seitdem läuft er mit einer Prothese. Er engagiert sich bei „Models of Diversity“, einer Agentur, die sich für mehr Vielfalt auf den Laufstegen der Welt einsetzt.

Alles nur Show?

Wandelt sich das klassische Schönheitsideal also gerade, wie einige Kommentatoren begeistert feststellten? Oder ist das alles nur eine Alibi-Veranstaltung, die zeigen soll, dass die Modeindustrie doch nicht so oberflächlich ist, wie alle denken, aber es de facto doch ist? Ist das eine Aktion, die zeigen soll, „Seht her, wir haben mehr als weiße Magermodels mit perfektem Körper im Programm“? Werden körperliche Besonderheiten nun en vogue?

Model im Rollstuhl
© Selcuk Acar / Getty Images

Sicherlich setzen solche Aktionen Zeichen. Vor 10 oder 15 Jahren hätte man kein behindertes Model bei einer Fashion-Show gesehen. Es war einfach undenkbar. Die Modeindustrie ist kein Hort besonderer Vielfalt. Beispielsweise sind rund 80 Prozent der Models auf den Laufstegen weiß. Vor zehn Jahren waren es aber noch 90 Prozent. Es ändert sich etwas, aber nur sehr langsam.

Die Begeisterung beim Publikum war allerdings auch deshalb so groß, weil sie solche Models bei der New York Fashion Week nicht erwartet hatten. Von Normalität oder Inklusion kann also keine Rede sein, denn dann wäre es normal, dass auch behinderte Models Mode präsentieren. Eher spielen die Modelabels mit dem Showeffekt: Man muss anders sein, um aufzufallen. Wenn das die Mode alleine nicht leistet, müssen besondere Trägerinnen her. Dazu eignen sich behinderte Models natürlich perfekt.

 

Nicht alleine ins Schwimmbad

Zehn Jahre lang geht Angelika Höhne-Schaller in ihrem örtlichen Bad alleine schwimmen. Dann übernimmt die Stadt selber den Betrieb des Bades. Seitdem wird der Frau, die sehbehindert ist, der Zugang zum Schwimmbad verweigert, wenn sie keine Begleitperson mitbringt. Mit dieser Posse schafft es gerade die Titania-Therme im schwäbischen Neusäß bundesweit in die Medien.

Thermen-Chef und Stadtbaumeister Dietmar Krenz sagt: „Wir haben eine gewisse Verantwortung für unsere Benutzer und die nehmen wir auch ernst.“ Die Verantwortung sieht er darin, behinderten Besuchern den Zugang zum Bad grundsätzlich zu verweigern, wenn diese keine Begleitperson mitbringen. Die Schwimmbadsatzung sieht das genauso vor. Sie setzt behinderte Besucher mit Kindern unter acht Jahren gleich. Die Frau zieht jetzt gegen die Stadt vor Gericht. Sie will sich nicht aufgrund ihrer Sehbehinderung diskriminieren lassen.

Kein Einzelfall

Wer glaubt, das sei ein Einzelfall, der irrt. Von Schwimmbädern, über Diskotheken bis hin zu Kinos, es gibt immer noch Serviceanbieter und Dienstleister, die behinderte Menschen als Sicherheitsrisiko und nicht als Kunden ansehen. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, in der deutschen Bäderlandschaft geht die Zeit rückwärts. Vor 20 Jahren konnte ich als behindertes Kind und Jugendliche problemlos alleine in jedes Schwimmbad. Warum heutzutage behinderten Erwachsenen der Zugang verweigert wird, ist kaum zu erklären. Die Welt redet von Inklusion behinderter Menschen in die Gesellschaft, während die Bäderbetreiber ihre Türen für behinderte Menschen verschließen.

Schon 2006 hatte der Deutsche Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS) von den deutschen Bädern verlangt, dass diese ihre Satzungen ändern. Damals war in Sindelfingen einer blinden Frau der Zugang ins Schwimmbad verweigert worden. Dabei geht es in den wenigsten Fällen um konkrete Gefahren, sondern um Hysterie und Diskriminierung.

