Lesezeichen
 

Ein warmes Klagen

Das Gesamtwerk des Will Oldham alias Bonnie Prince Billy lässt sich kaum überschauen – dabei ist der eigensinnige Country-Musiker gerade mal 36 Jahre alt. Sein jüngster Streich, „The Letting Go“, wird die Puristen einmal mehr schockieren

Cover Bonnie Billy

Als was soll man diesen Mann aus Louisville bezeichnen? Countrymusiker ist er. Ein Phänomen, ein bisschen verrückt. Fleißig, manisch. Sein Werk besteht aus zahllosen Alben, Mini-Platten, Singles, Kooperationen und Filmmusiken. Von der Menge her könnte er es wohl mit Bob Dylan aufnehmen. Dabei ist Oldham gerade mal 36.

Der Wiener Standard nannte ihn „den hässlichsten Mann der Musikgeschichte“. Nun, es lassen sich viele Namen für Will Oldham finden. Er denkt sich auch immer wieder neue aus. Palace nannte er sich, Palace Brothers oder jetzt, seit einiger Zeit, Bonnie Prince Billy – eine Mischung aus Hochadel und dem Revolverhelden William Bonnie alias Billy the Kid.

Seit über einem Jahrzehnt schon begeistert er eine wachsende Gemeinde; er führt ein junges Publikum heran an ein Genre, dem der Mief und Pief amerikanischer Südstaaten anhaftet. Country-Puristen sind oft schockiert, wenn sie von ihm hören. Will Oldham hat sich nie geschert um das Klischee vom kautabak-spuckenden Cowboy und seiner Gitarre. Er hat Hank Williams nie gemocht, wuchs auf mit Rock und Punk, den Ramones und Dinosaur Jr. Und auf seinen Platten musiziert er oft mit einer opulenten Band. Während seine allgemein bekannten Kollegen inzwischen so alt klingen und werden, wie ihre Fans schon lange sind, bricht er mit den Traditionen. Nicht nur formal, auch textlich.

Oldhams Sprache ist poetisch, barock, anrüchig, kryptisch. Nie käme er auf die Idee, die Liebschaft zu einer vollbusigen Hinterwäldlerin zu besingen. Seine Texte handeln von Identitätskämpfen, von Gott und Verlust. Manchmal haben sie sexuelle Pointen. Johnny Cash bewunderte ihn dafür, bat ihn sogar, ein Lied für seine American-Recordings-Reihe zu schreiben. Björk nahm ihn mit auf ihre Welttournee.

Eine amerikanische Zeitung warf ihm zu seinem letzten Studioalbum Superwolf vor, er verschmutze die Countrymusik mit seiner Zügellosigkeit, den morbiden Wortspielen und den seltsamen religiösen Hinweisen. Oldham gab zurück, amerikanische Intellektuelle hätten vor Religion so viel Angst wie vor ihren Eiern. Was Journalisten oder Fans über ihn denken, scheint ihm schon lange egal zu sein. Und wie es unter seinem strähnigen Vollbart hervorgebrummt kommt, will man es ihm auch gerne glauben: „It’s only about the music“.

Also hören wir ihm zu auf The Letting Go. Folgen wir den ersten Geigenstrichen. Eine akustische Gitarre wärmt die Stimmung an, dann Oldham: „When the Numbers / get to high / of the dead / flying through the sky / Oh I / Don’t know why / Love comes to me.” Dann, aus dem Nichts, die Folksängerin Dawn McCarthy. Sie umgarnt jede Silbe, ihre Worte werden zur Versuchung. Nie zuvor hat Will Oldham eine andere Stimme so nah an seine gelassen. Das ist ja schon fast ein Duett!

Lassen wir uns weitertragen, zum Blues von Cold and Wet, hören in The Seedling den Balanceakt von beseeltem Nashville und Folklore. Immer wieder brechen Kleinigkeiten die melancholische Grundierung der Lieder auf. Da bläst plötzlich ein Flügelhorn, eine Strophe später summt eine Orgel. Der herkömmliche Country wird bis an seine Grenzen ausgeleuchtet, franst immer weiter aus. Sogar auf digitale Experimente lässt Oldham sich ein.

So ist der Mann mit den vielen Namen ein Musiker, der eine ganze Richtung wieder interessant machen kann.

„The Letting Go“ von Bonnie ‚Prince‘ Billy ist als LP und CD erschienen bei Domino Records

Hören Sie hier „No Bad News“

Weitere Beiträge aus der Kategorie COUNTRY
Johnny Cash: „A Hundred Highways“ (Mercury/Universal 2006)
The Byrds: „Sweetheart Of The Rodeo“ (Columbia/Sony BMG 1968)
Okkervil River: „Black Sheep Boy & Appendix“ (Virgin 2006)

Alle Musikangebote von ZEIT online finden Sie unter www.zeit.de/musik