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Das Problem mit den Sonderlösungen

Diese Woche habe ich mein Auto auf dem Langzeitparkplatz am Londoner Flughafen Gatwick geparkt, bevor ich eingecheckt habe. Der einzige verfügbare Parkbereich war Bereich E. Mit einer Ausnahme: Es standen überall Schilder, dass Besitzer eines blauen Behindertenparkausweises den Bereich A nutzen sollten. Nur dort gebe es breitere Behindertenparkplätze.

Also fuhr ich in den eigentlich geschlossenen Bereich A und parkte dort auf einem der ausgewiesenen Behindertenparkplätze. Dieser lag auch praktischerweise gleich neben einer Bushaltestelle für den Zubringerbus zum Terminal. Ich begab mich also zur Bushaltestelle und auch im Wartehäuschen gab es wieder Schilder: Der Parkbereich A sei eigentlich geschlossen. Wenn man aber einen blauen Parkausweis habe und das Auto deshalb dort geparkt habe, solle man die Gegensprechanlage nutzen. Man würde dann dem Zubringerbus sagen, doch den Bereich anzufahren.

Einbahnstraße

Ich betätigte also den Rufknopf der Gegensprechanlage und es tat sich erst mal gar nichts. Ich klingelte noch mal. Dann meldete sich eine Stimme. Noch ohne dass ich überhaupt etwas sagen konnte, sagte sie, der Parkbereich A sei gesperrt. Ich solle mein Auto in den Parkbereich E fahren. Ich erklärte ihr, dass ich ja gerade dort geparkt habe, weil ich einen breiten Behindertenparkplatz benötige. Schweigen am anderen Ende.

Dann entdeckte ich ein weiteres Schild. Die Gegensprechanlage sei schon älter. Man müsse den Knopf beim Sprechen gedrückt halten und wenn die Gegenseite spreche, könne man nichts sagen. Die Frau am anderen Ende hatte mich also gar nicht gehört. Unterdessen war ich bereits 10 Minuten an der Bushaltestelle und wollte einfach nur ins etwa 5 Minuten entfernte Terminal.

Mit Glück zum Flughafen

Ich drückte also wieder den Knopf und hielt ihn gedrückt und sagte sofort, ich sei Rollstuhlfahrerin. „Wo ist denn der Rollstuhl? Haben Sie den dabei?“ wollte die Stimme nun wissen. Nun wurde ich langsam etwas ungehalten. „Ich sitze drin. Schicken Sie jetzt einen Bus?“ rief ich und ließ dann den Knopf los, um die Antwort hören zu können. Wieder keine Reaktion. Ich gab auf und hoffte, dass einer der Busse bei dem Weg nach draußen sowieso vorbeifahren würde. Ich hatte Glück. Ich konnte dem Busfahrer zuwinken und er hielt an der eigentlich geschlossenen Bushaltestelle für mich an. Ich war mit 15 Minuten Verspätung endlich in einem Bus, der zum Flughafen fuhr.

Nicht praxistauglich

Ich bin immer skeptisch, wenn ich irgendwelche „Sonderlösungen“ für behinderte Menschen sehe, weil ich schon x Mal erlebt habe, dass sie in der Praxis genauso funktionieren, wie die Gegensprechanlagenlösung in Gatwick. Nämlich gar nicht. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht. Deshalb steht auch im Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes, dass Gebäude und andere Einrichtungen dann barrierefrei sind, „wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“

Die Worte „in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe“ machen den entscheidenden Unterschied aus. Wird es nervig in ein Gebäude zu kommen oder klappt es vielleicht gar nicht, weil keine Hilfe erreichbar oder verfügbar ist wie im Fall mit der Gegensprechanlage? Das Konzept „Da kann ja dann schnell jemand helfen“ funktioniert ganz oft gar nicht und ist in den meisten Fällen gar kein Konzept sondern eine Ausrede.

Sicher ist es besser, beispielsweise eine mobile Rampe zu haben, die man an eine Stufe anlegt, und eine Klingel als gar nichts. Aber es ist ein Unterschied, ob das eine nachträgliche Lösung für ein altes Gebäude ist oder ob einfach jemand bei der Planung nicht nachgedacht hat. Warum ein Flughafen seine Behindertenparkplätze nicht grundsätzlich von Bussen anfahren lassen kann und eine Gegensprechanlage aus Urzeiten hat, erklärt sich mir überhaupt nicht.

