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Rückwärts einsteigen

„Sie steigen bitte rückwärts ein“, sagte die Mitarbeiterin der Seilbahn zu meinem Bekannten Kirk. Kirk ist sehr groß. Ich dachte noch so bei mir, dass es ja wohl doch ein bisschen übertrieben ist, ihn rückwärts einsteigen zu lassen. So groß ist er dann doch nicht und die Seilbahnkabine war auch nicht gerade klein.
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40 Jahre Warten auf ein Gesetz

Noch Anfang der Woche hatte Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) umfassende gesetzliche Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen in Aussicht gestellt. Sie wolle noch in diesem Jahr Eckpunkte für ein Bundesteilhabegesetz vorlegen, sagte Nahles bei der Eröffnung der Werkstätten-Messe in Nürnberg. Mit dem Teilhabegesetz könnte zum Beispiel ein Teilhabegeld geschaffen werden, mit dem behinderte Menschen und ihre Angehörigen finanziell entlastet werden. Außerdem soll das Gesetz die Assistenz behinderter Menschen endlich von der Sozialhilfe lösen.
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Eurovision Song Contest: Punks mit Down-Syndrom

Sie sind laut, sie sind Punks und sie werden Finnland beim Eurovision Song Contest vertreten: Die Punkband Pertti Kurikan Nimipäivät (PKN) hat den Vorentscheid des Song Contests gewonnen. Drei von vier Bandmitgliedern haben das Down-Syndrom, ein weiteres Mitglied ist Autist. Damit leistet Finnland einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Inklusion.
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„Barrierefreier Zugang? Wo sind wir denn?“

Der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll sieht die österreichische Gastrokultur bedroht – durch die Vorgaben zur Barrierefreiheit. Allerdings musste er diese Woche lernen: Die Zeiten, in denen Politiker damit punkten konnten, dass sie Barrierefreiheit als Zumutung verteufelten, sind auch in Österreich vorbei.
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Das Problem mit den Sonderlösungen

Diese Woche habe ich mein Auto auf dem Langzeitparkplatz am Londoner Flughafen Gatwick geparkt, bevor ich eingecheckt habe. Der einzige verfügbare Parkbereich war Bereich E. Mit einer Ausnahme: Es standen überall Schilder, dass Besitzer eines blauen Behindertenparkausweises den Bereich A nutzen sollten. Nur dort gebe es breitere Behindertenparkplätze.

Also fuhr ich in den eigentlich geschlossenen Bereich A und parkte dort auf einem der ausgewiesenen Behindertenparkplätze. Dieser lag auch praktischerweise gleich neben einer Bushaltestelle für den Zubringerbus zum Terminal. Ich begab mich also zur Bushaltestelle und auch im Wartehäuschen gab es wieder Schilder: Der Parkbereich A sei eigentlich geschlossen. Wenn man aber einen blauen Parkausweis habe und das Auto deshalb dort geparkt habe, solle man die Gegensprechanlage nutzen. Man würde dann dem Zubringerbus sagen, doch den Bereich anzufahren.

Einbahnstraße

Ich betätigte also den Rufknopf der Gegensprechanlage und es tat sich erst mal gar nichts. Ich klingelte noch mal. Dann meldete sich eine Stimme. Noch ohne dass ich überhaupt etwas sagen konnte, sagte sie, der Parkbereich A sei gesperrt. Ich solle mein Auto in den Parkbereich E fahren. Ich erklärte ihr, dass ich ja gerade dort geparkt habe, weil ich einen breiten Behindertenparkplatz benötige. Schweigen am anderen Ende.

Dann entdeckte ich ein weiteres Schild. Die Gegensprechanlage sei schon älter. Man müsse den Knopf beim Sprechen gedrückt halten und wenn die Gegenseite spreche, könne man nichts sagen. Die Frau am anderen Ende hatte mich also gar nicht gehört. Unterdessen war ich bereits 10 Minuten an der Bushaltestelle und wollte einfach nur ins etwa 5 Minuten entfernte Terminal.

Mit Glück zum Flughafen

Ich drückte also wieder den Knopf und hielt ihn gedrückt und sagte sofort, ich sei Rollstuhlfahrerin. „Wo ist denn der Rollstuhl? Haben Sie den dabei?“ wollte die Stimme nun wissen. Nun wurde ich langsam etwas ungehalten. „Ich sitze drin. Schicken Sie jetzt einen Bus?“ rief ich und ließ dann den Knopf los, um die Antwort hören zu können. Wieder keine Reaktion. Ich gab auf und hoffte, dass einer der Busse bei dem Weg nach draußen sowieso vorbeifahren würde. Ich hatte Glück. Ich konnte dem Busfahrer zuwinken und er hielt an der eigentlich geschlossenen Bushaltestelle für mich an. Ich war mit 15 Minuten Verspätung endlich in einem Bus, der zum Flughafen fuhr.

