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Khaki ist das neue Bunt

 
Mit afrikanischen Melodien bringen Vampire Weekend aus New York den Indiepop auf Trab. Ihr Debütalbum ist ein tropischer Früchtekorb.

Vampire Weekend

Oh, eine neue Jungsgruppe aus New York: nicht schon wieder.

Oh, eine neue Jungsgruppe aus New York: ganz außerordentlich!

Ja, der Ton macht die Musik, und die Musik macht den Ton. In diesem Fall macht’s der Ton des „Oh“, wie in dem Lied A-Punk.

Bisher klang das Wort aus dem Mund eines Indierockers nach schmerzhafter Langweile. Ezra Koenig, der Sänger von Vampire Weekend, lässt es nach Kochbananen, Yams und Ananas schmecken. Die Melancholie des Winters ist geschmolzen in tropischer Sonne, vorbei ist die Zeit der beröhrten Baumwollschalträger. Jetzt sind Polohemden und Khaki-Shorts angesagt.

Vampire Weekend langweilten sich im prätentiösen Korsett des Indierock. Mit Experimentierfreude und Offenheit gegenüber allen Klangwelten gingen sie ans Werk und schufen ein beglückendes Debütalbum. Ihre Lieder vereinen Ska, Afrobeat und Highlife mit den Mitteln poppiger und klassischer Komposition. Gitarren dürfen wieder unverzerrt in Terzen schallen, Orgel und Cembalo schütteln Bach aus der kleinen Taste, Streicher flirren am mangofarbenen Horizont, und das Schlagwerk schöpft aus der Lostrommel: Triolen auf Viertel auf Synkopen, Rassel auf Tomtom auf Conga.

All das klingt so bunt wie die in Cape Cod Kwassa Kwassa besungenen Benetton-Pullover. Oder wie ein afrikanisches Festtagsgewand. Die vier Absolventen der Columbia University haben sich umgehört und auf dem schwarzen Kontinent die Melodien gefunden, die ihnen in ihrem Entwurf von interessanter Popmusik fehlten. Das haben schon viele vor ihnen getan – man denke an Paul Simons Graceland, an Damon Albarn oder an A.J. Holmes, den selbst ernannten King Of The New Electric Hi-Life. Das mag man als Exotismus abtun, als billiges Unterscheidungsmerkmal im Kampf ums Musikerdasein. Aber es ist doch niemandem vorzuwerfen, er bringe die ermattete westliche Popwelt ein bisschen auf Trab.

Ezra Koenig schreibt Texte, wie sie von einem graduierten Literaturstudenten zu erwarten sind: voller Metaphern, gesellschaftskritischer Beobachtungen und rätselhafter Referenzen. Allein mit ihrer Analyse ließe sich viel Zeit verbringen, einige Journalisten führen sie irre. Wenn Koenig von einem gewissen Walcott singt, könnte man annehmen, er meine den Literaturnobelpreisträger. Mitnichten, den Walcott in seinem Lied hat er sich einfach ausgedacht. Er ist eine Figur aus einem Film, den Koenig früher einmal machen wollte, und der sollte Vampire Weekend heißen.

Aus dem Streifen wurde nichts. Dafür ging es schnell voran mit der Musik. Die junge Band schloss im vergangenen Jahr einen Vertrag mit XL Recordings, der Plattenfirma, die auch die White Stripes, Devendra Banhart, M.I.A. und Thom Yorke vertritt. Dann wurden die ersten Kritiker auf sie aufmerksam, und nun sollen Vampire Weekend die Pop-Hoffnung 2008 sein. Vampire Year müssten sie heißen.

Der Rummel schert sie wenig. Im Interview sagt der Schlagzeuger Christopher Tomson (welch klangvoller Nachname für einen Trommler!): „Wir konzentrieren uns auf unsere Hälfte der Gleichung. Wir machen die Lieder, mit denen wir uns wohl fühlen. Die andere Hälfte ist die Reaktion der Leute.“ Das hört sich ganz lässig an, zurückgelehnt und bedacht. Ebenso wirkt Ezra Koenig, wenn er von den Musiken Afrikas und Indiens spricht und wie sie von westlichen Künstlern adaptiert werden. Auf den kulturellen Kontext komme es an. Mit anderen Worten: Die Musik macht den Ton.

Ezra Koenig und Christopher Tomson sprechen über adrette Kleidung, Exotismus und Langeweile im Indierock. Lesen Sie hier das Interview »

Das Debütalbum von Vampire Weekend ist bei XL Recordings/Beggars Banquet erschienen.

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