Falsche Einschätzungen von außen

Wie selbstverständlich behinderten Menschen aber die eigene Urteilsfähigkeit abgesprochen wird, zeigt die Stadt Neusäß eindrucksvoll. Man traut der Frau nicht zu, dass sie sich alleine orientieren kann, sagt das Bad. Es sei zu laut für sehbehinderte Besucher, die Rutschen zu gefährlich, es könnte eine Tasche im Weg stehen. Dabei maßt man sich an, zu beurteilen, was die Kundin kann und was sie nicht kann, obwohl sie seit zehn Jahren beweist, dass sie das Bad problemlos nutzen kann. Wenn man bedenkt, wie viele Vorurteile und falsche Vorstellungen es über Behinderung, in dem Fall über Sehbehinderung gibt, gehen solche Einschätzungen von außen fast immer schief.

Was ein einzelner behinderter Mensch kann oder nicht, ist höchst individuell. Während sich vielleicht ein gerade frisch erblindeter Mensch schwer tut, sich überhaupt zu orientieren, ist es für einen gut geübten blinden Menschen kein Problem, durch den Straßenverkehr zu navigieren oder sich eben in einem Schwimmbad zurechtzufinden. Angelika Höhne-Schaller verfügt sogar über eine Restsehfähigkeit. Aber auch vollblinde Menschen sind durchaus in der Lage, sich alleine zurechtzufinden, wenn sie zum Beispiel gelernt haben, sich mit einem Blindenlangstock zu orientieren. Dafür gibt es ein Mobilitätstraining. Alle behinderten Menschen über einen Kamm zu scheren, ist sicher nicht die Lösung und nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wohl auch rechtswidrig.

Behinderte Menschen sind keine Kinder

Der Neusäßer Bürgermeister Richard Greiner kann nicht verstehen, dass Angelika Höhne-Schaller vor Gericht ziehen will, um sich ihr Recht auf den selbstbestimmten Schwimmbadbesuch zu erkämpfen. „Wir gehen so vor, wie es sachgerecht ist“, teilte er mit. Das ist wohl genau das Problem: Es geht hier nicht um eine Sache, die man vom Schreibtisch aus regulieren kann, sondern um Menschen, die am gesellschaftlichen Leben teilnehmen möchten und daran gehindert werden. Inklusion muss nicht immer viel kosten. Manchmal reicht es, wenn einige Verantwortliche ihre Vorurteile ablegen und behinderte Menschen nicht behandeln wie Kinder.

 

Das Prinzip Gartenstuhl

Es gibt nichts, was ich besser kann als improvisieren und Lösungen finden. „Geht nicht, gibts nicht“, hat meine Oma immer gesagt und so überlege ich mir immer, wie etwas doch gehen könnte statt zu verzweifeln, wenn es etwas nicht so klappt, wie ich mir das vorgestellt habe. Mein Hotelzimmer ist gerade so ein Fall.

Das Hotel hat ein vorbildlich barrierefreies Zimmer. Einziger Haken: Es ist ein Raucherzimmer. Wie man als Hotel ein barrierefreies Zimmer ausgerechnet als Raucherzimmer auslegen kann, wenn man nur eines hat, wird mir immer ein Rätsel bleiben, aber es ist so. Ein barrierefreies Nichtraucherzimmer gibt es nicht.

Rauchende Nachbarn

Als ich ankam, sagte man mir, es sei seit drei Monaten nicht mehr bewohnt gewesen, man habe gut gelüftet und tatsächlich, in der ersten Nacht roch es auch kaum nach Rauch in dem Zimmer – bis die Nachbarn einzogen, die offensichtlich Raucher sind. Und so zog deren Qualm über die Klimaanlage schön erst ins Bad und dann ins Zimmer selbst.

Also fragte ich an der Rezeption, ob ich mal ihre nicht barrierefreien Zimmer ansehen könne. Wenn das Bad groß genug ist, komme ich oft auch so zurecht. Man sagte mir, man habe sogar freie Appartements. Ich könne eines zum gleichen Preis haben. Diese sind größer als die regulären Zimmer. Und ja, das Zimmer war in der Tat völlig in Ordnung für mich. Ich kam sogar ins Bad. Das einzige Problem: Es gab keine Griffe an der Toilette, was für mich als Rollstuhlfahrerin das Umsteigen schwieriger macht. Aber das war ich bereit zu akzeptieren, um dafür nicht eingeräuchert zu werden.