Nicht praxistauglich

Ich bin immer skeptisch, wenn ich irgendwelche „Sonderlösungen“ für behinderte Menschen sehe, weil ich schon x Mal erlebt habe, dass sie in der Praxis genauso funktionieren, wie die Gegensprechanlagenlösung in Gatwick. Nämlich gar nicht. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht. Deshalb steht auch im Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes, dass Gebäude und andere Einrichtungen dann barrierefrei sind, „wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“

Die Worte „in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe“ machen den entscheidenden Unterschied aus. Wird es nervig in ein Gebäude zu kommen oder klappt es vielleicht gar nicht, weil keine Hilfe erreichbar oder verfügbar ist wie im Fall mit der Gegensprechanlage? Das Konzept „Da kann ja dann schnell jemand helfen“ funktioniert ganz oft gar nicht und ist in den meisten Fällen gar kein Konzept sondern eine Ausrede.

Sicher ist es besser, beispielsweise eine mobile Rampe zu haben, die man an eine Stufe anlegt, und eine Klingel als gar nichts. Aber es ist ein Unterschied, ob das eine nachträgliche Lösung für ein altes Gebäude ist oder ob einfach jemand bei der Planung nicht nachgedacht hat. Warum ein Flughafen seine Behindertenparkplätze nicht grundsätzlich von Bussen anfahren lassen kann und eine Gegensprechanlage aus Urzeiten hat, erklärt sich mir überhaupt nicht.

 

Ohne Kopfbedeckung

Ich mag Kapuzen nicht sonderlich. Ich mag sowieso nicht gerne irgendwas auf dem Kopf haben. Und ich mag schon gar nicht, wenn mir jemand an den Kopf fasst. Das nur vorweg. Ich habe mir vor Kurzem eine schöne warme Winterjacke gekauft. Diese hat eine Kapuze, was mich nicht weiter störte. Man muss sie ja nicht aufsetzen.

Heute sah das eine Frau völlig anders. Die Frau um die 50 war mir schon in der U-Bahn aufgefallen, weil sie mich ständig anstarrte. Das kommt schon mal vor. Nun gibt es Rollstühle nicht erst seit gestern, aber es gibt immer noch Zeitgenossen, die es nicht fassen können, dass nicht alle Menschen laufen. Ich lächele diese Komischgucker dann freundlich an. Wenn sie merken, dass ich bemerkt habe, dass sie mich anstarren, hören sie meist damit auf. So war es auch bei dieser Frau.

Unerbetene Ratschläge

Und wie der Zufall es so wollte, stiegen die Frau, die mich zuvor so anstarrte, und ich an der selben Station aus. Auch sie nahm auch den Fahrstuhl. Ich zog im Lift meine Handschuhe an, denn ich wusste, ich muss eine große Straße überqueren, um ins Hotel zu kommen. Und die stand voller Wasser, da es regnete. Nicht sehr stark, aber die Straße war nass und ich wollte keine nassen Hände vom Rollstuhlfahren bekommen.

Das wiederum nahm die Frau zum Anlass, mich darauf hinzuweisen, dass es regnete und ich doch besser meine Kapuze aufsetzen sollte. Ich murmelte etwas wie „Jaja, geht schon“ und dachte, damit sei die Sache erledigt. Dass mir unbekannte Menschen aus heiterem Himmel ungefragt Ratschläge geben, bin ich durchaus gewohnt. Meist akzeptieren sie dann aber, wenn ich nicht darauf höre. Nicht so in diesem Fall.

Und bist Du nicht willig…

Ich musste, wie gesagt, eine große Straße überqueren und wartete an der Ampel, dass ich über die Straße konnte. Plötzlich merkte ich, wie von hinten jemand sich an meiner Jacke zu schaffen machte. Ich drehte mich um und da hatte mir auch schon jemand die Kapuze über den Kopf gezogen. Es war die Frau aus dem Fahrstuhl, die mich wiederum darauf hinwies, dass meine Haare nass werden, weil es ja regnete. Ich sagte ihr, immer noch freundlich, das gehe schon. Mein Weg sei nicht weit.

Dieses Argument ließ sie aber keinesfalls zu, sondern fing gerade an, die Bändel der Kapuze vorne unter meinem Kinn zuzuziehen. Wenn ich zuvor schrieb, ich mag nicht gerne, wenn Leute auf meinen Kopf fassen, impliziert das, dass das schon mal vorkommt. Und tatsächlich, es gibt erwachsene Menschen die anderen erwachsenen Menschen, nur weil diese auf Kinderhöhe sitzen statt zu stehen, auf den Kopf fassen.

Dass es aber auch Menschen gibt, die sich an meinem Hals zu schaffen machen und mich behandeln wie ein Kindergartenkind, das sich seine Jacke nicht richtig anziehen kann, ist auch für mich neu. Nach einer Schrecksekunde nahm ich also die Hände der Frau von meinem Hals und sagte ihr etwas ungehalten, dass ich durchaus in der Lage sei zu entscheiden, wie ich mich anziehe und sie solle mich in Ruhe lassen.

