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Apple und die Barrierefreiheit

Neulich fragte mich jemand, welches Unternehmen in den vergangenen Jahren das Leben behinderter Menschen nachhaltig verbessert hat. Ich musste keine Sekunde überlegen: Apple. Ich bin kein Apple-Fangirl, habe mir erst spät ein iPhone zugelegt und es früher gehasst, am Mac zu arbeiten. Aber mit dem iPhone 3GS, das 2009 auf den Markt kam, hat Apple das Leben vieler behinderter Menschen nachhaltig verändert.

Denn seitdem hat das iPhone standardmäßig und ohne Aufpreis eine Sprachausgabesoftware installiert, mit der auch blinde Menschen das iPhone nutzen können. Ich konnte dank VoiceOver so endlich meinem Freund eine SMS schicken und er konnte sie sich vom Handy vorlesen lassen und darauf antworten. Mein Freund ist blind und war zuvor ein ziemlicher Handymuffel. Aber nicht nur das, mit den  Apps ersetzt das iPhone vor allem für blinde Nutzer viele Hilfsmittel, die sie sonst teuer kaufen mussten.

Hilfsmittel in einem Handy vereint

Es gab vorher schon einen Kompass, der sprechen konnte, aber im iPhone ist der nun immer dabei. Farbtestgeräte, die einem sagen, welche Farbe ein Hemd hat, kosteten Hunderte Euro; Apps, die das auch können, ein oder zwei Euro. Mein Freund hat sich aus Spaß einen Farbtester für das iPhone einfach selbst programmiert. Er kann mit VoiceOver auch seine Mails lesen, bei Foursquare suchen, wo das nächste Café ist oder mit Karten-Apps und dem Kompass durch die Stadt navigieren. Und um zu wissen, auf welchem Gleis sein Zug fährt, muss er nur noch sein Handy befragen, das ihm die Informationen aus der entsprechenden Bahn-App vorliest.

Auch Android spricht

Unterdessen hat die Konkurrenz nachgezogen: Google lässt mit Talkback Android-Handys sprechen. Auch Windows arbeitet an einer mobilen Lösung für blinde Nutzer. Aber Apple hat mit dem iPhone bis heute immer noch die Nase vorn, was die Nutzung durch blinde Menschen angeht.

Der blinde IT-Experte Marco Zehe aus Hamburg hat Anfang August einen 30-tägigen Test mit einem Android-Handy dokumentiert. Auch wenn Android besser geworden ist, nach 18 Tagen brach er den Test mehr oder weniger frustriert ab und war froh, sein iPhone wieder einzuschalten.

Mit dem iPad zu Starbucks

Wie die Entwicklungen von Apple und anderen das Leben behinderter Menschen in der Zukunft erleichtern könnten, wurde mir klar, als ich 2010 den Blogeintrag von Glenda Watson Hyatt las. Glenda hat Cerebralparese, ist Rollstuhlfahrerin und hat eine starke Sprachbehinderung. Nachdem sie sich in einem Apple-Store ein iPad gekauft und eine Sprachsoftware installiert hatte, konnte sie zum ersten Mal in ihrem Leben bei Starbucks problemlos und ohne fremde Hilfe ihren Mocha Frappuccino bestellen.

Warum macht Apple das alles? Lohnt sich das? Vermutlich eher nicht. Tim Cook hat in einer Rede im letzten Jahr gesagt, dass es im Bereich Accessibility bei Apple nicht ums Geld verdienen geht, sondern um unternehmerische Werte.

Ein Bekannter von mir, der früher bei Apple in diesem Bereich gearbeitet hat, erzählte mir mal, wie Steve Jobs den Bereich Accessibility im Unternehmen ins Leben rief. Er soll zu den Mitarbeitern gesagt haben, er wolle, dass dieser Bereich ein Erfolg wird. Sollte das nicht möglich sein, dann sollte das Projekt wenigstens mit Pauken und Trompeten scheitern, nicht nur ein bisschen. Es war ihm offensichtlich wirklich wichtig.