Kein Duschstuhl

Das zweite Problem war schwerwiegender: Es gab keinen Duschstuhl. Der Duschstuhl im barrierefreien Zimmer war fest montiert. Ich kann ja nicht stehen. Also brauche ich einen Stuhl in der Dusche. Den eigenen Rollstuhl mit in die Dusche zu nehmen, ist nicht so toll. Die Sitzbespannung wird nass, trocknet schlecht und für den Rollstuhl insgesamt ist das auch nicht gerade lebensverlängernd.

Nun stehe ich nicht zum ersten Mal vor diesem Problem. Ich fragte also das Hotelpersonal, ob sie mir einen Hocker oder einen wetterfesten Gartenstuhl besorgen könnten. Die meisten Hotels haben irgendwelche Grünflächen. Und für diese gibt es meistens auch Stühle, die wetterfest sind und denen eine Dusche nichts ausmacht. Man sah sich etwas ratlos an, aber dann gingen zwei Mitarbeiter auf die Suche in den Kellerräumen des Hotels. Und tatsächlich, man fand einen Stuhl. Zwar nicht sehr bequem aber dennoch für die Zwecke ausreichend. Ich legte ein Handtuch darüber und schon hatte ich eine für mich nutzbare Dusche.

Lösung Gartenstuhl

Nur die Rezeptionistin hatte Bedenken. Ob ich sicher sei, dass das nicht gefährlich ist. Deshalb gebe es ja barrierefreie Zimmer. Ich musste etwas schmunzeln. Wenn sie wüsste, wie die Zimmer ihrer Konkurrenz teilweise aussehen. Da ist eine Gartenstuhllösung schon fast elegant.

Gartenstuhl

Selbst in als barrierefrei ausgewiesenen Zimmern kommt es vor, dass man den Duschstuhl einfach vergessen hat. Und so versicherte ich ihr, dass ich vermutlich tausende Nächte meines Lebens in Hotels verbracht habe und gewohnt bin, auf Gartenstühle und andere provisorische Lösungen auszuweichen. Das hat sie dann doch überzeugt und ich durfte mit meinem Gartenstuhl dort weiter wohnen. Ganz rauchfrei.

Inklusion funktioniert übrigens auch in vielen anderen Bereichen ganz genauso wie meine Gartenstuhllösung. Man muss einfach schauen, wie etwas dennoch funktionieren kann statt nichts zu tun und mit den Schultern zu zucken – das Prinzip Gartenstuhl funktioniert öfter als man glaubt.

 

„Die Entdeckung der Unendlichkeit“

Eddie Redmayne hat den britischen Filmpreis BAFTA für seine Rolle im Film „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ bekommen. Er spielt den weltberühmten Physiker Stephen Hawking. Der Film zeigt die ersten Jahre Hawkings an der Universität Cambridge. Er zeigt auch die ersten Anzeichen von ALS, einer unheilbaren Nervenerkrankung, durch die Hawking erst einen Rollstuhl braucht, dann auch einen Sprachcomputer nutzt, um zu kommunizieren. Aber auch von Hawkings Familie handelt der Film, nicht zuletzt von seiner Frau Jane. Ihre Autobiografie war Grundlage für den Film.

In ihren Memoiren Die Liebe hat elf Dimensionen: Mein Leben mit Stephen Hawking beschreibt sie, wie sie ihn Anfang der sechziger Jahre an der Uni kennenlernt, als beide noch Studenten waren. Kurz darauf wird bei Hawking ALS festgestellt. Hawking habe nur noch zwei Jahre zu leben, sagen ihm die Ärzte.

Gespräche und Recherche zu ALS

Redmayne spielt die Rolle von Stephen Hawking großartig. Der BAFTA ist absolut verdient – obwohl ich eigentlich lieber behinderte Schauspieler in der Rolle von behinderten Menschen sehe. Aber ALS verläuft nun einmal fortschreitend, was es schwierig macht, die Rolle mit einem behinderten Schauspieler zu besetzen. Möglich wäre es dank Maskenbildnern dennoch.

