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Sehnsüchtiges Taumeln

 

The Gentle Lurch aus Dresden machen schrullige Countrymusik. Die Stücke auf ihrem ersten Album „From Around A Fire“ torkeln, das Klavier klimpert betrunken, nicht mal der Kontrabass steht hier wirklich aufrecht

The Gentle Lurch

Die Slide-Gitarre säuselt, die Orgel hallt, die Mundharmonika quietscht. Ist das Country? Schon. Cowboys? Bedingt. Wilder Westen? Ganz und gar nicht. Eher schon wilder Osten. The Gentle Lurch haben ihr knisternd züngelndes Feuer in der weiten sächsischen Provinz irgendwo zwischen Ziegra-Knobelsdorf und Töpeln entzündet. Unter freiem Himmel lagern sie an den Ufern der Zschopau, die sich in weiten Schleifen durch schroffe Felsen und romantische Landschaften hinabwindet zur Talsperre Kriebstein. Ab und an steigt einer auf die Simson, fährt zur Tankstelle und holt neues Bier. Die beiden Cowboys heißen Lars Hiller und Frank Heim, das Cowgirl im Bunde ist Cornelia Mothes.

Zunächst: der Name. The Gentle Lurch, was soll das sein? Das sanfte Taumeln? Hört man die Musik auf ihrem ersten Album From Around A Fire, versteht man schnell, dass die Gruppe keinen passenderen Namen finden konnte. Die Stücke eiern ganz gehörig, schlingern und torkeln. Das Klavier klimpert betrunken, nicht mal der Kontrabass steht hier wirklich aufrecht. Es ist schon irgendwie Country, wenn auch ziemlich schmuddelig und schrullig. Country aus dem die Spielfreude klingt und weniger die existenzielle Inbrunst, die den Kollegen aus dem Westen so eigen ist. Stil-Puristen würden wohl schon die Melodika, diese lustige Kreuzung aus Blas- und Tasteninstrument, im Lied Evil Women verabscheuen.

Die elf Stücke der Platte sind ruhig und schön. Einfache, auf der Gitarre gezupfte Akkorde werden von hübschen Klavier- und Akkordeonmelodien und warmen Bassläufen umspielt. Immer wieder tauchen neue Instrumente auf, hier ein Banjo und eine Orgel, dort Harmonika und Trompete. Oft gibt es kein richtiges Schlagzeug, das Klopfen auf den Korpus der Gitarre gibt dann den Rhythmus vor. Bei The Night When Frank Got Drunk For The First Time, Age 23 albern sie mit einem Kinderkeyboard und einem Schlagzeugcomputer rum. Ab und an hört man, wie sich jemand eine Zigarette ansteckt, im Hintergrund knistert ein Lagerfeuer. Oder ist das nur Einbildung?

Lars Hillers Stimme passt zur Stimmung der Lieder, zu ihrer Ruhe. Sie klingt unaufgeregt und warm, oft spricht er mehr, als er singt. Als würde er guten Freunden nachts am Feuer ein paar Anekdoten zuflüstern, auf englisch. Denn gas station klingt besser als Tankstelle, hedgehog geheimnisvoller als Igel und sky weiter und höher als Himmel. Bei einigen Stücken singt Hiller mit Cornelia Mothes im Duett, dann ist Nashville nicht mehr fern.

Sie nehmen ernst, was sie da tun. Die Slide-Gitarre und die Mundharmonika sollen nichts ironisieren, zum Glück. Auch die Texte bersten vor Klischees, sie erzählen von einer Cowboy-Welt, wie man sie aus dem Kino kennt. „The first thing you gotta to do / When you’re coming into town / Is to find a way out“ – Worte, die aus dem Mund von John Wayne oder Clint Eastwood stammen könnten. Die Musik passt zu den Bildern, die sie erzeugt. Bei Bar Or Disco wird die Melodika sehnsuchtsvoll und traurig geblasen, “A few days ago a friend and I went up into the mountains / We stared into the campfire, we talked about / How good it would feel, how nice it would be, having girls around / Lalalalala lala lalalalalala lala”. Mountains klingt wie „mauns“, selbst einen amerikanischen Akzent hat der Sänger sich zugelegt. Auf dieser Platte passt einfach alles zusammen.

„From Around A Fire“ von The Gentle Lurch ist als CD erschienen bei Schinderwies und im Vertrieb von Broken Silence. Erhältlich ist sie auch bei Finetunes

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