 

Höhen und Tiefen am Hoteltresen

Hoteltresen
Foto: Petra Bindel / Scandic Hotels / Creative Commons Attribution

Es gibt ja Dinge im Leben, die sind eigentlich ganz simpel, haben aber eine große Wirkung. Für mich sind das Hoteltresen. Wie gut ein Hotel geplant wurde, weiß ich oft schon in den ersten zehn Sekunden, nachdem ich den Eingang eines Hotels durchquert habe. Dann sehe ich nämlich als Erstes den Tresen der Rezeption.

Bei gut geplanten Hotels gibt es an der Seite einen niedrigen Bereich, an dem Rollstuhlfahrer oder andere Menschen, die lieber sitzen statt stehen möchten, bedient werden können. Bei weniger gut geplanten Hotels muss sich das Personal zu mir über den Tresen beugen. Alles kein Drama, aber es ginge eben einfacher, wenn man bedacht hätte, dass es Menschen gibt, die kleiner als 1,60 m sind, dass auch Rollstuhlfahrer einchecken möchten und dass nicht jeder problemlos 10 Minuten stehen kann, sondern es Kunden gibt, die lieber im Sitzen einchecken.

Und nach dem Gespräch mit dem Personal kommt dann meist das nächste Problem: Auch wenn die Welt immer elektronischer wird, wollen viele Hotels immer noch, dass das Meldeformular per Hand ausgefüllt oder zumindest unterschrieben wird. Doof, wenn man sitzt und der Tresen, auf dem man schreiben soll, höher ist als der eigene Kopf.

Guter Kundenservice kann vieles ausbügeln

Nun ist auch der hohe Tresen kein Drama, aber eigentlich legen Hotels einen großen Wert darauf, einen guten ersten Eindruck zu machen. Manchmal macht es der zweite Eindruck aber fast noch schlimmer. Denn natürlich bin ich unterdessen gewohnt, hohe Tresen anzutreffen, frage dann also immer freundlich nach einer Schreibunterlage, einem Klemmbrett oder notfalls nach einem Buch. Wenn die Ausstattung vielleicht nicht ideal ist, kann ein guter Kundenservice das oft wieder ausbügeln.

Im letzten Hotel, in dem ich war, sah man sich aber nicht in der Lage, mir irgendetwas zu geben, auf dem ich schreiben konnte. Man drückte mir den Meldebogen in die Hand, sagte, ich soll ihn im Zimmer ausfüllen und später wieder zur Rezeption bringen. Das kann man sicher so machen, aber sonderlich gastfreundlich fand ich es nicht. Und natürlich war nicht nur der erste und der zweite Eindruck nicht der Beste, sondern das zog sich so durch den ganzen Aufenthalt. Behinderung wirkt manchmal wie ein Brennglas, was guten oder schlechten Service angeht. Serviceorientiertes Personal wird manchmal sogar noch besser, wenn sie behinderte Kunden bedienen. Mittelmäßiges bis schlechtes Personal ist manchmal schon beim kleinsten Sonderwunsch Schreibunterlage überfordert.

„writing table“

Vor Jahren habe ich in einem Buchladen in London einen writing table für Rollstuhlfahrer entdeckt. Das war ein kleines Brett, das man zum Schreiben einfach nach unten klappen konnte. Es war auf halber Höhe am Tresen der Kasse festgeschraubt und hatte ein kleines Rollstuhlsymbol auf der Rückseite. Investitionskosten für den Laden: vielleicht 20 Euro.

Nun finde ich den Tisch gar nicht so sehr wichtig, weil man darauf schreiben kann, sondern weil er an die behinderten Kunden signalisiert, man hat an diese Kundengruppe gedacht und bemüht sich, das Einkaufen für sie einfacher zu machen. Barrierefreiheit muss gar nicht bedeuten, die teuren großen Lösungen anzustreben, sondern manchmal haben kleine Maßnahmen eine große Wirkung.