Die Kritiker fanden vor allem überzeugend, wie glaubwürdig Redmayne die Krankheit ALS zeigte. Dafür hatte er sich mit Menschen, die ALS haben, getroffen und umfangreich recherchiert. Ich fand seine Darstellung manchmal ein wenig überzeichnet, aber nie massiv störend. Dennoch sah man mit geübten Augen an einigen Stellen, dass ein nicht behinderter Schauspieler eben schauspielert.

Was mir an dem Film hingegen gut gefallen hat, war die Darstellung von Behinderung, ohne ins Schmierige abzurutschen und Mitleidseffekte mitzunehmen. Im Gegenteil, der Film zeigt so pragmatische Dinge wie die Organisation der Assistenz, die mangelnde Barrierefreiheit der Uni. Sogar das Thema Sexualität kommt zur Sprache, denn das Umfeld der Familie Hawking war sichtlich überrascht, dass dieser trotz starker Behinderung drei Kinder zeugen konnte.

Nur einmal kitschig

Nur eine Szene gefiel mir nicht: Als Hawking sich vorstellt, dass er aufstehen kann und einer Zuhörerin in der ersten Reihe den Stift aufhebt, der ihr heruntergefallen ist. Das war mir zu kitschig und unnötig.

In den britischen Medien wurde nicht zuletzt das Thema Sexualität und Behinderung diskutiert. So hat Hawking nicht nur wichtige Pionierarbeit im Bereich der Physik geleistet, sondern indirekt offensichtlich auch in diesem Bereich. Ich musste etwas schmunzeln, als ich den ein oder anderen Kommentar gelesen habe. Die pure Information, dass jemand wie Hawking nicht enthaltsam lebt oder leben muss, scheint für so manchen Filmkritiker neu gewesen zu sein.

Ich fand einen anderen Aspekt viel interessanter: Hawkings Frau hat ihre Karriere aufgegeben, um sich um ihren Mann zu kümmern. Das wurde damals wohl als selbstverständlich angesehen. Er hingegen machte eine steile Karriere, weil er einfach so gut war, dass seine Genialität die Behinderung überlagerte. Er kämpfte mit den Stufen an der ehrwürdigen Uni, tat sich zunehmend schwerer damit, Vorträge zu halten und dennoch zählte am Ende eines: sein Können.

Als Hawking gar nicht mehr sprechen kann, hilft ihm ein Sprachcomputer, zu kommunizieren und Vorträge zu halten. Er schreibt einen Bestseller mit dem Computer und seiner Eingabesoftware. Das fand ich eine der wichtigsten Botschaften des Films: Wer kommunizieren kann, kann die Welt verändern. Dafür muss man unter Umständen die Möglichkeiten schaffen, aber am Ende geht es eben doch. Der Film zeigt, was mit Behinderung möglich ist und bejammert nicht, was angeblich nicht geht.

 

Hupende Mütter

Diese Woche war es wieder so weit. Ich habe eine Mutter aufgehalten. Sie war auf dem Weg, ihr Kind zur Schule zu bringen. Für rund 30 Sekunden etwa musste sie warten, bis ich meinen Rollstuhl ins Auto geladen hatte. Die Reaktion dieser Frau und der anderen, mit denen ich ähnliche Erlebnisse hatte, lässt mich erahnen, dass dieser Schulweg keineswegs nur ein Weg ist, sondern für diese Eltern ist es so etwas wie eine Mission. Anders ist ihr Verhalten nicht zu erklären. Denn anstatt einfach kurz zu warten, bis mein Rollstuhl verladen ist, hupen sie mich an und glauben wohl ernsthaft, ich steige davon schneller in mein Auto ein.

Ich gebe zu, das ist nicht das erste Mal, dass ich eine Mutter auf ihrer Mission behindert habe. Ich lade öfter meinen Rollstuhl ins Auto ein. Auch zu Zeiten, wenn Mütter ihre Kinder zur Schule bringen – mit Vätern auf dem Schulweg hatte ich dieses Erlebnis bislang noch nicht. Und weil ich in einer kleinen Straße mit vielen Anwohnerparkplätzen wohne und diese verkehrsberuhigt ist, passt kein Auto an meinem Auto vorbei, wenn ich meinen Rollstuhl einlade, solange die Fahrertür offen ist. 30 Sekunden dauert das etwa. Ich setze mich auf den Fahrersitz und ziehe den Rollstuhl hinter mir rein. Fertig.

