Mithilfe ziemlich vieler Freunde nahm Emanuel Lundgren ein überkandideltes Album voller vielstimmiger Na-Na-Na-, Ba-Ba-Ba- und La-La-La-Chöre auf. Selbst der Bürgermeister von Barcelona kennt die singende Freundesschar von I’m From Barcelona mittlerweile
Der amerikanische Filmemacher John Waters hatte vor Jahren eine schöne Idee. Für seinen Film Polyester belebte er das „Geruchskino“ wieder. Das Publikum erhielt Rubbelkarten, die zu einzelnen Szenen die entsprechenden Düfte verströmten. Odorama-Verfahren nannte man das. Würde es einen solchen Geruchsstreifen für das Debütalbum der schwedischen Band I’m From Barcelona geben, röche der vermutlich etwas verklärt nach Sommerwiese, Baumhaus und einer Schülerumkleidekabine in den 70ern.
Emanuel, Philip, Micke, Johan, Martin, Johan, Erik, David, Christofer, Daniel, Mattias, Tobias, Emma, Frida, Mathias, Jonas, David, Anna, Maria, Olof, Marcus, Cornelia, Tina, Julie, Rikard, Henrik, Jacob, Fredrik und Johan sind dem Pennäler-Alter längst entwachsen. Auf Let Me Introduce My Friends überführen Songschreiber Emanuel Lundgren und seine 28 Mitstreiter aus der Kleinstadt Jönköping ihren jugendlichen Übermut ins Erwachsenenalter. Warum zwei Freunde den Chor einsingen lassen, wenn 26 weitere vor der Türe stehen? Warum nur Gitarre, Bass und Schlagzeug zur Begleitung benutzen, wenn es doch in der Aula der Schule noch Glockenspiel, Piano, Klarinette, Banjo, Harmonika, Trompete, Ukulele, Flöte, Saxofon und diese leicht verstimmte Orgel gibt? Gut gelaunte Zeilen wie „Wir greifen nach den Sternen / Wir greifen nach deinem Herzen“ (We’re From Barcelona) geben die Richtung vor. Da sind Liebeslieder, die den überdrehten Gestus eines Freiluft-Schülerkonzerts in sich tragen; oder Schunkelnummern über Nischenthemen wie Briefmarkensammeln und Baumhäuser. Mit Rock’n’Roll hat das nichts gemein.
I’m From Barcelona startete nicht als ambitioniertes Musikprojekt, sondern als Hobbybeschäftigung eines Verliebten. Ein Scherz unter Freunden. „Wir haben diese Reise im Sommer 2005 begonnen. Niemand von uns wusste, dass wir eine Band werden würden“, heißt es im Beiheft zur CD. Der erste Auftritt der Gruppe im August 2005 hätte auch ihr letzter sein sollen. Es kam anders. Der FC Barcelona hat die Single We’re From Barcelona zur Hymne auserkoren und so kennt mittlerweile selbst der Bürgermeister der spanischen Stadt die singende Freundesschar. Eine skurrile Pointe; vor allem, weil der Bandname sich nicht auf die Stadt, sondern auf die englische Comedy-Serie Fawlty Towers bezieht. Der englisch radebrechende Kellner Manuel entschuldigt jeden seiner Fehltritte mit den Worten „I’m from Barcelona“.
Entschuldigen muss sich die Band längst nicht mehr: Die kindliche Anarchie der Stücke steckt an. Große Botschaften gibt es nicht zu entschlüsseln. Ein Popsong ist ein Popsong, eine Melodie eine Melodie. Zumindest einen Sommer lang werden diese vielstimmigen Na-Na-Na-, Ba-Ba-Ba- und La-La-La-Chöre im Ohr bleiben. Das musikalische Klassenfoto ist geschossen, der Winter noch fern. Nicht nur in Jönköping darf einen Augenblick lang gelächelt werden!
„Let Me Introduce My Friends“ von I’m From Barcelona ist als LP und CD erschienen bei Labels
Hören Sie hier „Collection Of Stamps“
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