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Wir müssen draußen bleiben – kein Konzertbesuch für kleinwüchsigen Studenten

Was für nicht behinderte Menschen eine Selbstverständlichkeit ist, endet für behinderte Menschen oft in einer Enttäuschung. Konzertbesuche beispielsweise. Das musste der Hamburger Student und Filmemacher Michel Arriens erleben, als er ein Konzert der Band Kollektiv Turmstrasse im Musikclub Gruenspan besuchen wollte. Er ist kleinwüchsig und bewegt sich auf einem kleinen Roller fort, da er weite Strecken nicht laufen kann.

Michel Arriens auf seinem Roller
Foto: Konstantin Eulenburg

Doch als er beim Gruenspan ankam, verweigerte man ihm den Einlass, obwohl er die Konzertkarten bereits gekauft hatte. Der Mitarbeiter des Clubs auf St. Pauli teilte ihm freundlich, aber bestimmt mit, dass er mit seinem kleinen Roller nicht zum Konzert dürfe.

Nicht barrierefrei = kein Zugang

Auf der Website des Gruenspan steht in der FAQ:
„Das Gruenspan ist leider nicht barrierefrei. Toiletten, Garderobe und Notausgänge sind nicht barrierefrei erreichbar. Insbesondere aufgrund der Erreichbarkeit der Notausgänge können wir Rollstuhlfahrern aus Sicherheitsgründen leider keinen Einlass gewähren.“

Ich kenne solche Situationen und ich weiß auch, wie frustrierend sie sind. Stellen Sie sich mal vor, man verweigert Ihnen den Zugang zu einem Konzert, einem Lokal oder zum Kino, weil Sie Schuhgröße 41 haben. Oder weil Sie über 1,70 Meter groß sind oder sonst eine Eigenschaft haben, an der Sie erst einmal nichts ändern können. So ist das mit einer Behinderung auch: Sie gehört einfach zu einem wie die Körpergröße oder die Schuhgröße.

Seit 40 Jahren keine Rollstuhlfahrer

Schon immer habe ich mich gefragt, wer eigentlich diese Menschen sind, die solche Entscheidungen treffen? Wollen die kein Geschäft machen? Keine Konzertkarten verkaufen? Und wie sieht das eigentlich rechtlich aus? Kann ein Club wirklich sagen: Aufgrund Deiner Behinderung kommst Du hier nicht rein?

Eingang Gruenspan

Der Geschäftsführer des Gruenspan, Robert Hager, zeigte sich überrascht darüber, dass sich jemand an dieser Regelung stört. Das Gruenspan sei Deutschlands ältester Club und seit rund 40 Jahren kämen Rollstuhlfahrer nicht hinein. Daran habe sich noch nie jemand gestört. Das sei ja auch allgemein bekannt, dass das Gruenspan das so handhabe.

Problem Brandfall

„Unser Gebäude ist von 1898 und die Entfluchtungssituation ist schlichtweg nicht barrierefrei“, erklärte mir Hager. Die Besucher müssten auf jeden Fall sechs oder acht Treppenstufen überwinden. Im Brandfall beispielsweise könnten andere über einen Rollstuhlfahrer stolpern und er käme selbst nicht hinaus. Feuerschutztechnisch sei das ein Problem: „Das untersagt Dir zwar keiner. Ich bin als der Betreiber aber in der Haftung.“

Ganz so einfach ist es rechtlich nicht, erklärt mir Oliver Tolmein, Rechtsanwalt der Kanzlei Menschen und Rechte und spezialisiert auf das Antidiskriminierungsrecht. Immer wieder würde der Brandschutz als Grund von Anbietern von Musikveranstaltungen, von Theatern oder von Vergnügungsparks angeführt, um Menschen, die Rollstühle nutzen, die blind oder gehörlos sind, den Zutritt zu ihren Veranstaltungen zu verwehren. Charakteristisch sei dabei, dass außer der pauschalen Auskunft „wegen Brandschutz“ oder „aus Sicherheitsgründen“ nichts mitgeteilt werde, so Tolmein. „In konkreten gerichtlichen Verfahren haben sich die Brandschutzbedenken nicht bestätigt.“ Es gebe auch Theaterveranstalter, die nachgegeben hätten, nachdem eine Anwalt eingeschaltet wurde.