Tolle Vorbilder

Für die Mütter auf dem Weg in die zwei Straßen weiter entfernte Grundschule bedeutet das, ihr ach so toller Plan, durchs Wohngebiet zu brettern statt die Hauptstraße zu nutzen, geht nicht auf. Das Kind kommt 30 Sekunden später als geplant an. Vermutlich sind sie eh schon zu spät. Panik. Und was macht man dann mit all diesem Stress? Man stellt sich hinter mich und hupt. Und das ist mir nicht nur einmal passiert. Die Mutter, die mich diese Woche anhupte, war bereits Mutter Nummer Vier in den vergangenen Monaten.

Die sehen genau, dass ich meinen Rollstuhl einlade und nicht aus Jux die Tür noch offenstehen habe. Als ob mein Rollstuhl davon schneller im Auto verschwinden würde, wenn sie mich anhupen. Manchmal wird auch geschrien. Ich rufe dann ab und zu zurück, wenn es mich zu arg nervt und erinnere sie dann gerne daran, was sie gerade für ein tolles Vorbild für ihre Kinder sind. Behinderte Straßenverkehrsteilnehmer einfach weghupen ist sicher eine prima Lektion, die man Kindern auf dem Schulweg so nebenbei erteilen kann.

Wie andere reagieren

Einmal standen zwei Autos hinter mir und warteten, dass ich den Rollstuhl eingeladen hatte. Im ersten saß eine Mutter mit ihren Kindern. Im zweiten ein Mann. Es dauerte nicht lange, da fing die Mutter an zu hupen, weil es ihr offenbar nicht schnell genug ging. In dem Moment öffnete sich die Fahrertür des Autos dahinter. Erst dachte ich, der Mann wolle mir jetzt auch noch persönlich sagen, wie doof er findet, dass ich da jetzt meinen Rollstuhl einlade und stellte mich schon mal auf eine unschöne Diskussion ein. Aber es kam anders. Der Mann stieg aus, ging zum Fahrerfenster der Frau und klopfte dagegen. Sie ließ das Fenster hinunter und er empörte sich lautstark darüber, wie sie hupen könne, wenn sie sehe, dass ich meinen Rollstuhl einlade. Sie solle stattdessen ihren Hintern aus dem Auto bewegen und fragen, ob sie mir helfen könne, wenn es ihr nicht schnell genug ginge.

In der Zwischenzeit hatte ich den Rollstuhl längst eingeladen. Die Autos konnten passieren. Auf meiner Höhe angekommen, blieb die Frau mit dem Auto stehen und zeigte mir an, ich solle mein Fenster herunterlassen. Das tat ich. Und siehe da, die Standpauke des Fahrers hinter ihr hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Sie entschuldigte sich bei mir für ihr unverschämtes Verhalten. Dem Fahrer dahinter habe ich, als er an mir vorbeifuhr, noch freundlich zugewunken und mich bedankt.

 

E-Scooter müssen draußen bleiben

Sie dürfen nicht mehr in den Bus. Nicht in Herne. Nicht in Oldenburg. Nicht in Wuppertal.

Seit einigen Monaten verbieten immer mehr Verkehrsbetriebe in Deutschland die Mitnahme von so genannten E-Scootern in ihren Bussen. Behinderten- und Seniorenverbände sind entsetzt. „Mobilitätseingeschränkte Menschen in ländlichen Gebieten, die keinen Anschluss an das Schienennetz haben, sind auf den Busverkehr angewiesen. Ohne die Nutzung des Busverkehrs können zahlreiche Scooter-Nutzer sich nicht wie bisher selbständig mit allem Bedarf für das tägliche Leben versorgen“, empört sich der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter.

Vor allem ältere Menschen nutzen diese „elektrisch angetriebenen Leichtfahrzeuge für einen Fahrzeugführer mit Gepäck“, wie sie offiziell heißen, in den vergangenen Jahren immer mehr. Mit der Anzahl der älteren Menschen, die auch im Alter weiter mobil sein wollen, stieg auch die Anzahl der E-Scooter.