 

Ein Piktogramm wird dynamisch

Der Staat New York führt ein neues Rollstuhl-Piktogramm ein. Wo vorher dieses weiße, starre Männchen auf Behindertenparkplatz-Schildern und auf barrierefreien Toiletten zu sehen war, geht es künftig, zumindest was die Beschilderung angeht, dynamischer zu. So sieht das neue Piktogramm aus:

Rollstuhl-Symbol

Es zeigt einen Rollstuhlfahrer in einer nach vorne gelehnten Position, der oder die gerade dabei ist, seinen Rollstuhl anzuschieben. Die Räder sind durchbrochen, um die Bewegung zu symbolisieren.

Wenn ich ehrlich bin, fragte ich mich, als ich das Piktogramm das erste Mal sah, ob es jetzt schon ein Symbol für Paralympics-Athleten oder „Rollstuhlfahrer auf der Flucht“ gibt? Darin erinnerte mich die dynamische Haltung der Figur. Es sieht aus wie jemand, der ein Rollstuhlrennen fährt oder eben auf der Flucht ist.

Das alte Symbol fand ich allerdings nie sonderlich ansprechend. Wer kann sich schon mit einem stocksteifen Männchen in einem Rollstuhl identifizieren, dem irgendwie die Vorderräder abhanden gekommen sind und das seine Arme stocksteif nach vorne streckt?

Das New Yorker Symbol ist eine Entwicklung des Accessible Icon Projects, in dem sich behinderte Menschen mit Designern und anderen zusammengetan haben, um ein neues, dynamischeres Piktogramm zu entwickeln.

Dabei war der Gruppe vor allem wichtig, das Bild von Menschen mit Behinderungen als passive Menschen zu verändern. Deshalb bewegt der Rollstuhlfahrer im neuen Symbol seinen Rollstuhl auch selbst. Aber auch Kritik gibt es an diesem Piktogramm, nämlich dass es nur eine kleine Gruppe von behinderten Menschen widerspiegelt.

Das New Yorker Projekt ist nicht das einzige Projekt, das dem Piktogramm zu mehr Dynamik und einem zeitgemäßen Design verholfen hat. Auch bei dem im vergangenen Jahr eröffneten Campus der Wirtschaftsuniversität in Wien gibt es das passive Rollstuhlmännchen nicht mehr. Das Designstudio buero bauer entwickelte für den Campus ganz neue Piktogramme. Dabei entstand auch ein neues Rollstuhl-Piktogramm:

Rollstuhlfahrer-Piktogramm

© Designstudio buero bauer

Aus dem alten, österreichischen Symbol wurde ein aktiver Rollstuhlfahrer im Anzug. Die Hand des Rollstuhlfahrers bewegt den Rollstuhl aktiv vorwärts, der angedeutete Sitz fiel weg und auch auf das Fußbrett wurde verzichtet. Stattdessen schaut die Person aktiv aus und der Anzug passt zur Umgebung einer Wirtschaftsuniversität.

Gefällt mir sehr gut, immerhin ist niemand auf der Flucht. Nur eines stört mich: Warum muss das ein Mann sein? Ich hoffe, an der Wirtschaftsuni in Wien gibt es auch rollstuhlfahrende Frauen, nicht nur Männer. Da gefällt mir die Geschlechtsneutralität des New Yorker Symbols besser.

Aber auch wenn beide Symbole vielleicht nicht perfekt sind, interessant ist, dass es offensichtlich in den USA und in Europa Designer und behinderte Menschen gibt, die sich mit den alten Bildern nicht mehr zufriedengeben wollen. Oder anders gesagt: Wenn sich das Bild von behinderten Menschen in der Gesellschaft wandelt – von passiven Hilfsempfängern hin zu aktiven Menschen – müssen sich dann nicht auch die Symbole ändern?