Wenn das jeder machen würde

Sie ging dann auch wirklich. Und ich musste, so bescheuert und übergriffig die Situation auch war, fast lachen. Nicht auszudenken, wenn mehr Menschen sich so verhalten würden, nicht nur bei Rollstuhlfahrern, sondern einfach bei jedem. Einfach mal die Kleidung eines anderen auf der Straße richten: mal einen Schal umlegen oder das Hemd des anderen weiter zuknöpfen. So lange sich das gesamtgesellschaftlich aber noch nicht durchgesetzt hat, fahre ich auch weiterhin ohne Kopfbedeckung bei Regen und wehre jeden ab, der versucht, das zu ändern.

 

Nicht alleine ins Schwimmbad

Zehn Jahre lang geht Angelika Höhne-Schaller in ihrem örtlichen Bad alleine schwimmen. Dann übernimmt die Stadt selber den Betrieb des Bades. Seitdem wird der Frau, die sehbehindert ist, der Zugang zum Schwimmbad verweigert, wenn sie keine Begleitperson mitbringt. Mit dieser Posse schafft es gerade die Titania-Therme im schwäbischen Neusäß bundesweit in die Medien.

Thermen-Chef und Stadtbaumeister Dietmar Krenz sagt: „Wir haben eine gewisse Verantwortung für unsere Benutzer und die nehmen wir auch ernst.“ Die Verantwortung sieht er darin, behinderten Besuchern den Zugang zum Bad grundsätzlich zu verweigern, wenn diese keine Begleitperson mitbringen. Die Schwimmbadsatzung sieht das genauso vor. Sie setzt behinderte Besucher mit Kindern unter acht Jahren gleich. Die Frau zieht jetzt gegen die Stadt vor Gericht. Sie will sich nicht aufgrund ihrer Sehbehinderung diskriminieren lassen.

Kein Einzelfall

Wer glaubt, das sei ein Einzelfall, der irrt. Von Schwimmbädern, über Diskotheken bis hin zu Kinos, es gibt immer noch Serviceanbieter und Dienstleister, die behinderte Menschen als Sicherheitsrisiko und nicht als Kunden ansehen. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, in der deutschen Bäderlandschaft geht die Zeit rückwärts. Vor 20 Jahren konnte ich als behindertes Kind und Jugendliche problemlos alleine in jedes Schwimmbad. Warum heutzutage behinderten Erwachsenen der Zugang verweigert wird, ist kaum zu erklären. Die Welt redet von Inklusion behinderter Menschen in die Gesellschaft, während die Bäderbetreiber ihre Türen für behinderte Menschen verschließen.

Schon 2006 hatte der Deutsche Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS) von den deutschen Bädern verlangt, dass diese ihre Satzungen ändern. Damals war in Sindelfingen einer blinden Frau der Zugang ins Schwimmbad verweigert worden. Dabei geht es in den wenigsten Fällen um konkrete Gefahren, sondern um Hysterie und Diskriminierung.

Falsche Einschätzungen von außen

Wie selbstverständlich behinderten Menschen aber die eigene Urteilsfähigkeit abgesprochen wird, zeigt die Stadt Neusäß eindrucksvoll. Man traut der Frau nicht zu, dass sie sich alleine orientieren kann, sagt das Bad. Es sei zu laut für sehbehinderte Besucher, die Rutschen zu gefährlich, es könnte eine Tasche im Weg stehen. Dabei maßt man sich an, zu beurteilen, was die Kundin kann und was sie nicht kann, obwohl sie seit zehn Jahren beweist, dass sie das Bad problemlos nutzen kann. Wenn man bedenkt, wie viele Vorurteile und falsche Vorstellungen es über Behinderung, in dem Fall über Sehbehinderung gibt, gehen solche Einschätzungen von außen fast immer schief.

Was ein einzelner behinderter Mensch kann oder nicht, ist höchst individuell. Während sich vielleicht ein gerade frisch erblindeter Mensch schwer tut, sich überhaupt zu orientieren, ist es für einen gut geübten blinden Menschen kein Problem, durch den Straßenverkehr zu navigieren oder sich eben in einem Schwimmbad zurechtzufinden. Angelika Höhne-Schaller verfügt sogar über eine Restsehfähigkeit. Aber auch vollblinde Menschen sind durchaus in der Lage, sich alleine zurechtzufinden, wenn sie zum Beispiel gelernt haben, sich mit einem Blindenlangstock zu orientieren. Dafür gibt es ein Mobilitätstraining. Alle behinderten Menschen über einen Kamm zu scheren, ist sicher nicht die Lösung und nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wohl auch rechtswidrig.

Behinderte Menschen sind keine Kinder

Der Neusäßer Bürgermeister Richard Greiner kann nicht verstehen, dass Angelika Höhne-Schaller vor Gericht ziehen will, um sich ihr Recht auf den selbstbestimmten Schwimmbadbesuch zu erkämpfen. „Wir gehen so vor, wie es sachgerecht ist“, teilte er mit. Das ist wohl genau das Problem: Es geht hier nicht um eine Sache, die man vom Schreibtisch aus regulieren kann, sondern um Menschen, die am gesellschaftlichen Leben teilnehmen möchten und daran gehindert werden. Inklusion muss nicht immer viel kosten. Manchmal reicht es, wenn einige Verantwortliche ihre Vorurteile ablegen und behinderte Menschen nicht behandeln wie Kinder.