Zu groß, zu schwer, zu kippanfällig

Die Verkehrsbetriebe, die E-Scooter jetzt aus ihren Bussen und Straßenbahnen verbannt haben, halten die E-Scooter allerdings für eine Gefahr. Sie hätten nicht genug Standfestigkeit, würden bei einer einfachen Bremsung umfallen und andere Passagiere verletzen. Außerdem seien manche Scooter so schwer, dass sie die Rampen beschädigten. Diese seien für das Gewicht nicht ausgelegt. Zudem seien die E-Scooter teilweise so groß, dass sie gar nicht auf den Rollstuhlplatz im Bus passten und so die Gänge blockierten.

Ein Sprecher der Stadtwerke in Wuppertal verteidigte gegenüber dem WDR die Entscheidung so: „Die E-Scooter sind für uns schon lange problematisch. Die können bis zu 500 Kilogramm wiegen und sind damit viel zu schwer für die Rampen an unseren Bussen. Wenn so ein Scooter umkippt, ist nicht nur der, der drin sitzt, in Gefahr, sondern auch andere Fahrgäste könnten verletzt werden. Außerdem: Was ist, wenn wir den Bus schnell räumen müssen? Dann blockiert so ein Scooter den Gang, und es gibt große Probleme.“

Scooter ist nicht gleich Scooter

Aber warum fällt den Verkehrsbetrieben das erst jetzt ein? E-Scooter fahren ja nicht erst seit gestern durch die Gegend. Hintergrund ist ein Gutachten des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Aus diesem geht hervor, dass „bei einem E-Scooter mit aufsitzender Person (…) bei einer Gefahrenbremsung mit einem Kippen zu rechnen“ sei.

Was die Verkehrsbetriebe allerdings nicht berücksichtigen: E-Scooter ist nicht gleich E-Scooter. Die Ausführungen der Fahrzeuge sind höchst unterschiedlich. Es gibt sie in verschiedenen Größen, sie fahren unterschiedlich schnell, haben manchmal drei Räder oder auch vier. Mal wiegen sie weniger als 100 Kilo, manchmal aber auch das fast das Vierfache.

Schlecht beraten

Das Problem ist, viele E-Scooter-Nutzer werden beim Kauf schlecht beraten. Sie kaufen sich viel zu große Fahrzeuge oder aber auch viel zu kleine mit wenig Leistung, die teilweise sehr wackelig sind (Kippgefahr). Viele wissen nicht, dass ein Elektrorollstuhl ihnen vielleicht sogar viel besser helfen würde, stabiler ist, auch im Bus nicht kippt und weniger Platz wegnimmt.

Und – das muss man auch mal sagen – E-Scooter erfreuen sich auch deshalb so großer Beliebtheit, weil es eben keine Rollstühle sind. „Alles, nur kein Rollstuhl“, denken sich manche und kaufen dann irgendeinen wenig alltagstauglichen E-Scooter, um doch noch irgendwie von A nach B zu kommen.

Was ist nun also die Lösung?

Vermutlich sind die Kölner auf dem richtigen Weg. Die Kölner Verkehrsbetriebe haben nämlich angekündigt, weitere Tests abzuwarten, welche Gefahren von E-Scootern ausgehen. Genau solche Tests haben in London dazu geführt, dass bestimmte Modelle von E-Scootern unterdessen in Bussen befördert werden. Nämlich diese, die nicht leicht kippen und auf den Rollstuhlplatz passen. Die Londoner Verkehrsbetriebe haben dazu eine Liste mit Modelltypen veröffentlicht. Wer einen solchen E-Scooter fährt, erhält einen Pass, den er beim Fahrer vorzeigen kann, und der fährt dann, wie für jeden Rollstuhlfahrer auch, die Rampe des Busses aus. Wer aber das falsche Modell fährt, das nicht kippsicher oder zu groß ist, muss weiterhin draußen bleiben.

 

Partyvorbereitungen mit Hindernissen

Am vergangenen Wochenende war ich auf einer Party eingeladen. Das Geburtstagskind würde ich als Bekannte bezeichnen: Wir sind nicht eng befreundet, aber kennen uns, seit wir gemeinsam bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 2012 in London mitgewirkt haben.

Die Einladung kam per Facebook, wie die meisten Partyeinladungen, die ich mittlerweile aus meinem Netzwerk bekomme. Ich sagte vor Wochen zu, ebenfalls per Facebook, und nahm mir vor, vorher abzuklären, ob die Bar überhaupt für mich zugänglich ist, also möglichst keine Stufen hat. Sowas muss ich immer vorher wissen, bevor ich zu so einer Party gehe. Schließlich will ich den Abend nicht vor der Tür verbringen.