„Es gibt keine Brandschutzvorschriften, die die Teilnahme von Menschen mit Behinderungen an Veranstaltungen ausdrücklich untersagen“, sagt der Anwalt. „Brandschutz soll nicht Teilhabe verhindern, sondern der Gefährdung von Menschenleben vorbauen. Es geht also darum, ihnen Rettungswege zu eröffnen.“

Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz

Wenn jemand wegen einer Behinderung öffentliche Veranstaltungen nicht besuchen darf, sei das nach deutschem Recht ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und damit unzulässig. Zwar sei eine Benachteiligung dann möglich, wenn sie Gefahren vermeidet und Schäden verhütet. Der Anbieter müsse aber beweisen, dass diesen Gefahren nur durch ein undifferenziertes Verbot begegnet werden könne. „Das dürfte in der Regel nicht gelingen“, sagt Tolmein. Vielmehr müsse von einem Konzertveranstalter erwartet werden, dass er über die Jahre Alternativen zum Zutrittsverbot entwickelt habe.

Hinzu kommt: Michel Arriens ist gar kein Rollstuhlfahrer. Er ist einfach nur kleinwüchsig und auf einem Roller unterwegs: „Wenn jedes Restaurant, Café, jeder Club mit einer Stufe mich nicht reinlassen würde, wo dürfte ich dann überhaupt noch rein?“, sagt er.

Die gute Nachricht ist: Auch das Gruenspan hat die Zeichen der Zeit erkannt und wird in den kommenden Jahren umgebaut. Die Ausschreibung läuft bereits. Damit wird der Club barrierefrei und kann der Willkommenskultur des Stadtteils wieder gerecht werden. „Wir werden uns darum kümmern“, versprach mir Gruenspan-Geschäftsführer Hager. „Dafür ist der Stadtteil St. Pauli ja auch bekannt, dass man sich kümmert.“ Wird nach 40 Jahren aber auch Zeit.

 

Barrierefrei wählen ist nicht selbstverständlich

Wer in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz oder Sachsen-Anhalt wohnt und wahlberechtigt war, konnte am Sonntag wählen gehen – und kam hoffentlich auch in sein örtliches Wahllokal. Das ist leider nicht ganz selbstverständlich, denn auf Twitter und Facebook machten sich vor und während den Wahlen schon einige behinderte Menschen Luft, weil sie nicht in ihr örtliches Wahllokal kamen.

Rheinland-Pfalz vorn

Während in Rheinland-Pfalz immerhin mehr als 80 Prozent der Wahllokale barrierefrei waren, waren es ist Sachsen-Anhalt gerade mal die Hälfte. Gut 870 Wahllokale in Rheinland-Pfalz waren nach Angaben des Statistischen Landesamtes nicht barrierefrei, in 80 Prozent der Gebäude fehle ein entsprechender Zugang.  Das statistische Landesamt von Baden-Württemberg konnte mir leider keine Zahlen über barrierefreie Wahllokale nennen.

Nun kann man argumentieren: Sollen behinderte Wähler eben Briefwahl machen, wenn sie nicht ins Wahllokal kommen. Aber eigentlich müsste jeder Bürger das Recht haben, im Wahllokal zu wählen und nicht auf die Zuverlässigkeit der Deutschen Post zu vertrauen.

Überraschend nicht barrierefrei

Und noch ein Argument spricht dagegen: Teilweise bemerken die Leute erst am Wahltag, dass ihr Wahllokal nicht barrierefrei ist. Zwar drucken jetzt die meisten Bundesländer immerhin einen Hinweis auf die Wahlbenachrichtigung, ob das nächstgelegene Wahllokal barrierefrei ist oder nicht, aber nicht alle Leute sehen das.