 

Hupende Mütter

Diese Woche war es wieder so weit. Ich habe eine Mutter aufgehalten. Sie war auf dem Weg, ihr Kind zur Schule zu bringen. Für rund 30 Sekunden etwa musste sie warten, bis ich meinen Rollstuhl ins Auto geladen hatte. Die Reaktion dieser Frau und der anderen, mit denen ich ähnliche Erlebnisse hatte, lässt mich erahnen, dass dieser Schulweg keineswegs nur ein Weg ist, sondern für diese Eltern ist es so etwas wie eine Mission. Anders ist ihr Verhalten nicht zu erklären. Denn anstatt einfach kurz zu warten, bis mein Rollstuhl verladen ist, hupen sie mich an und glauben wohl ernsthaft, ich steige davon schneller in mein Auto ein.

Ich gebe zu, das ist nicht das erste Mal, dass ich eine Mutter auf ihrer Mission behindert habe. Ich lade öfter meinen Rollstuhl ins Auto ein. Auch zu Zeiten, wenn Mütter ihre Kinder zur Schule bringen – mit Vätern auf dem Schulweg hatte ich dieses Erlebnis bislang noch nicht. Und weil ich in einer kleinen Straße mit vielen Anwohnerparkplätzen wohne und diese verkehrsberuhigt ist, passt kein Auto an meinem Auto vorbei, wenn ich meinen Rollstuhl einlade, solange die Fahrertür offen ist. 30 Sekunden dauert das etwa. Ich setze mich auf den Fahrersitz und ziehe den Rollstuhl hinter mir rein. Fertig.

Tolle Vorbilder

Für die Mütter auf dem Weg in die zwei Straßen weiter entfernte Grundschule bedeutet das, ihr ach so toller Plan, durchs Wohngebiet zu brettern statt die Hauptstraße zu nutzen, geht nicht auf. Das Kind kommt 30 Sekunden später als geplant an. Vermutlich sind sie eh schon zu spät. Panik. Und was macht man dann mit all diesem Stress? Man stellt sich hinter mich und hupt. Und das ist mir nicht nur einmal passiert. Die Mutter, die mich diese Woche anhupte, war bereits Mutter Nummer Vier in den vergangenen Monaten.

Die sehen genau, dass ich meinen Rollstuhl einlade und nicht aus Jux die Tür noch offenstehen habe. Als ob mein Rollstuhl davon schneller im Auto verschwinden würde, wenn sie mich anhupen. Manchmal wird auch geschrien. Ich rufe dann ab und zu zurück, wenn es mich zu arg nervt und erinnere sie dann gerne daran, was sie gerade für ein tolles Vorbild für ihre Kinder sind. Behinderte Straßenverkehrsteilnehmer einfach weghupen ist sicher eine prima Lektion, die man Kindern auf dem Schulweg so nebenbei erteilen kann.

Wie andere reagieren

Einmal standen zwei Autos hinter mir und warteten, dass ich den Rollstuhl eingeladen hatte. Im ersten saß eine Mutter mit ihren Kindern. Im zweiten ein Mann. Es dauerte nicht lange, da fing die Mutter an zu hupen, weil es ihr offenbar nicht schnell genug ging. In dem Moment öffnete sich die Fahrertür des Autos dahinter. Erst dachte ich, der Mann wolle mir jetzt auch noch persönlich sagen, wie doof er findet, dass ich da jetzt meinen Rollstuhl einlade und stellte mich schon mal auf eine unschöne Diskussion ein. Aber es kam anders. Der Mann stieg aus, ging zum Fahrerfenster der Frau und klopfte dagegen. Sie ließ das Fenster hinunter und er empörte sich lautstark darüber, wie sie hupen könne, wenn sie sehe, dass ich meinen Rollstuhl einlade. Sie solle stattdessen ihren Hintern aus dem Auto bewegen und fragen, ob sie mir helfen könne, wenn es ihr nicht schnell genug ginge.

In der Zwischenzeit hatte ich den Rollstuhl längst eingeladen. Die Autos konnten passieren. Auf meiner Höhe angekommen, blieb die Frau mit dem Auto stehen und zeigte mir an, ich solle mein Fenster herunterlassen. Das tat ich. Und siehe da, die Standpauke des Fahrers hinter ihr hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Sie entschuldigte sich bei mir für ihr unverschämtes Verhalten. Dem Fahrer dahinter habe ich, als er an mir vorbeifuhr, noch freundlich zugewunken und mich bedankt.

 

E-Scooter müssen draußen bleiben

Sie dürfen nicht mehr in den Bus. Nicht in Herne. Nicht in Oldenburg. Nicht in Wuppertal.