Die Frage nach den Stufen

Natürlich hatte ich dann x andere Dinge zu tun, aber als ich am Tag vor der Party auf meinen Kalender schaute, fiel mir wieder ein, dass ich noch gar nicht wusste, ob ich da nun eigentlich auch hinkomme, wo ich hinwollte. Ich kannte die Bar nicht.

Als erstes schrieb ich also die Gastgeberin an und fragte sie, ob sie in besagter Bar schon einmal war. War sie nicht. Sie hatte den Tipp von Freunden erhalten. Aber die Bar war im Erdgeschoss, so viel wusste sie. Sie werde für mich anrufen und fragen. Das hätte ich natürlich auch selber machen können, aber sie bestand darauf.

Es ging aber niemand ans Telefon. Auch am nächsten Morgen nicht. Und so dachte ich für eine halbe Minute darüber nach, die Party sausen zu lassen.

Street View und Foursquare

Aber ich machte das, was mir in solchen Situationen schon oft geholfen hat: Ich bemühte Google Street View und Foursquare. Auf Google Street View sieht man oft die Hauseingänge und kann sich, wenn nicht gerade ein Lkw vor dem Haus steht, ein ganz gutes Bild vom Eingang machen. Foursquare ist ein soziales Netzwerk für Orte, bei dem die Nutzer teilweise Hunderte von Fotos zu einem Platz hinterlegen. Wenn man Glück hat, sieht man auch dort den Eingang.

Ich hatte Glück. Ich konnte erkennen, dass der Eingang zwar nicht stufenfrei war, aber die Stufen so klein waren, dass ich mit etwas Hilfe hineinkam. Und gleichzeitig hatte ich auch telefonisch Glück. Es nahm endlich jemand ab. Ich hatte dann doch selbst versucht, dort anzurufen.

Der Mensch am anderen Ende verstand erst meine Frage nicht – das ist so gut wie bei jedem dieser Anrufe so. Die Menschen rechnen nicht mit der Frage, ob sie Stufen vor der Tür haben, und verstehen sie dann beim ersten Mal nicht. Als er sie dann endlich verstanden hatte, war er skeptisch, ob ich dort wirklich hineinkäme, aber ich hatte schon die Bilder gesehen und beschloss daher, es zu versuchen.

Dort angekommen, war es viel einfacher als gedacht: Es gab zwei Türsteher, die mir sofort reinhalfen und auch später wieder hinaus. In weniger als 15 Sekunden war ich drin. Ich hätte mich geärgert, wäre ich nicht hingegangen, denn ich hatte wirklich einen schönen Abend.

Wenn ich von Freunden eingeladen werde, die mich besser kennen, ist das übrigens viel unkomplizierter. Sie reservieren Tische in barrierefreien Restaurants, buchen selbstverständlich einen Rollstuhlplatz für Konzerte, ohne dass ich darum bitten muss, checken vorher, ob etwas barrierefrei ist und sagen mir, ohne dass ich überhaupt frage, wie die bauliche Situation ist, damit ich entscheiden kann, ob ich mitkommen möchte oder nicht. All das ohne peinliche Diskussion, sondern es ist einfach normal.

 

Nichtbehinderte Schauspieler – ziemlich schlechte Rollstuhlfahrer

Sonntag. 20.15 Uhr. ARD. Es läuft Tatort. Die Tochter des Kommissars ist gelähmt und es dauert nicht lange bis ich augenrollend vor dem Fernseher sitze. Es ist einfach zu offensichtlich, dass die Frau, die da spielt, gelähmt zu sein, es eben nicht ist. Sie bewegt ihre Beine unnatürlich oder auch unnatürlich nicht. Und vor allem fährt sie Rollstuhl wie der erste Mensch. Das liegt auch daran, dass sie in einem Rollstuhl sitzt, der für sie viel zu groß ist.