Am Wahltag auf Facebook begegneten mir jedenfalls mehrere Einträge , wo sich Menschen, die zum ersten Mal im Rollstuhl wählen gingen, bitterlich darüber beklagten, nicht in ihr Wahllokal zu kommen. Sie hatten schlicht gar nicht damit gerechnet, dass in Deutschland Wahlen in Gebäuden abgehalten werden, in die man nicht stufenlos hineinkommt. Ich kann diese Einstellung durchaus verstehen. Ich finde auch immer wieder verblüffend, dass zwar jeder Mist in Deutschland geregelt ist, aber es immer noch völlig in Ordnung zu sein scheint, dass 20 Stufen zur Wahlurne führen – und das bei einer immer älter werdenden Bevölkerung.

Abenteuer Wahlschein

Alternativ zur Briefwahl kann man im Falle eines nicht barrierefreien Wahllokals auch noch einen Wahlschein beantragen, der einem erlaubt, in einem anderen, hoffentlich barrierefreien Wahllokal zu wählen, auch wenn man nicht dort gemeldet ist. Das habe ich früher oft gemacht, aber es kann den Wahlhelfern den Schweiß auf die Stirn treiben. Vermutlich fällt es in den Wahlschulungen in das Kapitel „Das wird sicher nicht vorkommen, aber nur damit Sie es mal gehört haben“.

Und dann kommt es doch vor und  jemand muss angerufen werden, weil man hat dann doch nicht so genau aufgepasst, was in so einem Fall zu tun ist. Dieses Theater war zwar immer ganz lustig, zog sich allerdings auch hin, so dass ich dann doch irgendwann auf Briefwahl umgestiegen bin.

Hausmeisterregeln versus Barrierefreiheit

In England hat bei der letzten Europawahl ein renitenter Hausmeister fast meine Stimmabgabe verhindert. Obwohl die Wahllokale bis spät abends geöffnet hatten, war der barrierefreie Seiteneingang ab 18 Uhr versperrt. Es war bereits dunkel als ich ankam und weil unsere Gegend hier schon fast ländlich ist, war auch weit und breit niemand auf der Straße, der mir helfen konnte. Ich klopfte mühsam ans Fenster, bis jemand kam. Der Hausmeister schloss mir den Seiteneingang auf und ich sagte ihm, dass er ihn bitte offen lassen muss, so lange in der Schule noch gewählt wird. Das wollte er nicht einsehen. Er mache den Seiteneingang immer um 18 Uhr zu. Nur weil in der Schule gewählt würde, würde er da jetzt keine Ausnahme machen.

Die örtliche Wahlkommission war von seiner Argumentation wenig angetan und leitete sogar ein Verfahren ein. Ich bekam ein offizielles Entschuldigungsschreiben meiner Gemeinde und die Zusicherung, dass so etwas nicht mehr vorkommen werde. Sie sollten Recht behalten. Bei den nächsten Wahlen konnte ich den Haupteingang der Schule benutzen. Man hatte den Eingangsbereich ebenerdig umgebaut.

 

Ohne die Wirtschaft keine Inklusion

Ich bin in Hessen und Rheinland-Pfalz aufgewachsen, habe danach viele Jahre in Hamburg gelebt, trotzdem ist Berlin mein Lieblingsbundesland. Das hat unter anderem damit zu tun, dass ich Berlin im Vergleich zu anderen Bundesländern als relativ barrierefrei empfinde, vor allem was die Anzahl der barrierefreien Toiletten in öffentlichen Einrichtungen und Restaurants angeht. Weiter„Ohne die Wirtschaft keine Inklusion“

 

Ein bisschen mehr Gleichstellung für Behinderte

Das Bundeskabinett hat einen Entwurf zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts beschlossen. Das derzeit geltende Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) verpflichtet Träger öffentlicher Gewalt, insbesondere Bundesbehörden, zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und zur Barrierefreiheit. Es enthält unter anderem Regelungen zur Herstellung von Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr, zum Recht auf Verwendung von Gebärdensprache und anderer Kommunikationshilfen sowie zur Gestaltung von Bescheiden und Vordrucken und zur barrierefreien Informationstechnik. Weiter„Ein bisschen mehr Gleichstellung für Behinderte“

 

Wird die EU barrierefrei?