Seit einigen Monaten verbieten immer mehr Verkehrsbetriebe in Deutschland die Mitnahme von so genannten E-Scootern in ihren Bussen. Behinderten- und Seniorenverbände sind entsetzt. „Mobilitätseingeschränkte Menschen in ländlichen Gebieten, die keinen Anschluss an das Schienennetz haben, sind auf den Busverkehr angewiesen. Ohne die Nutzung des Busverkehrs können zahlreiche Scooter-Nutzer sich nicht wie bisher selbständig mit allem Bedarf für das tägliche Leben versorgen“, empört sich der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter.

Vor allem ältere Menschen nutzen diese „elektrisch angetriebenen Leichtfahrzeuge für einen Fahrzeugführer mit Gepäck“, wie sie offiziell heißen, in den vergangenen Jahren immer mehr. Mit der Anzahl der älteren Menschen, die auch im Alter weiter mobil sein wollen, stieg auch die Anzahl der E-Scooter.

Zu groß, zu schwer, zu kippanfällig

Die Verkehrsbetriebe, die E-Scooter jetzt aus ihren Bussen und Straßenbahnen verbannt haben, halten die E-Scooter allerdings für eine Gefahr. Sie hätten nicht genug Standfestigkeit, würden bei einer einfachen Bremsung umfallen und andere Passagiere verletzen. Außerdem seien manche Scooter so schwer, dass sie die Rampen beschädigten. Diese seien für das Gewicht nicht ausgelegt. Zudem seien die E-Scooter teilweise so groß, dass sie gar nicht auf den Rollstuhlplatz im Bus passten und so die Gänge blockierten.

Ein Sprecher der Stadtwerke in Wuppertal verteidigte gegenüber dem WDR die Entscheidung so: „Die E-Scooter sind für uns schon lange problematisch. Die können bis zu 500 Kilogramm wiegen und sind damit viel zu schwer für die Rampen an unseren Bussen. Wenn so ein Scooter umkippt, ist nicht nur der, der drin sitzt, in Gefahr, sondern auch andere Fahrgäste könnten verletzt werden. Außerdem: Was ist, wenn wir den Bus schnell räumen müssen? Dann blockiert so ein Scooter den Gang, und es gibt große Probleme.“

Scooter ist nicht gleich Scooter

Aber warum fällt den Verkehrsbetrieben das erst jetzt ein? E-Scooter fahren ja nicht erst seit gestern durch die Gegend. Hintergrund ist ein Gutachten des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Aus diesem geht hervor, dass „bei einem E-Scooter mit aufsitzender Person (…) bei einer Gefahrenbremsung mit einem Kippen zu rechnen“ sei.

Was die Verkehrsbetriebe allerdings nicht berücksichtigen: E-Scooter ist nicht gleich E-Scooter. Die Ausführungen der Fahrzeuge sind höchst unterschiedlich. Es gibt sie in verschiedenen Größen, sie fahren unterschiedlich schnell, haben manchmal drei Räder oder auch vier. Mal wiegen sie weniger als 100 Kilo, manchmal aber auch das fast das Vierfache.

Schlecht beraten

Das Problem ist, viele E-Scooter-Nutzer werden beim Kauf schlecht beraten. Sie kaufen sich viel zu große Fahrzeuge oder aber auch viel zu kleine mit wenig Leistung, die teilweise sehr wackelig sind (Kippgefahr). Viele wissen nicht, dass ein Elektrorollstuhl ihnen vielleicht sogar viel besser helfen würde, stabiler ist, auch im Bus nicht kippt und weniger Platz wegnimmt.

Und – das muss man auch mal sagen – E-Scooter erfreuen sich auch deshalb so großer Beliebtheit, weil es eben keine Rollstühle sind. „Alles, nur kein Rollstuhl“, denken sich manche und kaufen dann irgendeinen wenig alltagstauglichen E-Scooter, um doch noch irgendwie von A nach B zu kommen.

Was ist nun also die Lösung?

Vermutlich sind die Kölner auf dem richtigen Weg. Die Kölner Verkehrsbetriebe haben nämlich angekündigt, weitere Tests abzuwarten, welche Gefahren von E-Scootern ausgehen. Genau solche Tests haben in London dazu geführt, dass bestimmte Modelle von E-Scootern unterdessen in Bussen befördert werden. Nämlich diese, die nicht leicht kippen und auf den Rollstuhlplatz passen. Die Londoner Verkehrsbetriebe haben dazu eine Liste mit Modelltypen veröffentlicht. Wer einen solchen E-Scooter fährt, erhält einen Pass, den er beim Fahrer vorzeigen kann, und der fährt dann, wie für jeden Rollstuhlfahrer auch, die Rampe des Busses aus. Wer aber das falsche Modell fährt, das nicht kippsicher oder zu groß ist, muss weiterhin draußen bleiben.