Ich erkenne nichtbehinderte Schauspieler, die behinderte Menschen spielen, so gut wie immer. Das ist auch bei den angehenden Sozialpädagogen und Freiwilliges-Soziales-Jahr-Absolvierern so, die einen Nachmittag im Rollstuhl durch die Stadt fahren, um mal zu sehen „wie das so ist im Rollstuhl“. Die sitzen auch immer in viel zu großen Rollstühlen, können kaum damit umgehen und man wartet förmlich jede Sekunde darauf, dass sie aufspringen und den Rollstuhl eine Bordsteinkante hochheben, weil sie sonst nicht drüber kämen. So wirken auf mich die meisten nichtbehinderten Schauspieler auch, die im Film Rollstuhlfahrer spielen. Es gibt nur einige wenige Ausnahmen, bei denen das nicht so ist. Patrick Bach in „Anna“ fand ich beispielsweise großartig.

Schauspielerisches Scheitern

Trotzdem scheint es als völlig normal zu gelten, Rollen von behinderten Personen nicht an behinderte Schauspieler zu geben. Selbst wenn sie den ganzen Film durch behindert sind, werden diese Rollen nur selten an behinderte Schauspieler vergeben. In den Fällen, wo jemand während des Films eine Behinderung bekommt, könnte man ja noch argumentieren, dass er damit nicht sein Aussehen verändern kann. Okay, geschenkt. Aber selbst in den anderen Fällen, brechen sich nichtbehinderte Schauspieler einen ab, möglichst behindert zu wirken und scheitern teilweise völlig, um nicht zu sagen, sie machen sich lächerlich.

Früher wurden Frauen auf der Bühne von Männern gespielt, weiße Schauspieler malten sich schwarz an, um schwarze Rollen zu spielen. Beides gilt heute als verpönt und lächerlich. Nur behinderte Menschen müssen ständig zuschauen, wie ihnen nichtbehinderte Schauspieler nicht nur ihre Rollen wegnehmen, sondern auch wie sie teilweise völlig unrealistisch dargestellt werden. Es ist wohl eine der wenigen Gruppen, die sich nicht selber spielen darf.

Lächerlich und klischeehaft

Manchmal muss ich lachen, wie schlecht manche Schauspieler Rollstuhl fahren, manchmal ärgere ich mich über die Klischees, die sie damit verbreiten, die teilweise gar nicht stimmen. Blinde Menschen zum Beispiel wirken in Filmen sehr oft völlig hilflos, wenn sie von Sehenden gespielt werden. Weil Sehende, denen man das Augenlicht nimmt, eben hilflos sind. Blinde Menschen, die daran gewöhnt sind, nichts zu sehen, sind das aber nicht. Sie hatten im Normalfall Mobilitätstraining, in dem man lernt, sich blind zu orientieren und erlernen lebenspraktische Fertigkeiten, wie Kochen zum Beispiel, ohne sehen zu können.

Eine Frage der Qualität

Also warum finden es Filmemacher und Regisseure immer noch in Ordnung, Rollen von behinderten Menschen mit Nichtbehinderten zu besetzen? Ich glaube, weil sie den Wert nicht erkennen, den jemand einem Film bringen kann, der wirklich selber die Behinderung hat. Sie haben Angst, niemanden beim Casting zu finden, der die Rolle spielen kann, ohne es überhaupt zu versuchen. Oder sie befürchten, dass das Filmen länger dauert oder es organisatorische Probleme gibt.

Sie nehmen damit aber in Kauf, dass die Qualität des Filmes leidet. Dass Vorurteile transportiert werden. Und dass eine behinderte Person wirkt wie eine nichtbehinderte Person, die eine behinderte Rolle spielt. Ich sitze dann manchmal im Kino oder vor dem Fernseher und lache über die Fehler der Schauspieler. Es ist manchmal für mich unbegreiflich, wie wenig Ahnung Leute davon haben, Rollstuhl zu fahren oder mit einem Blindenlangstock zu laufen, aber glauben, damit in einer millionenschweren Filmproduktion einfach durchzukommen. Und das vor dem Hintergrund, dass es Schauspieler gibt, die das in ihrem Alltag tun und es deshalb aus im Film könnten. Eine Rolle eines Pferdewirts geht sicher auch nicht an einen Schauspieler, der nicht reiten kann. Warum wird also akzeptiert, dass so viele behinderte Menschen in Filmen einfach nur schlecht dargestellt werden?