Es liest sich wie von einem Wunschzettel für eine gute Fee, aber es gibt sie tatsächlich: eine Gesetzesinitiative, um die Europäische Union barrierefreier zu machen. Die EU könnte noch dieses Jahr das Gesetz auf den Weg bringen, das das Leben von rund 80 Millionen behinderten Menschen in der EU zu verbessern verspricht – den European Accessibility Act, eine Gesetzesnorm zur Schaffung von Barrierefreiheit. Weiter„Wird die EU barrierefrei?“

 

Arbeit muss sich auch für behinderte Menschen lohnen

Ich bin eigentlich eine ewige Optimistin. Aber was das geplante Teilhabegesetz angeht, verlässt mich mein Optimismus gerade. Zur Erinnerung: Mit dem Teilhabegesetz könnten behinderte Menschen und ihre Angehörigen finanziell entlastet werden. Außerdem soll das Gesetz die Assistenz behinderter Menschen endlich von der Sozialhilfe lösen. Weiter„Arbeit muss sich auch für behinderte Menschen lohnen“

 

Werkstätten: kein Mindestlohn, keine Inklusion

Neulich bin ich beim Zappen bei einer Sendung in einem der dritten Programme aus einer Behindertenwerkstatt hängen geblieben. Der Moderator stellte im Laufe des Programms die einzelnen Bereiche der Werkstatt vor. Wenn ich mich recht erinnere, gab es eine Bäckerei und eine Wäscherei. Außerdem einen Bereich für Montagearbeiten. Es wurden irgendwelche Teile für eine namhafte Firma zusammengesteckt. Zudem zeigte man behinderte Menschen, die in einem Betrieb arbeiten, aber offiziell bei der Werkstatt angestellt waren. Irgendein Modellprojekt. Das sei Inklusion, verkündete der Moderator vollmundig. „Ist es nicht“, widersprach ich und schaltete weiter. Denn zuvor hatte man auch noch episch zu erklären versucht, warum die behinderten Mitarbeiter in der Firma nur die Werkstattvergütung bekämen und nicht bezahlt würden wie ihre nicht behinderten Kollegen.

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Behinderte wollen ein Recht auf Sparen

Zwei Jahre lang haben Constantin Grosch und Raul Krauthausen für ihre Petition geworben. Am Ende konnten sie der Ministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles (SPD), mehr als 280.000  Unterschriften überreichen. Und die Zahl der Unterstützer steigt weiter an.

Nicht mehr als 2.600 Euro

Die Petition tritt dafür ein, dass auch Menschen, die auf Assistenz im Alltag angewiesen sind und dafür Geld vom Staat erhalten, das Recht bekommen zu sparen. In Deutschland werden voll berufstätige Menschen mit Behinderungen daran gehindert, zu sparen. Sie dürfen nicht mehr als 2.600 Euro auf dem Konto haben. Danach wird alles abgezogen, wenn sie Geld zur Finanzierung ihrer Assistenz erhalten. Weiter„Behinderte wollen ein Recht auf Sparen“

 

Das amerikanische Behindertengleichstellungsgesetz wird 25

Es gibt ein Land, in das nicht zuletzt Rollstuhlfahrer besonders gerne fahren: Die USA. Dafür gibt es einen Grund. Die USA sind bis heute eines der barrierefreiesten Länder der Welt. Spätestens seit 1990 haben die USA massive Anstrengungen unternommen, ihr Land barrierefreier zu machen und Diskriminierungen aufgrund von Behinderung einen Riegel vorzuschieben. Grundlage für diese Maßnahmen ist das amerikanische Behindertengleichstellungsgesetz, der Americans with Disabilities Act (ADA). Das Gesetz wird diesen Monat 25 Jahre alt.

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Bundesregierung blockiert Ratifizierung des Marrakesch-Vertrages

Sich eigenständig informieren zu können und Zugang zu Bildung zu haben, ist in Deutschland selbstverständlich. Das Recht auf Bildung ist ein grundlegendes Menschenrecht. Das sollte eigentlich auch für blinde und sehbehinderte Menschen gelten und auch für Menschen, die beispielsweise nicht in der Lage sind, ein Buch in der Hand zu halten und es deshalb in elektronischer Form benötigen. Wer aber beispielsweise blind ist, den lässt die Bundesregierung im Regen stehen. Denn sie blockiert auf europäischer Ebene seit Jahren den Vertrag von Marrakesch.

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